Wie immer kam die Anmeldebestätigung kurzfristig, wie immer galt es, in den letzten Sekunden alles zu organisieren. Ich werde es, glaube ich, nie verstehen, warum man Paratriathlon-Wettkämpfe bis zur letzten Sekunde offen hält, anstatt sie, wie bei Fußgänger-Wettkämpfen üblich, mit einem verbindlichen Meldeschluss zu versehen. Die Betonung liegt dabei auf verbindlich, denn eigentlich gab es ein Datum, bis zu dem sich
nicht genügend Leute gefunden hatten, die teilnehmen wollten. Kurzfristig bekamen wir in der letzten Woche einen Anruf, dass der Wettkampf nun aber doch stattfindet, weil noch Leute nachgemeldet hatten.
Ergo haben wir unser eigentlich mit „Strand“ verplantes Wochenende kurzfristig wieder umgeworfen und sind ins westliche Rheinland-Pfalz gegondelt, um dort an einem Paratriathlon teilzunehmen. Eine eher kleine
Veranstaltung abseits der bekannten Serien – der Fußgänger-Triathlon hat in diesem Ort Tradition und gegenüber Menschen mit Behinderung zeige man sich inklusiv, wie der Bürgermeister bei seiner Ansprache wissen ließ.
In der Tat sahen wir uns sehr willkommen: Man hatte für alle, die nicht im Hotel oder in der Jugendherberge schlafen konnten, große Zelte aufgebaut. Eins davon extra für Rollstuhlfahrer. Wir reden hier nicht von Zwei- oder Dreimannzelten, sondern von befahrbaren Konstruktionen, die ein wenig an eine kleine Zirkusmanege erinnerten. Kreisrund, ohne Boden, stattdessen innen komplett mit Holzpaletten ausgelegt, so dass man, ohne im Gras zu versinken, zu seinem Schlafplatz gelangen konnte. Wohl wissend, was uns erwartet, hatte Marie zwei 140 x 200 Luftmatratzen dabei, beide ließen sich elektrisch aufblasen – die Geräuschkulisse erinnerte ein wenig an die eines defekten Staubsaugers. Ja, es gab sogar Licht und Strom in dem Zelt.
Und fließend Wasser. In der ersten Nacht gab es einen Wolkenbruch, der befürchten ließ, das Zelt würde gleich unter der Last des Wassers zusammenbrechen. Das Zelt hielt zwar, jedoch war unser Zelt am tiefsten Punkt der Wiese aufgebaut, so dass innerhalb der Paletten das Wasser plätscherte. Zum Glück stieg es nicht über die Höhe der Holzpaletten – ansonsten wären wir wohl in Ermangelung eines Ankers mit unserer Luftmatratze nach draußen getrieben. Marie, Cathleen und ich machten unter dem Eindruck des Getöses auf dem Zeltdach aus unseren Schlafsäcken eine große Decke und krochen unter dieser zu dritt so eng zusammen wie nur irgend möglich. Die Mütter von Marie und Lisa, die ebenfalls mit in dem Zelt schliefen und am nächsten Tag zusammen mit Tatjana unsere Teamhelfer sein wollten, schauten sehr ängstlich drein und befanden, ein Survivaltraining könnte nicht schlimmer sein. Irgendwann war der Regen vorbei und alle 20+ Leute in unserem Zelt schliefen ein.
Am nächsten Morgen holte uns eine Meldung ein, die wir am Vortag während unserer Anreise nicht mitbekommen hatten: Auf unserer Trainingsstrecke in Hamburg ist es zu einem tödlichen Unfall gekommen. Ein Rennradfahrer, ein 33jähriger Sonderschullehrer, sei beim Training frontal mit einem Lkw kollidiert und sofort tot gewesen – drei weitere Radfahrer wurden zum Teil schwer verletzt. Im Rahmen eines Überholmanövers sei ein entgegenkommender Lkw direkt in die etwa 30köpfige Gruppe gerast.
