Ich habe weiche Lippen. Auch ohne spezielle Lippenpflege. Ich brauche keine Produkte, die meine Lippen süchtig machen und austrocknen Gerade jetzt, zu Beginn des Winters, wird man ständig angequatscht. In Fußgängerzonen, in Einkaufscentren, in Apotheken: Überall wollen sie ihre Wintercremes loswerden. Und besonders, wenn ein Lippenpflegestift dann auch noch nach Pfefferminze schmeckt, rollen sich bei mir alle 10 Fußnägel hoch.
Ich weiß, dass Marie solche Stifte auch nicht benutzt. Nicht zuletzt weil der Kuss, den ich mir ihr hatte, nicht nach Kirsch-ChapStick schmeckte.
Wir hatten auch keinen Drink in der Hand, ich habe keinen Freund, de ich das erklären müsste, und ich weiß auch ihren Namen. Insofern unterscheide ich mich etwas von Katheryn Hudson. Es hat sich aber, und da gibt es durchaus Gemeinsamkeiten zu dem Song der Kalifornierin mit dem Künstlernamen Katy Perry, richtig, falsch und ungezogen zugleich angefühlt. Und peinlich, weil wir beide nackt waren, uns Maries Mutter dabei ungeplant gesehen hat und einigermaßen irritiert war. So irritiert, dass sie sich spätabends noch ein klärendes Gespräch wünschte.
Marie lässt mich auf der sexuellen Ebene völlig kalt. Ich glaube, da ist die Voraussetzung dafür, um mit jemandem ins Bett zu krabbeln, ohn mit ihm Sex zu haben oder auch nur haben zu wollen. Marie hat, genauso wie Cathleen, bereits diverse Male mit mir zusammen in einem Bett übernachtet. Weil es mir oder ihr schlecht ging, weil kein Platz da war weil uns kalt war, weil wir zusammen in einem Bett ferngesehen haben und es anschließend für einen von uns zu aufwändig war, noch unter der warmen Decke heraus in ein kaltes Bett zu kriechen. Wir können eng zusammen liegen, diese Nähe ist für mich okay. Sie riecht gut, sie schnarcht nicht – alles okay. Anders herum oder mit Cathleen ist es genau dasselbe.
Zur Begrüßung sagen wir „Hallo“, treffen wir uns beim Sport, kann es sein, dass wir uns, genauso wie mit den anderen, nur einmal abklatschen Meistens umarmen wir uns einmal zur Begrüßung und zum Abschied. Wenn ich sie sehr vermisst oder lange nicht gesehen habe oder wenn mir gerad danach ist, küssen wir uns auch mal flüchtig auf die Wange. Ich weiß, dass andere Menschen da anders sind, und vor meinem Unfall war ich in dieser Hinsicht auch komplett anders. Ich weiß aber auch, dass ich dami heute auch nicht außergewöhnlich bin.
Wir waren gestern abend im Pool, haben, endlich nach langer Zeit, drei Saunagänge eingeschoben, und kamen in endlosen Gesprächen mal wieder auf das Thema „Jungs“. Und, um es kurz zu machen, irgendwann stellte Marie die Frage, ob ich meine, dass ich gut küssen könnte. Und nach einigem Gerede, wie man denn überhaupt gut küsst, ob Jungs gut küssen können und vier bis fünf schüchternen Küsschen auf den Mund habe wir es tatsächlich ausprobiert. Und festgestellt, dass wir beide gut küssen können. Das war alles und bereits beendet, als Maries Mutter auftauchte und uns ein Tablett mit Obst brachte. Ananasstücke, geschnittenen Apfel, … alles mögliche. Aber keine Kirschen.
Sie hat es uns auf Anhieb geglaubt. Und es war sehr gut, dass sie un gleich darauf angesprochen hat. Denn zunächst so richtig einordnen konnte ich ihre Irritation nicht. Und Marie auch nicht, bis zu ihrer Frage: „Was wäre so schlimm daran, wenn ich mit Jule zusammen wäre?“ – Worauf Maries Mutter antwortete: „Dass du es mir nicht erzählt hättest, sondern mich bewusst in dem Glauben lässt, ihr wäret beste Freunde.“