Ordnen über Ostern

Die Reaktionen, die Resonanz, die Anteilnahme in den letzten Tagen war vielfältig und überwältigend. Ich bin insgesamt sehr aufgefühlt. Nein, es geht mir nicht gut. Darüber wird sich aber niemand wundern.

Fakt ist, dass ich seit fast einer Woche nicht mehr in meinem eigenen Bett geschlafen habe. Ich habe drei Versuche gestartet, drei Mal haben mich Maries Eltern wieder aus der Wohnung geholt. Mit Maries Mutter durch die Tiefgarage, während Maries Vater meine Mutter von mir fern gehalten hat. Sie sitzt und liegt seit einer Woche fast durchgehend vor unserer Haustür. Sie ist für Stunden immer mal weg, manchmal wird es wohl langweilig, ein anderes Mal trägt die Polizei sie weg. Nach ein paar Stunden ist sie regelmäßig wieder da.

Tagsüber taucht sie ständig in der Physiotherapiepraxis auf. Inzwischen ist unten zwar die Tür zu, so dass man klingeln muss, aber spätestens wenn jemand rausgeht, ist sie wieder drin. Vom Treppenhaus klettert sie über die außen am Haus angebrachte Feuertreppe in ein anderes Stockwerk und hampelt oben vor den Fenstern rum. Selbst abends ist es für sie eine Leichtigkeit, ins Haus zu kommen. Sobald jemand mit dem Auto aus der Tiefgarage fährt, sprintet sie durch das offene Rolltor. Da der Weg durch das Haus einer der beiden Fluchtwege ist, kann man da auch nichts abschließen. Sie kommt zu Fuß zwar nur bis ins Erdgeschoss (um weiter nach oben zu kommen, muss man durch eine Tür, die man von außen nicht öffnen kann, oder mit dem Aufzug fahren, den man drinnen allerdings auch nur mit Schlüssel bedienen kann), aber sie setzt sich dann zum Beispiel unten in den Aufzug und wartet über Stunden, bis oben jemand diesen ruft. Zack ist sie im Wohnbereich.

Inzwischen wissen zwar alle Mitbewohner, was hier los ist, aber was soll jemand im Elektrorollstuhl, der gerade genug Kraft hat, den Joystick zu bedienen, ausrichten, wenn sie sich an ihm vorbei drängelt? Da gibt es ja nicht mal die Möglichkeit, ihr über die Füße zu fahren, so schnell ist ja niemand. Fakt ist, dass meine Mutter durch ihr unberechenbares Verhalten bei meinen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern jede Menge Ängste schürt. „Irgendwann steckt sie noch das Haus an“, muss ich mir schon anhören. Ich habe zwar meine Mutter nicht beauftragt, diesen Zirkus zu veranstalten; andererseits fühle ich mich aber meinen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern gegenüber verantwortlich. Sie sollen in Ruhe leben können und nicht etwa jemanden im 5. Stock vor dem Fenster stehen haben, wenn sie morgens die Rolläden hochfahren.

In einigen Kommentaren oder Mails habe ich gelesen, dass es gut wäre, sie zwangsweise in die Psychiatrie zu stecken, alternativ in den Knast.
Auch könne ich vielleicht auf die bei psychischen Erkrankungen meistens erhöhte Suizidalität hoffen. Sie jedes Mal verprügeln zu lassen, war ein anderer Vorschlag. Einiges habe ich gar nicht veröffentlicht. Meine Mutter ist und bleibt ein Mensch. Ich sage bewusst nicht, dass sie meine Mutter ist. Aber sie ist ein Mensch. Ein kranker Mensch. Nach der gesetzlichen Lage kann man sie nicht so einfach zwangsweise einweisen, dafür müssen ganz andere Dinge passieren. Sie ist auch nicht haftfähig. Es gibt nach wie vor einen Gerichtsbeschluss, dass sie Abstand zu halten und die Kontaktaufnahme zu unterlassen hat, aber Geld ist wohl nicht zu holen und haftfähig ist sie eben nicht. Somit läuft das weitestgehend ins Leere; lediglich darf sie die Polizei nach Hause bringen. Selbst ein so genannter „Verbringungsgewahrsam“ käme nicht in Betracht. Dabei hat man früher so genannte Störer weit weg gefahren, damit sie wenigstens eine Zeitlang brauchten, um wieder zurück zu kommen.