Als wir dann erfahren haben, dass wir den Verunglückten nicht kannten (er war wohl zum ersten Mal dabei), dass der Unfall nicht auf einer abgesperrten Trainingsstrecke, sondern im fließenden Verkehr passiert ist und auch nicht wirklich auf der Straße, auf der wir fahren, sondern auf einer Parallelstraße, waren wir zwar nicht erleichtert (wer ist das schon, wenn so ein folgenschwerer Unfall passiert), aber immerhin konnten wir für uns ganz klar feststellen: Es hätte eben nicht auch uns treffen können. Wir trainieren nicht im fließenden Straßenverkehr. Eben genau aus diesem Grund. Trotzdem gilt seiner Familie und seinen Kameraden natürlich unser und mein Mitgefühl.
Zurück nach Rheinland-Pfalz: Es handelte sich um einen Kurzdistanz-Wettkampf, also 1500 Meter schwimmen, 10 Kilometer per Rennrolli und 40 Kilometer mit dem Rennbike. Wir waren vor allen anderen Teilnehmern dran, das Wetter war okay, fast zu warm – und das Wasser war zu kalt, um ohne Neo zu starten. Mit 10 Minuten Verspätung ging es endlich los. Ich fand zum Glück sofort meinen Rhythmus, bekam zwar ein paar Mal ein paar fremde Hände ab, ließ mich davon aber nicht ablenken und konnte mich zusammen mit Marie aus dem relativ kleinen Starterfeld lösen. Nach ziemlich genau 45 Minuten waren wir beim ersten Wechsel angekommen. Maries Mutter half Marie, Tatjana half mir, nach knapp drei Minuten saßen wir in unseren Rennstühlen und konnten als erste die Wechselzone verlassen. Wir bekamen nur noch mit, wie Cathleen aus dem Wasser kam.
Da Windschattenfahren verboten war, fuhren wir demonstrativ nebeneinander, zumindest dort, wo die Straßenverhältnisse es zuließen. Die Strecke war nicht wirklich gut, zwar relativ eben und durchgehend asphaltiert, ein einziges Mal wurde der Streckenverlauf durch eine Hütchenreihe an einem Schlagloch vorbei geführt, aber insgesamt sehr kurvig. Was für Läufer kaum ein Problem ist, ist mit dem schnurgeradeaus fahrenden Rennrolli keine leichte Aufgabe. Mir ging es gut, ich hatte keinen Leistungsdruck, keinen Verfolger – ich versuchte einfach, so schnell wie möglich zu sein, ohne mich zu überanstrengen. Marie bekam Probleme mit ihrer Blase, sie wurde zu voll. Sie meinte, sie könne sich nicht genug entspannen, sei zu aufgedreht, ich gab ihr den Tipp, während
einer abschüssigen Passage mal komplett zu entspannen, aber es funktionierte nicht. Was besonders blöd ist, denn so müsste sie beim nächsten Wechsel auf eins der ekligen Dixi-Klos, während die Zeit weiter
läuft. Etwa 500 Meter vor T2 klappte es dann doch noch.
Die 40 Kilometer biken waren im ersten Moment sehr angenehm, nach zwei Kilometern war ich mir sicher, ich würde die letzten 38 problemlos schaffen. Doch etwa ab der Hälfte zog sich die Strecke wie Kaugummi. Es war ständig ein leichter Wind von vorne, so dass man ständig zwischen drei, vier Gängen hin- und herschalten musste, und das kostete endlos Nerven. Nach knapp über einer Stunde rollten wir ins Ziel: Erst Cathleen, dann ich, dann Marie, alle innerhalb von sechs Sekunden. Insgesamt lag ich bei 3 Stunden und 16 Minuten – es hätte deutlich schneller sein können, wenn die „Laufstrecke“ nicht so kurvig gewesen wäre. Aber alle anderen hatten dieselben Vorgaben und somit: Der zweite Platz (von 12) zählt! Ich habe mich riesig gefreut.
Körperlich war ich nach dem Wettkampf eigentlich kaum erschöpft, ich fühlte mich nicht übermäßig ausgepowert. Aber müde. Ich hätte, als der Wettkampf-Flash vorbei war, mich sofort hinlegen können. Wie gut, dass wir erst am nächsten Morgen abreisten. So konnte ich in Ruhe ausschlafen, bevor wir die Heimfahrt antraten. Leider war das -bis auf ein weiterer Termin- die letzte Chance in diesem Jahr, an einem Paratriathlon teilzunehmen. Aber Tatjana meinte: Vielleicht machen wir selbst noch einen internen Wettkampf. Lust hätte ich.