Eine ereignisreiche Woche liegt hinter mir. Ereignisreich und voller neuer Eindrücke. Und voller neuer Entscheidungen. Nicht alles hat
so geklappt, wie ich es mir gewünscht habe. Aber insgesamt fühle ich mich auf einem sehr guten Weg. Ich kann im Moment nur bruchstückweise berichten.
Das wichtigste erstmal vorweg: Ich habe die neue Wohnung tatsächlich bekommen! Am Dienstagmorgen überlegte sich die Eigentümerin noch für einen kurzen Moment, dass sie einer Zweier-WG, wie sie angedacht ist, eventuell vielleicht doch eher nicht zustimmen möchte. Dann aber vielleicht doch, und am Ende setzte sie ihre Unterschrift auf den Vertrag – und nur das zählt. Kurzum: Ich habe zum 01.05.14 ein neues Zuhause. Ich habe auch bereits die Schlüssel bekommen. Wer nun namentlich als Mieter im Vertrag steht und wer nicht, wo ich gemeldet bin, ob es neben meinem ersten noch einen zweiten oder sogar dritten Wohnsitz gibt, lass ich einfach mal völlig offen, denn es ist nur wichtig, wenn man dummes Zeug plant. Und mit dummem Zeug ist mein Kanal inzwischen wirklich voll. Ich sag nur: Pizza-Monster!!!
Marie und Maries Eltern waren am Dienstag auch beide mit dabei. Und während ich die anstehende Veränderung noch gar nicht richtig realisiert
hatte, haben sich Maries Eltern schon richtig darüber gefreut. Bisher hatte ich ein Zimmer, künftig müssen wir eine komplette Wohnung einrichten, von daher kam als erstes die Frage: „Was willst du alles aus
dem schwedischen Einrichtungshaus haben? Zusammenbauen kannst du das alles zur Not auch mal alleine, aber ranschleppen?“ – Autovermietung, Kleintransporter ausgeliehen, losgefahren. Maries Eltern sind da sehr entscheidungsfreudig. Das Auto war absolut nicht der Hit: Ein Pritschenwagen mit Plane und mit ohne funktionierender Kupplung, hatte bereits 300.000 km auf der Uhr, dafür kostete er aber auch nur 20 Euro. Plus Kraftstoff. „Ich komme mir gerade vor wie beim Rodeo“, meinte Maries Vater, als er mit dem Ding losfuhr und die Fahrerkabine schaukelte wie eine Hamburger Hafenfähre bei Windstärke 10. Drückte mitten in der Ampelschlange auf die Hupe und entlockte dem Bock ein müdes Krächzen, kommentiert mit: „Eine akustische Signaleinrichtung ist zwar vorhanden, bei Bedarf sollte man aber lieber laut pfeifen.“ – Maries Mutter: „Nun mach nicht solchen Blödsinn, es muss ja nicht gleich
die halbe Stadt mitkriegen, dass hier jemand ein paar Fischköppe freigelassen hat.“ – Entsprechend kann sich jeder in die vor Ort herrschende Stimmung hinein versetzen.
Eine Geschirrspülmaschine gehört zur Einrichtung, eine Waschmaschine nicht. „Kauf gleich eine vernünftige, damit du auch noch was davon hast,
nachdem die Garantie abgelaufen ist“, sagte Maries Papa und handelte beim Verkäufer gleich noch 10% Rabatt raus, weil die Maschine ja nicht für ihn sondern für die Rollstuhlfahrerin ist. Erste eigene Wohnung und so. Plus Wäschetrockner. „Nicht anliefern, die nehmen wir gleich mit.“ –
Während Maries Mutter das Pritschenwagen-Ungetüm rückwärts an die Ladekante rangierte, stand Maries Papa hinten auf der Ladefläche und passte auf, dass nichts zu Bruch ging. Das war nötig, denn der Blick nach hinten war vom Fahrersitz nur über zwei bierdeckelgroße Rückspiegel
möglich, von denen einer auch noch so lose war, dass er sich unter der Vibration des Motors ständig verstellte. Als Maries Papa hinter der Plane hervorkam und runtersprang, starrte ihn eine ältere Frau an: „Sind
Sie etwa dahinten drauf mitgefahren?“, fragte sie entsetzt. Maries Vater machte ein treudoofes Gesicht, legte einen Finger über die Lippen und sagte: „Pssst! Sind wir denn schon über die Grenze?“
Weil wir möglichst wenig Platz im Bad verschenken wollen, haben wir uns für eine Wasch-Trocken-Säule entschieden, also der Trockner steht, mit einem Zwischenbausatz befestigt, oben auf der Waschmaschine. Nicht erwähnenswert, wäre da nicht wieder Maries Vater gewesen, der den Kram zusammenschraubte, während Maries Mutter im Wohnzimmer auf der Erde herumrobbte und ein Regal zusammenbaute. Plötzlich steht Maries Vater allen Ernstes mit einem rund 60 Kilogramm schweren Elektrogerät auf dem Arm im Bad und fragt: „Wohin sollte der jetzt noch gleich?“ – Während ich mir einen entsetzten Blick nicht verkneifen konnte, kannte Marie das