Ein sporadischer Kontakt zu meiner Mutter kommt nicht in Frage. Warum nicht, habe ich bereits oft genug ausgeführt. Auch wenn das der eine Leser oder die andere Leserin nicht nachvollziehen kann: Ich möchte es nicht. Und es muss mein Recht sein und mein Recht bleiben, zu bestimmen, mit wem ich mich treffen möchte und mit wem nicht. Meine Entscheidung, jemanden nicht sehen zu wollen, kann nicht höher gewertet werden, als die Entscheidung eines anderen, mit mir Kontakt haben zu wollen.

Ich bin kein Fan davon, absatzweise darüber zu berichten, was alles nicht geht. Ich möchte mich mit Möglichkeiten beschäftigen, nicht mit Unmöglichkeiten. Das geht vielleicht dem einen oder anderen zu schnell, vielleicht bin ich wegen der vielen Herausforderungen, die meine Behinderung mit sich bringt, auch in gewisser Weise prädisponiert für schnelle Entscheidungen. Fakt ist, dass ich in den letzten fünf Tagen mehr Unterstützung bekommen habe als ich mir je hätte erträumen können.

Damit meine ich nicht nur die vielen Kommentare und Mails, in denen mir meine Leserinnen und Leser zuhauf angeboten haben: „Komm an meine Uni, hier ist es überwiegend barrierefrei, ich würde mich darum kümmern,
dass du die richtigen Kontakte bekommst und dich hier vor Ort unterstützen.“ – Vielen, vielen Dank! Ich bin wirklich gerührt. Dennoch habe ich die meisten davon nicht veröffentlicht, denn ich möchte im Internet keine Diskussion über meinen künftigen Studienort beginnen. Aus guten Gründen. Ich habe auch aus genau diesen Gründen auf keine einzige dieser Mails geantwortet, waren sie auch noch so nett. Woher soll ich wissen, ob das nicht eine Mail von meiner Mutter ist, die das hier mitliest und vielleicht aus einem Internet-Cafè mit mir schreibt? Und auf diesem Weg dann die Antwort bekommt: „Lieber Otto, danke für dein Angebot, aber ich habe mich bereits für die Uni in Harvestehude entschieden.“ – Oder: „Lieber Peter, das ist ja fein, dann sehen wir uns demnächst, ich liebäugel nämlich mit einem Studienplatz an deiner Uni.“
– Liest sich paranoid. Und genauso komme ich mir derzeit vor.

Mein derzeitiger Plan ist, für zwei bis vier Semester aus Hamburg wegzugehen und anderswo in Deutschland zu studieren. Ich werde meinen Platz in meiner heiß geliebten WG aufgeben. Das ist sehr schmerzhaft, aber es ermöglicht eben mir einen kompletten Neuanfang und meinen Leuten die Rückkehr zu einem ruhigen Alltag. Ich werde für ein bis zwei Jahre in einer anderen Stadt in Deutschland wohnen und dort quasi zwei bis vier „Auswärtssemester“ sammeln. Es ist absolut nicht unüblich und wird sogar empfohlen, auch mal in eine andere Uni reinzuschnuppern. Anschließend werde ich wieder nach Hamburg zurück kommen. Das möchte ich
auf jeden Fall, denn Hamburg ist meine Heimat und Hamburg bleibt meine Stadt. Ich kann nicht ohne. „Anschließend“ ist dann, wenn das Haus, das ich tatsächlich (nicht alleine) bauen (lassen) möchte, fertig ist und ich dort in eine Wohnung einziehen kann. Bis Ende Mai soll alles so weit eingetütet sein, dass es los gehen kann. Davon und darüber schreibe ich ein anderes Mal mehr. Jedenfalls gibt es hierzu recht gute Neuigkeiten.

Zum Glück sind andere Menschen in meinem Umfeld zur Zeit mindestens genauso paranoid wie ich und unterstützen mich mit ihren Möglichkeiten. Maries Mutter hat am letzten Sonntag mit jenem Professor
telefoniert, der mir vor ziemlich genau drei Jahren meinen Studienplatz eröffnet hat. Sie hat ihn bei einer Veranstaltung erreicht und er hat ihr spontan zugesagt, sich am Dienstag mit mir an einer Uni zu treffen, an der ich gerne studieren möchte. Damit hätte ich natürlich niemals gerechnet, ich hatte gehofft, er würde dort anrufen. Aber so war es natürlich noch besser. Er wollte dort zusammen mit mir mit dem Präsidenten der Uni zu reden, um einen Wechsel innerhalb eines Semsters, der normalerweise nicht möglich ist, unbürokratisch anzuschieben. Ich weiß nicht, ob er sowieso dort in der Gegend war; ich möchte nicht wissen, welchen Umweg er für mich in Kauf genommen hat, denn damit würde es mir vermutlich schlecht gehen.

