Haferstich Und Mauerstein

Habe ich schon mal darüber geschrieben … ach ja. Hab ich schon. Wir trainieren ja regelmäßig in der Schwimmhalle und ich wollte nur nochmal erwähnen, dass die sanitären Anlagen für behinderte Menschen defekt sind. Und sich der Umkleideraum mal wieder nicht abschließen lässt, weil das Schloss ausgebaut wurde. Aber sonst ist alles in Ordnung, vor alle beim Eintrittspreis.

Und die Frau in unserer Bahn, die sich am Beckenrand festhielt und auf dem Rücken liegend den Kraulbeinschlag übte, störte auch nur wenig. Da wir die Bahn 1 haben, haben wir drei Beckenränder, und die Frau übte natürlich an dem, der senkrecht zur allgemeinen Schwimmrichtung liegt, soll heißen: Sie hielt sich an der Längsseite am Beckenrand fest. Zum Glück relativ mittig, so dass wir kurzerhand alle unter ihr hindurchtauchten, anstatt durch den Gegenverkehr zu schwimmen. Was sie wiederum dazu veranlasste, sich aufzuregen. Sie hätte schließlich den vollen Eintrittspreis bezahlt.

Da uns der Hafer gestochen hatte, bemühten wir uns, direkt unter der Frau auszuatmen. So ein Whirlpool ist doch angenehm, solange keiner Knoblauch oder Zwiebeln gegessen hatte. Bis sie dann irgendwann wutschnaubend das Wasser verließ und mit dem Schwimmmeister diskutierte „Gute Frau, dieses ist ein Sportbecken. Wenn da ein Dutzend Leute schwimmen will, müssen Sie schon Rücksicht nehmen und können sich nicht quer in eine komplette Bahn legen.“ – „Aber ich übe auch das Schwimmen.“ – „Aber das können Sie doch ebenso gut an der Stirnseite des Beckens, wo es nicht stört.“ – „Ich möchte es aber mittig tun, ich mag die Enge an der Stirnseite nicht so.“ – „Und wenn Sie in das andere Becken gehen wo kein Sport stattfindet?“ – „Das ist ja nur 1,60 tief.“ – „Aber dieses Becken ist an der Stelle, wo sie geübt haben, auch nur 1,60 tief.“ – „Aber es wird zum Sprungturm hin tiefer.“ – „Das stimmt.“ – „Sehen Sie, und jetzt sagen Sie bitte den anderen, sie sollen den Unfug lassen. Na los!“

Cathleen hing inzwischen neben mir am Bahnende und lauschte der Unterhaltung, bevor sie sich mit offenem Mund zu mir drehte. Der Schwimmmeister kam auf uns zu und sagte: „Der Frau ist es unangenehm, dass Sie ständig unter ihr hindurch tauchen. Könnten Sie das bitte unterlassen?“ – „Selbstverständlich“, sagte Tatjana, unsere Trainerin, die im forschen Schritt hinzukam und uns gar nicht erst zu Wort kommen ließ. Ein lauter Pfiff auf zwei Fingern, dann die Ansage: „Wir wechseln bitte alle in die Bahn 6, sofort!“

Das war die öffentliche Trimmbahn. Geil. Ich konnte mir meine Freude über das dumme Gesicht des Schwimmmeisters nicht verkneifen. In der Trimmbahn schwammen etwa zehn bis fünfzehn Badegäste. Wir haben kein Problem damit, dass da plötzlich 30 Leute in der Bahn sind, wir sind organisiert… Einige der Badegäste fügten sich einfach in unsere Abläufe ein, aber viele, die eben nicht trainierten, sondern nur konsequent ein paar Bahnen schwimmen wollten, waren völlig überfordert und sammelten sich in den Ecken, wussten nicht mehr, wann sie losschwimmen sollten, weil sie sich in dem Gewusel mit ihrem reduzierten Tempo nicht durchsetzen konnten und schon gar nicht zu Wort kamen. Es dauerte keine fünf Minuten, da verließen die ersten die Bahn und beschwerten sich wiederum beim Schwimmmeister, warum es plötzlich so voll sei.

