Ein Heli und ein Freund

Nachdem ich ja bekanntlich eher ein Anhänger dramatischer Krankengeschichten bin, eigener wie auch fremder, wundert es niemanden, wenn ich gleich drei Tage nach dem letzten Drama noch einmal nachlegen kann. Oder? Ja, ich weiß, so oft können solche Dinge nicht passieren. Aber: Trotzdem. Wer es nicht lesen will, scrollt einfach weiter.

Ich fasse mich dieses Mal mal kürzer. Ich bin mit meinem Handbike (jenes zum Vorspannen vor den Alltagsrollstuhl, also nicht mein Rennbike) zu einem Freund unterwegs. Wir wollen uns auf einen Kaffee oder eine heiße Schokolade treffen, endlich mal wieder. Mich überholt ein Rettungswagen mit Lalülala, was in Hamburg nun eher nicht so selten ist, vor allem dann nicht, wenn man gerade an einer Feuerwehrwache, in der das Ding stationiert ist, vorbei gekommen ist. Und während ich weiterfahre, höre ich über mir ein sehr plötzlich sehr laut werdendes Dröhnen. Und noch während ich kurz nach oben blicke, um zu schauen, woher der Lärm kommt, drängt sich mir ein roter Hubschrauber ins Blickfeld, der offenbar gerade landen will. Nicht direkt auf meinem Schoß, aber irgendwo in unmittelbarer Nähe.

Ich muss unter einer Eisenbahnbrücke hindurchfahren und an einer Ampel warten, und als ich auf der anderen Seite wieder freien Blick habe, ist der Hubschrauber weg. Also tatsächlich irgendwo gelandet. Und während ich um die nächste Kurve fahre, höre ich für einen Moment noch das Herunterfahren der Turbinen, das immer mal wieder von dem Straßenlärm übertönt wird. Ich bin ja kein Fan von neugierigen Gaffern, aber die Frage, wo dieser Hubschrauber geblieben ist, ließ mir nun irgendwie doch keine Ruhe. Immerhin landet er ja selten direkt neben dem
Verletzten und soooo oft bekommt man so ein Spektakel ja nun nicht geboten. Ich hielt auf einer Straßenbrücke und versuchte, auf einer etwas weiter entfernten Wiese etwas mit dem bloßen Auge zu entdecken. Nö, nix. „Na gut, dann eben nicht“, dachte ich mir. Und plötzlich kommen
aus einem Einkaufscenter, keine 20 Meter entfernt, zwei Jungs in roter Hose und schwarzer Jacke mit allem möglichen Equipment in den Händen, gehen schnellen Schrittes zu einer Treppe, die genau zu der Straßenebene
führt, auf der ich warte.

Wieso kamen die aus dem Einkaufscenter? Ich guckte genauer und sah den Heli: Oberstes Deck, Center-Parkhaus. Es hätte unter Garantie ein sensationelles Foto werden können, wenn ich dorthin fahre und mich im Rolli daneben fotografieren lasse, während das Ding ausgerechnet die vier Behindertenparkplätze auf der obersten Ebene blockiert. Oder so. Nein, keine Angst, solche Fotos wird es von mir nicht geben. „Tschuldigung“, wurde ich von dem Sanitäter angesprochen, „wissen Sie, wo hier [ein Schnellimbiss einer Mega-Franchise-Kette] ist?“ – „Hier über die Ampel, da vorne um die Hausecke, auf die andere Straßenseite, rechts am Parkhaus vorbei … ach warten Sie, ich komme eben mit. Bevor Sie sich erst verlaufen.“

„Das ist super nett von Ihnen.“ – Nein, ich habe nicht erzählt, dass ich mit genau dem Heli schonmal geflogen bin. Schließlich interessiert mich ja auch nicht, wer schonmal beinahe, kurzfristig oder sonstwie in einem Rollstuhl gesessen hat. Die beiden haben gerade andere Sorgen. „Mit dem Ding sind Sie ja richtig fix, ich komme gar nicht hinterher“, sagte der Notarzt. Ich fuhr gerade mal 8 km/h. Wenn der wüsste, dass man
mit dem Ding locker auf 30, bergab auf 40 km/h kommt… – „Da hinten links ist es. Da steht auch schon ein Rettungswagen vor der Tür.“ – „Alles klar, vielen, vielen Dank.“

Ich drehe um und fahre zurück. Schon wieder Lalülala. Dieses Mal von vorne. Die Polizei. Hält direkt neben mir mit eingeschaltetem Blaulicht in zweiter Reihe gegen die Fahrtrichtung. Und wartet anscheinend auf die
beiden, die aus dem Einkaufscenter kommen sollen. Um sie 300 Meter zum Einsatzort zu fahren? Ja, Jungs, schnell aber trotzdem zu spät. Das Fenster ist offen. „Warten Sie auf die Heli-Besatzung?“ – „Ja?“ – „Die habe ich gerade zu [Schnellimbiss einer Mega-Franchise-Kette] gebracht.“
– „Ja, der Kollege bekommt das gerade schon über Funk. Vielen Dank!“

Nein, nicht spannend? Dann sollte ich vielleicht erwähnen, dass ich beinahe mit Bus und Bahn gefahren wäre. Dann wäre die Patientin oder der
Patient vermutlich in dem Moment umgekippt, in dem ich da vorbei gefahren wäre. Auf meinen Schoß. Wetten?!

Okay. Und der Freund? Dem geht es nicht gut. Er sah nicht gut aus und
kämpft derzeit mit einer nach Jahren zerbrochenen Beziehung und damit verbunden einer Isolierung, da die Exfreundin jede Menge Müll über ihn erzählt. Ich habe ihm zugehört, sogar bei ihm geschlafen. Im selben Bett. Nein, wir hatten keinen Sex. Und auch sonst nichts. Er hat sich an
mich rangekuschelt. Ich habe ihn in den Arm genommen. Ob ich seinen Schmerz damit nun kurzfristig besser oder mittelfristig schlimmer gemacht habe, darüber möchte ich nicht nachdenken. Er sagte, es tat gut,
mal wieder ernst genommen zu werden. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was man als frischer Ex so alles durchmacht. Ich hoffe, meine nächste Beziehung endet nicht so. Noch hat sie nichtmal begonnen, noch gibt es nicht mal einen passenden Typen dazu. Aber irgendwo da draußen in der weiten Welt gibt es ihn. Ich spüre es!

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