Es ist im Vergleich zur Hamburger eine verhältnismäßig kleine Universität. Ich wartete vor einem Verwaltungsgebäude in strahlendem Sonnenschein. Plötzlich tauchte er auf, ich habe keine Ahnung, woher er gekommen war. Er gab mir die Hand, sagte nur kurz, dass er von Maries Mutter gehört habe, was bei mir zu Hause los sei. Es sei meine private Angelegenheit und er mische sich dort nicht ein. Aber wenn er mir helfen
könne, dann solle ich ihn anrufen. Er gab mir seine Visitenkarte. Ich will nicht zu viel über ihn sagen, aber ich wusste nicht, wie mir geschah. Der Mann ist enorm bekannt und ein weltweit geschätzter und gefragter Experte in seinem Fachgebiet. Ich übertreibe nicht und würde zu gerne auf seine Webseite verlinken, nur kann ich das gerade nicht tun, aus guten Gründen. Entsprechend war auch die Begrüßung beim Präsidenten der Universität. Ich saß in einem kleinen, hübsch eingerichteten Büro mit meinen schweißnassen Händen und einem 200er-Puls, während mein Professor sagte: „Vielen Dank, dass Sie einen Moment Zeit für mich gefunden haben.“ – Als Antwort kam wörtlich: „Es ist mir eine Ehre, Professor.“

Mein Professor sagte, es sei ihm ein bedeutendes persönliches Anliegen, dass ich mein Studium ungestört fortsetzen könne. Er erklärte, dass ich im Zusammenhang mit meinem Unfall heute massiv belästigt und verfolgt werden würde. Diese Lage sei durch die psychische Erkrankung einer Frau derart eskaliert, dass er keinen anderen Ausweg sehe, als mitten im Semester den Studienplatz zu wechseln und an eine Universität zu gehen, in der sich das Präsidium darum kümmert, dass ich in Ruhe studieren könne. Der Präsident guckte mich relativ betroffen bis geschockt an, sagte erstmal gar nichts, schluckte ein paar Mal und meinte dann: „So einen Fall hatten wir hier noch nie. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich gar nicht weiß, wie wir so etwas angehen können. Aber ich möchte auf jeden Fall helfen.“

Danach ging alles relativ schnell. Mein Professor verabschiedete sich, ließ mich draußen alleine zurück. Ich schaute mir einige Bilder an, die im Eingangsbereich ausgestellt waren. Nach einiger Zeit kam eine
Frau im Rollstuhl auf mich zugerollt. Geschätzt 30 Jahre alt, kräftiger Oberkörper, auffallend strahlend blaue Augen, dunkles, langes, krauses Haar zu einem Zopf gebunden, ungeschminkt, Brille, Batik-T-Shirt. Die Beine erschienen für die Gesamtkörpergröße ein wenig zu kurz, ich tippte auf eine angeborene Querschnittlähmung. Sie gab mir die Hand, stellte sich vor. Eine Psychologin, sie möchte sich um mich kümmern. Sie schleppte mich in ihr Zimmer ab. Bat mir, völlig ungewöhnlich, sofort das „Du“ an. Das mache sie bei Leuten im Rollstuhl immer so. „Willst du ne Cola? Oder ein Wasser? Guck dir das an, ich hab einen eigenen Kühlschrank in meiner Zehn-Quadratmeter-Betonzelle. Hart erkämpfter Behindertenbonus.“

Sie wollte hören, was mit mir los sei. Es war absolut faszinierend: Die Chemie stimmte von der ersten Sekunde. Und sie war derart einfühlsam, natürlich und aufrichtig, dass ich ihr sofort meine komplette Geschichte erzählt habe. Das alles war insbesondere deshalb so geradlinig, weil sie ungewöhnlich offen und damit – aus psychologischer Sicht – vermutlich völlig unprofessionell war. Aber es war eben keine Psychotherapie. Und ich glaube, es war professionelle Unprofessionalität. Sätze wie: „Boa, krass, ich würde durchdrehen!“ oder
„Lesen musste ich schon viel darüber, aber so live und in Farbe weiß ich gar nicht, was ich dazu sagen soll.“ oder „Was für eine verfi**te Scheiße, tschuldigung“ würde meine Krankenhauspsychologin aus Hamburg nie in den Mund nehmen.

