Der Hund im Gang

Man kann fast darauf warten: Irgendwann kommt sie, die nächste Reportage über ausgegrenzte Behinderte. Und so gab es in der letzten Woche seitenfüllend einen mit fetten Lettern überschriebenen Artikel in einem in Hamburg täglich erscheinenden Boulevardblatt: „Konzertverbot für Blinde.“

Wie fast immer ging es um die Teilhabe eines Menschen am gemeinschaftlichen Leben, wie fast immer wurde die Sicherheit des behinderten Menschen oder seiner Umwelt vorgeschoben und wie noch häufiger ist die Unbeholfenheit, mit der Menschen (mit und ohne Behinderungen), die bei ihrem Job mit Menschen (mit und ohne Behinderungen) zu tun haben, agieren, kaum noch zu toppen.

Da will ein Paar, beide um die 50, beide haben eine Sehbehinderung, in ein A-Capella-Konzert in einem großen Konzertsaal in Hamburg. Beide haben Eintrittskarten gekauft, beide erscheinen pünktlich vor Ort; womit
der Veranstalter aber nicht gerechnet hat, ist, dass die beiden einen Blindenhund mitbringen.

Der Sicherheitsdienst darf keine Hunde reinlassen und schickt die beiden nach einiger Diskussion wieder nach Hause. Schließlich könnte der Hund im Gang liegen und bei einer Evakuierung des Gebäudes könnte jemand über ihn stolpern.

Ja nee, is klar. Während sich alle Sehenden durch die Notausgänge ins Freie schieben, weil die Hütte brennt, bleiben die beiden seelenruhig sitzen, kraulen ihr 25.000 Euro teures Hilfsmittel und wundern sich ein wenig über den Lärm und darüber, dass der Kamin so raucht und einer nach dem anderen dem Hund auf den Schwanz tritt.

Ich behaupte mal: Bei einer halbwegs geordneten Evakuierung bieten die jeweiligen unmittelbaren Nachbarn den beiden blinden Menschen an, sie unterzuhaken und nehmen sie mit raus. Selbst wenn Herrchen seinen Wauwau dabei nicht am Geschirr festhält, wird der schon mitkommen. Und bei einer Massenpanik ist es völlig egal, ob dein Nachbar dich in Todesangst mit seinem eigentlich im Boden verankerten Sitzmöbel erschlägt, dich bei seiner Flucht über den Haufen trampelt, oder ob dir der Blindenhund vor lauter Angst in die Wade beißt.

Ich finde es unglaublich, dass ein Veranstalter, der Konzerte organisiert, bei denen hunderte, tausende oder sogar zehntausende Besucher auftauchen, sich anscheinend noch nie mit der Frage beschäftigt hat: „Was mache ich eigentlich, wenn da einer vor mir steht, der eine Behinderung hat?“

Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass nicht jeder Sicherheitsmitarbeiter umfassend geschult wird. Aber die Anweisung: „Wenn da ein Behinderter auftaucht und es irgendein Theater gibt, dann nimmst du dein Funkgerät und holst mich. Du schmeißt keinen raus und zu weist keinen ab. Das mache im Zweifel ich“, sollte jeder verstehen können, der im Sicherheitsgewerbe sein Geld verdient. Entsprechend will ich mich mit dem Argument, „die Trottel vonner Security“ habens verbockt, gar nicht erst auseinander setzen. Die machen nämlich meistens
einen guten Job und sind hilfsbereit. Zu mir zumindest.

Und den Veranstalter hat auch erstmal nicht zu interessieren, ob der Hund da einen Gehörschaden nimmt. Das ist ja auch nicht der Grund, aus dem andere Hunde verboten sind. Das steht auf einem völlig anderen Blatt – und das kann ich nicht beurteilen. Es steht natürlich dem Veranstalter frei, die Polizei zu holen und denjenigen wegen eines (versuchten) Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz anzuzeigen. Aber der Konzertveranstalter kann aus dem Tierschutzgesetz keine Rechte ableiten, mit denen er die Leute des Hauses verweisen kann – nehme ich doch mal stark an.

Und zu der Frage, ob derjenige sich anmelden muss, möchte ich auch meine Sicht der Dinge darstellen (zum wiederholten Mal): Wenn da 5.000 Leute kommen, sind auch Blinde dabei. Und Rollstuhlfahrer. Und Leute mit
Herzschrittmacher. Menschen mit psychischen Erkrankungen. Diabetiker. Apotheker. Spinner. Vergewaltiger. Blondinen. Kulturbanausen. Schokoladeneis-Liebhaber. Statistiker. Blogleser. Und niemand käme auf die Idee, menstruierende Frauen von der Veranstaltung auszuschließen, weil ihre Tampons und Binden die Abwasserleitungen verstopfen könnten. Statt dessen stellt man Mülleimer und Papiertüten bereit.

Der Hund muss ja nicht im Gang liegen. Wenn es diese Bedenken gibt, hat man für blinde Menschen halt Plätze im Angebot, bei denen die Hunde nicht im Gang liegen. So einfach ist das. Wann kommen wir endlich in der
Zeit an, in der man sich nicht mehr damit rausreden kann, man habe nicht gewusst, dass Menschen mit Behinderungen am öffentlichen Leben teilnehmen?

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