Es dauerte noch fünf Minuten, dann hatte der Schwimmmeister seinen Chef geholt, der ebenfalls Tatjana ansprach. Der platzte der Kragen: „Wir zahlen hier eine dreistellige Summe für die neunzig Minuten, da kann ich wohl erwarten, dass wir eine vernünftige Bahn bekommen.“ – Worauf der Chef mit der Dame, die inzwischen, immernoch mitten in der Bahn hängend, Delfinkicks ausprobierte, kurzen Prozess machte: „So, würden Sie bitte in eine andere Bahn gehen, diese Bahn ist gesperrt für Vereinsbetrieb.“ – „Ich habe Ihrem Kollegen doch schon erklärt…“ – „Entweder Sie gehen in eine andere Bahn oder Sie fliegen raus. Jetzt is Schluss mit dem Theater. Ich komme in fünf Minuten wieder, und wenn da dann nicht geklärt ist, setze ich Sie alle vor die Tür. Und Sie“, sagt er zu Tatjana, „sehen zu, dass Ihre Leute sofort aus der Sechs verschwinden!“

Nachdem unser Schwimmtraining beendet war, schaute ich zusammen mit Cathleen noch in dem anderen Becken vorbei, neugierig wie wir sind. Dor hatte gerade eine andere Vereinsgruppe begonnen; keine Triathlon-, sondern eine reine Schwimmgruppe. Neben den üblichen Verdächtigen, die von einer Trainerin ihr Programm bekommen hatten, war eine junge Frau i meinem Alter mit Zerebralparese im Wasser, die Mutter saß in kurzer Hose, Top und Badelatschen auf einer Liege, die Ellenbogen auf die Oberschenkel gestützt, die Hände verirrten sich in Richtung ihres Gesichts und man sah ihr an, dass sie emotional äußerst mitgenommen war.

„Na, erstes Mal Schwimmen heute?“, sprach ich sie an. Sie war ziemlich aufgeregt: „Meine Tochter war sieben Jahre bei einer Physiotherapeutin in einer Gruppe und hat Hundepaddeln gelernt. Am Anfang waren wir froh, dass sie über Wasser bleibt, nachdem es von der Schule hieß, sie kann nicht ohne Hilfsmittel schwimmen. Die Physio hat immer gesagt: Egal wie, Hauptsache sie geht nicht unter, wenn sie mal ins Wasser fällt. Wir waren so stolz. Aber sie war sich nie richtig sicher und irgendwie haben wir immer die Worte der Schule im Kopf gehabt, dass sie es auch nie richtig lernen wird. Aber jetzt guckt doch mal! Ich würde am liebsten hinrennen und sie abknutschen. Das ist jetzt schon die zweite Bahn, die sie alleine schwimmt. Auf dem Rücken! Warum ist nur nie einer auf die Idee gekommen, sie mal auf dem Rücken schwimmen zu lassen?“

„Es braucht halt am Anfang sehr viel Vertrauen, sich rückwärts völlig fallen zu lassen in so etwas Unsicherem wie Wasser.“ – Die Mutter war mit ihren Gedanken ganz wo anders: „Jetzt guckt doch mal, wie toll sie das macht. Ich kann das gar nicht glauben. Wo ist mein Handy, ich muss das fotografieren und meinem Mann schicken, der glaubt mir das sonst nicht.“

Mir fällt dazu nur ein Satz unseres Vereinshäuptlings ein, gerichtet an seine Trainer und Übungsleiter: „Wir müssen aufpassen, dass nicht wir es sind, die den ersten Stein legen für eine Mauer, die später mal jemanden tatsächlich behindern wird.“ – Hätte die Schule dieser jungen Frau mal einen Moment länger darüber nachgedacht.

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