Theater schon: „Warte kurz, ich google das mal eben.“ – Maries Papa: „Lass dir Zeit, die Kiste ist nur geringfügig schwerer als du.“ – „Jaja,
noch ein paar solche Sprüche und die Waschmaschine kommt nach oben.“
Am Dienstagabend hatte Marie mit ihrer Familie noch einen Termin in Hamburg und ich wollte abends noch eine Freundin in Hamburg treffen, die
zu Besuch in der Stadt war. Entsprechend machten wir uns irgendwann auf
den Weg nach Hamburg. Wundert es, dass ausgerechnet mein Zug wegen einer Triebwerksstörung ausfiel und durch einen kurzfristig eingesetzten
Ersatzzug ausgeglichen werden sollte, in dem es aber nur einen statt der drei Rollstuhlplätze gab? Und der eine war natürlich besetzt. Innerhalb der drei Minuten, die der Zug am Bahnsteig wartete, war es nicht mehr möglich, jemanden davon zu überzeugen, dass ich auch woanders
sitzen könnte. Der Zug fuhr ohne mich ab. Der nächste Zug war auch bereits überfüllt und so brauchte ich für eine Teilstrecke, die man sonst in 90 Minuten zurücklegt, schonmal mehr als drei Stunden. Nach vier Mal umsteigen kam ich in Hamburg an, als meine Freundin bereits in ihrem Zug nach Hause saß. Tolles Ding.
Am Mittwoch hatte ich in Hamburg einen Termin mit dem Richter, der für die Betreuung meiner Mutter zuständig ist. Beziehungsweise: Eigentlich war es ein Termin mit der Rechtspflegerin. Frank begleitete mich und als die Rechtspflegerin wegen einer Nachfrage zum dritten Mal den Richter in seinem Zimmer anrief, meinte der irgendwann, dass er zu uns kommen würde. Nach fünf Minuten war er da, nahm sich erstaunlich viel Zeit und verlangte am Ende von mir, dass ich das, was ich ihm erzählt habe, eidesstattlich versichern würde. Die Rechtspflegerin schrieb also ein rund vierseitiges Protokoll und ich musste auf einer davor gehefteten Seite unterschreiben, dass ich „auf die Bedeutung und die strafrechtlichen Folgen einer vorsätzlich oder fahrlässig abgegebenen unrichtigen oder unvollständigen eidesstattlichen Versicherung hingewiesen wurde und hiermit die Vollständigkeit der anliegenden Erklärung bestätige und an Eides Statt versichere, dass ich nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.“ – Ich kam mir in etwa so vor wie in einem amerikanischen Krimi. Frank meinte aber hinterher, dass das ein gutes Zeichen sei, denn der Richter brauchte offenbar einen handfesten Beweis, und wenn er den so aktiv einfordert, wird er ihn auch verwenden.
Zweites Thema an diesem Tag: Namensänderung. Zusammengefasst: Aus den
vorliegenden Gründen nicht möglich. Würde ich Schulz heißen und gäbe es
in meiner Straße oder an meinem Arbeitsplatz noch eine weitere Frau Schulz, könnte ich meinen Namen ändern lassen. Aber wegen Stalking durch
die eigene Mutter? Um untertauchen zu können? Das ist nicht vorgesehen und nicht zweckmäßig. Da gebe es andere Möglichkeiten. Welche, das konnte man mir nicht sagen, denn man dürfe in dieser Hinsicht nicht beraten. Man könne aber als Frau Schulz genauso untertauchen oder Bannmeilen erwirken wie als Frau Neumann. Oder so. Oder so ähnlich.
Was ich aber am Donnerstag erreichen konnte, war eine Abdeckung der Meldedaten an meinem neuen Wohnort und an der Universität. Und: Ich kann
zwar nicht unter einem anderen Namen studieren, aber ich werde an einer
anderen Universität verwaltet und nicht in öffentliche Verzeichnisse eingetragen. Das habe man sich in Rücksprache mit der Landesverwaltung überlegt. Ich bin sehr gespannt, ob das funktioniert. Nicht nur, was die
Auskunft an Dritte (und meine Mutter) angeht, sondern auch, was die Leistungsnachweise angeht, die ich ja an einem völlig anderen Ort erbringe. Aber ich bin auch zuversichtlich, denn ich habe bisher nur verständnisvolle, bemühte und freundliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen gelernt.
In der nächsten (kurzen) Woche werde ich zum ersten Mal einen Hörsaal
von innen sehen, ab dem 12. Mai ist auch hier mein erstes Praktikum angesagt. Das ist übrigens auch die Woche, in der mein Auto endlich ausgeliefert werden soll. Mit fast einem halben Jahr Verspätung. Es wird
vermutlich die erste Woche sein, in der mal wieder etwas mehr Ruhe in mein Leben einkehrt. Was dringend nötig ist, denn ich komme mir im Moment vor wie im Flug.