Und dann kam von ihr: „Also, du gibst mir bitte drei Stunden, dann sehen wir uns wieder und dann mache ich dir ein Angebot. Du machst in der Zwischenzeit bitte nichts außer dich irgendwo in ein Cafè setzen und
Eis essen. Oder du legst dich auf eine Wiese an [einem Fluss] und lässt dir die Sonne auf den Bauch scheinen. In drei Stunden sehen wir uns wieder.“ – „Ich hatte sonst gedacht, ich gucke mal, ob es irgendeine Chance gibt, kurzfristig eine Wohnung zu bekommen.“ – „Mach bitte nichts. Guck dir die Stadt an, setz dich irgendwo hin, unternimm bitte nichts. Ich setze jetzt alle Hebel in Bewegung und dann möchte ich freie Schussbahn haben.“ – „Irgendwie habe ich gerade ein wenig Angst.“ – „Ich erwähne weder deinen Namen noch deine Geschichte. Ich erkundige mich nur und organisiere ein wenig. Vertrau mir.“

Es fiel mir sehr schwer, ich kannte diese Frau noch nicht mal zwei Stunden. Nach drei Stunden sahen wir uns wieder. Und ich bekam, womit ich im Traum nicht gerechnet hätte, eine Lösung auf dem Tablett präsentiert. „Also: Du kannst hier ab morgen dein Studium fortsetzen. Ich habe grünes Licht von ‚ganz oben‘ und ‚ganz oben‘ hat grünes Licht vom Land. Das kommt alles noch schriftlich, aber telefonisch ist das geklärt und offiziell bestätigt. Ich hatte Kontakt zum Landeskriminalamt, und die empfehlen dir, deinen Nachnamen ändern zu lassen. Du kannst einen Antrag stellen und fügst das Gerichtsurteil mit dem Näherungsverbot bei und holst dir mehrere Zeugenaussagen dazu, wie oft dagegen verstoßen wurde. Von Angehörigen, von der örtlichen Polizei.
Dem wird aller Voraussicht nach entsprochen. Das entscheidet das örtliche Standesamt. Deine neue Adresse wird beim Landeskriminalamt in einer Opferschutz-Akte hinterlegt. Im öffentlichen Melderegister steht nur der Hinweis auf die Akte. Gleichzeitig beauftragst du eine dir nahestehende Person, dir deine Post weiterzuleiten. Das heißt: Du gibst als Anschrift offiziell deren Wohnanschrift an und dort scannt dir das jemand oder leitet das im Briefumschlag weiter. Zum Beispiel die Mutter deiner Freundin [Marie], von der du mir erzählt hast. An deine Hausklingel kommen nur deine Initialen. Hier bei uns in der Uni wird deine Akte im Präsidium geführt, die Chefsekretärin ist die einzige Ansprechpartnerin für dich, an allen anderen Stellen gibt es deinen Namen nicht. Weder deinen alten noch deinen neuen. Und auch auf irgendwelchen Listen taucht er nicht auf. Im Einzelfall müssen wir dann schauen, wie sich das genau realisieren lässt, aber das wird funktionieren. Was sagst du dazu?“

Ich antwortete nur mit einem Wort: „Namensänderung?“

Sie sagte: „Ja. Würde ich machen. Ist der effektivste Weg, wenn nicht sogar der einzige, einen Schnitt in dein Leben zu bekommen und Verfolger abzuschütteln. Ich will nicht sagen, dass wir das von dir erwarten, aber fast ist es so: Wir wollen hier natürlich auch keinen solchen Aufwand betreiben und ab nächste Woche eine psychisch kranke Frau auf dem Unigelände haben, die alle terrorisiert. Und dann ziehst du wieder um.“

Ich antwortete; „Wieder umziehen? Erstmal muss ich überhaupt eine Wohnung finden.“ – Sie grinste mich an: „Die findest du. Wir haben gleich noch ein paar Besichtigungstermine. Wenn du möchtest. Können wir auch auf morgen früh verschieben, aber am besten wäre es jetzt gleich.“ – „Häh?“ – „Nix häh. Ich arbeite doch nicht hier ohne Kontakt zu den örtlichen Vermietern zu haben und zu wissen, wo barrierefreier Wohnraum existiert. Es gibt drei Neubauprojekte, in allen gibt es noch jeweils eine barrierefreie Wohnung, die sofort bezogen werden kann.“ – Ich stand da mit offenem Mund. – „Mund zu, Herz wird kalt“, sagte sie. „Wir sind hier nicht in Hamburg, wo man drei Jahre auf eine völlig überteurte Wohnung wartet. Ich habe drei zur Auswahl. Ich muss gestehen, ganz so einfach war es nicht, ich musste mächtig Alarm machen. Aber wir haben einen Makler in der Familie und bei dem hatte ich noch einen Gefallen offen. Ich habe ihm gesagt, er soll mal zeigen, dass er ein Fachmann ist.“ – „Bist du wahnsinnig?“, fragte ich sie. – „Ein bißchen. Du musst sie ja nicht nehmen. Aber angucken schadet nicht. Und wenn du im halben Jahr was besseres findest, ziehst du wieder aus. Aber erstmal …“

