Stubbe in Rente

Nun ist Stubbe also in Rente. Nach 20 Jahren spielte seine fünfzigste und letzte Folge im Rollstuhlbasketball-Milieu und wurde in Hamburg gedreht. Ich habe sie gestern zum ersten Mal sehen können und ich fand sie insgesamt sehr gelungen. Wer sie in der Mediathek schnell noch ansehen will, sollte sich diesen Beitrag nicht durchlesen, denn sonst geht die Spannung verloren.

Apropos: Blickt man auf den Spannungsbogen und auf die kriminalistische Handlung, fand ich die Folge eher durchschnittlich. Es kamen von vornherein etwa vier Tatverdächtige plus der große Unbekannte in Frage, wenn man gleich davon ausgeht, dass die Laienschauspieler keine Hauptrolle übernehmen würden. Der große Unbekannte schied ziemlich schnell aus, weil es an Nebenhandlungen fehlte. Wobei das kein Vorwurf an den Autor sein soll, denn in einer letzten Folge ist ohnehin schon jede Menge Handlung enthalten, die da einfach reingehört, wenn man jemanden wie Stubbe pensionieren will. Ein Stubbe wird eben nicht fünf Minuten vor Ende erschossen oder fällt mit seinem Auto eine Steilküste hinab, sondern Stubbe geht schnuggelig in seinen wohlverdienten Ruhestand, mit sich, seiner Familie und seinem Job im Reinen und mit seiner Liebsten im Arm.

Das alles unterzubringen, einige tagträumerische Rückblicke auf die vergangenen fünfzig Folgen einzuflechten und nebenbei dem Rollstuhlsport noch eine angemessene Präsentationsplattform zu geben, geht einfach etwas zu Lasten der Krimispannung. Aber ich fand, das störte überhaupt nicht. Es war eine wunderschöne Samstagabend-Unterhaltung, die völlig nebenbei ein tolles Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung zeigte, von dem sich viele Regisseure eine dicke Scheibe abschneiden können. Und ich habe meinen Leuten in der WG, die mit mir zusammen den Film per Beamer an der Wand des Gruppenraums guckten, bis zum Schluss nicht erzählt, wer da gemordet hat. Die Ersten kamen erst in dem Moment, als David mit seinem Rollstuhl in der Halle umkippte und Judith ihn auf ihre Art motivierte, wieder aufzustehen, auf die richtige Fährte. „Die hat doch einen an der Waffel“, äußerten sie und sollten Recht behalten. Eifersucht auf die erfolgreiche und beliebte Maria (Jana Reinermann) sollte die bemutternde Judith (Jule Böwe) auf einen ausgeklügelten und vernichtenden Plan bringen. Fast ganz zum Schluss kommt raus, was viele schon einige Zeit ahnten: Judith hat eine völlig gestörte Wahrnehmung, erlebt sich in einen Arzt verliebt, hasst die von ihr getötete Maria, weil sie ihr leichtfertig den Doctore ausgespannt hat – und muss dann auf Stubbes Frage, ob Dr. Riedel ihre Liebe je erwidert habe, zugeben: „Er hat es nicht mal gewusst.“

Ein richtiges flüssiges Basketballspiel ist leider nicht dargestellt, dafür ist zu viel geschnibbelt worden. Aber das tut der Sportart keinen Abbruch, denn einzelne Spielzüge sind durchaus erkennbar. Die professionellen Schauspieler, allen voran Trainer Niklas (Uwe Bohm), haben hart trainiert, um Bewegungsabläufe im Rollstuhl so authentisch und flüssig wie möglich wirken zu lassen. Was gelungen ist. Die Rollstühle passten, waren qualitativ hochwertig, die Inhalte waren stimmig, die gespielten Bewegungsmuster passten zu den erwähnten Lebensgeschichten und Verletzungen (Motorradunfall etc.). Einige gute Kompensationstechniken (Aufheben eines Balls, Ein- und Aussteigen aus dem Sportrollstuhl, Ausladen des Rollstuhls aus dem Auto, Öffnen von Türen und vieles mehr), waren sehr realistisch gespielt. Es gab einige Szenen, wie das gegenseitige Umarmen in der Halle beim Gedenken an Maria oder die abschließende Spielszene, die ich emotional sehr berührend und insbesondere von den Laien wunderschön gespielt fand.

Der eher gemütliche Stubbe (Wolfgang Stumph), der nach einer gemeinsamen Zech-Einlage kaum noch geradeaus gehen kann und sich auf Trainer Niklas abstützt („Man hilft, wenn einer an den Rollstuhl gefesselt ist“) und am nächsten Morgen mit einem Seil an den Rollstuhl gefesselt aufwacht („Was soll der Scheiß? Danke für die Belehrung“) wird mir, obwohl ich die Serie früher nie geschaut habe, künftig fehlen. Sein Kollege Zimmermann (Lutz Mackensey) ist genauso herrlich auf dem falschen Dampfer und steif („Mit Minderheiten lieber eine Spur zu korrekt“) wie man ihn schon als Kriminalrat Iversen in alten Wiederholungen des Großstadtreviers schätzen gelernt hat. Uwe Bohm in der Rolle des Niklas wächst als eher arschiger Trainer in der Szene um seine potentielle Impotenz über sich hinaus („Meinst du, dass ich keinen mehr hoch kriege?“), Jule Böwe spielt ihre Rolle (Judith) einfach hervorragend und auch Jana Reinermann (Maria) fand ich in ihrer Rolle (beliebt, erfolgreich, sexy, keck und mit Hamburger Dialekt) nur traumhaft.

Nicht ganz so professionell waren einige Kleinigkeiten, die mich aber eher zum Schmunzeln gebracht haben: Während in der Halle noch die Tote liegt und man draußen den Hausmeister Müll sammeln sieht, heißt es später, der Hausmeister sei vor dem Todeszeitpunkt nach Hause gegangen. In der Rechtsmedizin wirkt es für eine Sekunde lang so, als wenn die tote Maria grinst. Als David auf der Intensivstation liegt, spricht der Arzt draußen von „schweren Schlaftabletten“, mit denen er versucht habe, sich umzubringen, was ich als Medizinstudentin mal vorsichtig belächeln möchte, ohne weiter darauf einzugehen. In einer Szene, als Stubbe auf einen Loyalitätskonflikt für das Davids Schweigen zu den Tatumständen kommt, hat seine Enkeltochter für einen Moment lang die Hosen nass. Und als Stubbe ganz am Ende in die Sporthalle geht, um nachzustellen, wie sich der Mord abgespielt haben könnte, spiegelt sich für einige Sekunden ein Beleuchtungskran und ein Lkw mit Filmequipment in der Fensterscheibe der Sporthallentür. Aber sowas sieht man vermutlich auch nur, wenn man sehr genau hinschaut. Schade war auch, dass der Abspann nicht vernünftig zu lesen war, weil bereits Werbung für den nächsten Film lief.

Meine Mitbewohnerinnen und Mitbewohner fanden den Film allesamt sehr gut gelungen. Ich habe viele positive Mails bekommen. Aus unserem Sportverein kamen auch überwiegend positive Rückmeldungen. Und, und damit möchte ich dann nun endlich abschließen: 8,57 Millionen Zuschauer schauten den letzten Stubbe (26,3 Prozent Marktanteil) und ließen die anderen Sender (5,43 Millionen Volksmusikfans auf ARD und 5,29 Millionen
DSDS-Bohlen-Freunde auf RTL) weit zurück. Schön, dass ich für einen solchen Film inspirieren durfte.

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