Ich habe mir nur die erste Wohnung angeguckt: Drei Zimmer, Etage 2 von 2, sechs Parteien in diesem Hauseingang, Aufzug, Tiefgaragenstellplatz, Kellerraum, Niedrigenergie-Haus mit Zentralheizung, überall Parkett, im Bad Fliesen mit Fußbodenheizung, Badewanne, ebenerdige Dusche, Einbauküche, großer Südbalkon mit Holzplanken und herrlichem Panorama, überall Rolläden und Fliegengitter vor den Fenstern, zehn Minuten zu Fuß in die Innenstadt, zwanzig zu Fuß zur Uni, zehn Minuten mit dem Auto zur Autobahn. Öffentlicher Nahverkehr
direkt vor der Tür. Verkehrsberuhigte Sackgasse, knapp 9 Euro kalt pro Quadratmeter, dazu kommen 2,35 Euro für Neben- und Heizkosten. Erstbezug.

Dann kam vom Makler: „Ziehen Sie alleine ein?“ – „Meine Freundin überlegt, auch hier zu studieren ab nächstem Semester. Sie sitzt auch im Rollstuhl und würde dann gerne mit einziehen.“ – „Die Eigentümerin möchte keine Studenten-WGs. Grundsätzlich nicht. Ich rufe sie aber an und frage, ob sie eine Ausnahme macht.“

Sie war ablehnend, ich hörte aber, wie er im Nebenzimmer ins Handy laberte, ich erfülle absolut nicht das Klischee. Dreißig Minuten später stand sie mit uns vor der Wohnung. War recht hektisch, musterte mich, fragte, welches Fach ich studiere, fragte, was Marie studierte, und sagte: „Ja. Könnten wir so machen. Sie wirken auf mich nicht wie eine Chaotin, die mir hier alles zerlegt und für Beschwerden unter den ganzen Nachbarn sorgt, weil hier eine Party nach der anderen gefeiert wird. Ich habe aber auch kein Problem, eine Rollstuhlfahrerin rauszuklagen, wenn das nicht funktioniert, wir haben in der Familie selbst jemanden mit einer Behinderung. Ich habe da also keine Berührungsängste.“

Eine Woche wollte er mir die Wohnung reservieren. Ich war gerade zurück in Hamburg, und bevor ich mich versah, saßen am Donnerstag Marie mit ihren Eltern und ich im Zug und donnerten in Richtung Süden, um die Wohnung erneut zu sehen. Der Makler hatte noch einmal Zeit, selbst die Eigentümerin kam noch einmal vorbei, um nun auch noch Marie zu mustern. Marie war absolut begeistert, Maries Mutter fand sie super, Maries Papa meinte: Zuschlagen. Maries Eltern luden uns zum Essen ein, Maries Papa meinte, ich sollte noch in Hamburg den Antrag auf Namensänderung stellen und mich mit erstem Wohnsitz bei ihm zu Hause melden und diese Adresse vom Landeskriminalamt abdecken lassen. Alternativ könnte Marie auch die Wohnung auf ihren Namen anmieten, er würde insoweit für sie finanziell bürgen, dann tauche ich nicht in irgendwelchen Dokumenten auf.

Am Donnerstagabend sind Maries Eltern mit Marie wieder nach Hamburg zurück gefahren. Ich schlafe über das Osterwochenende bei Freunden außerhalb Hamburgs. Am Dienstagmorgen treffen Marie, Maries Papa und ich
uns höchstwahrscheinlich noch einmal mit dem Makler. Bis dahin müssen wir entscheiden, was wir tun. Anschließend fahre ich zurück nach Hamburg – vermutlich, um mit dem Umzug zu beginnen. Aber noch ist nichts unterschrieben. Ich bin noch immer völlig aufgewühlt und muss erstmal alles ordnen.


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