Tag drei unserer Seefahrt ist bereits in vollem Gange. Eigentlich ist es keine richtige Seefahrt, denn das Boot fährt kaum. Wir liegen seit Tagen fast pausenlos vor der Küste im Mittelmeer, neben einer Sandbank, und lassen es uns gut gehen. Gestern waren wir kurz zum Shoppingbummel in Marseille. Eine Schande, dass ich von dieser schönen Stadt fast nichts anderes als einen Straßentunnel (mit Stau), einen Discounter und einen Sexshop gesehen habe. Der XX-Mega-Store in Hafennähe kann sich an Hamburgs Reeperbahngeschäften noch was abgucken, das gewünschte Lederhalsband mit Hundeleine hatten sie allerdings vorrätig… Und nach einem sonnigen Nachmittag auf der Badeplattform unserer Yacht stieg direkt nach dem Abendessen die erste Mottoparty: Dominanz war das Stichwort, und während Marie und ich noch befürchteten, man würde uns nicht ernst nehmen, bekamen wir Dinge zu sehen, die wir nicht sehen wollten und die uns ernsthaft befremdet hatten. Ich habe -eigentlich eher aus einer Albernheit heraus- Marie ein Halsband und eine Leine umgebunden und sie sich neben mich auf eine Decke legen lassen. Ein Wassernapf stand vor ihr und hin und wieder habe ich ihr ein paar Weintrauben auf einen Blechteller gelegt, die sie dann ohne Zurhilfenahme ihrer Hände gefuttert hat. Ansonsten lag sie, alle Viere von sich gestreckt, neben meinem Rollstuhl. Im Bikini. Denn wer nicht in Fetisch-Klamotten käme, müsse eigentlich nackt sein.
Ein männlicher Mitfahrer kam dazu und fragte, ob sie mit dem Schwanz wedeln könne. Marie antwortete, der sei kupiert und fragte, ob ihr Frauchen dafür nicht wenigstens eine Strafe bekäme. Irgendwie machte Marie das Spielchen Spaß, allerdings weniger aus sexueller Motivation, sondern weil sie gerne albern ist. Irgendwann fing sie an zu hecheln, ich habe ihr über den Kopf gestreichelt und sie gekrault, und einmal, als ich mich zu ihr runterbeugte, leckte sie mir mit der Zunge quer durchs Gesicht. Und während die einen uns putzig fanden, hat sich eine Frau tatsächlich mit einer Reitgerte verdreschen lassen. In deren Zimmer, aber dennoch für alle hörbar. Irgendwann lief sie aus dem Zimmer, ihr Mann mit der Gerte hinter ihr her, sie hatte totale Striemen auf dem Hintern, flüchtete auf die Badeplattform und erklärte, sie würde ihm nie im Leben die Zehen lecken. Shane stand einige Meter daneben und schloss die Tür in Richtung Badeplattform. Eine andere Frau zündete plötzlich eine Kerze an. Und während ich überlegte, was das bei der Hitze soll, nahm sie sie in die Hand und ließ das heiße flüssige Wachs ihrem Mann auf den Rücken tropfen. Der sagte kein Wort und verzog keine Miene. Autsch, autsch.
Nach gut einer Stunde waren die meisten Leute außer Sichtweite, als ich meinte: „Ich gehe jetzt mit meinem Hund ins Bett.“ – Zack, weg waren wir, Tür zu, Mottoparty beendet. Und während der eine oder andere vermutlich dachte, bei uns geht jetzt die Post ab, habe ich Marie das Halsband abgenommen und es mir auf dem Bett bequem gemacht. Flüsternd haben wir uns noch bestimmt drei Stunden unterhalten, bis sie plötzlich eingeschlafen war. Draußen war nichts mehr zu hören, und entsprechend dachte ich mir: Bevor ich nach dem ganzen Tee im Schlafen das Bett flute, roll ich lieber nochmal zum Klo. Und trinke auf dem Rückweg noch was, schließlich war es recht warm im Zimmer. Ich rollte also leise aus dem Zimmer, im Dunkeln um die Ecke – steht da plötzlich ein Typ. Ich nenne ihm mal Matthias. Ende 20, athletische Figur. Ich habe mich zu Tode erschrocken und meinte nur: „Was machst du denn hier?“
„Auf dich warten?“ – „Haha. Und sonst?“ – „Sonst nichts.“ – „Und ernsthaft?“ – „Ich hab ein wenig auf das Meer geguckt und auf die Sterne und den Mond und kann nicht schlafen, weil es so warm ist. Meine Frau schläft aber schon. Und was machst du?“ – „Ich will einmal zum Klo und was trinken.“ – „Gehen wir noch ne Runde schwimmen?“ – „Was, jetzt?“ – „Ja? Bist du schon mal im Dunkeln geschwommen?“ – „Ja.“ – „Wollen wir?“ –
„Ich weiß nicht.“ – „Na komm, ist erfrischend. Nur kurz zwei Runden um das Boot. Ich pass auf dich auf. Und wenn du willst, trag ich dich rein und raus.“
Hm. Klang irgendwie verlockend. Ob Marie sauer sein würde, wenn ich sie nicht frage, ob sie mit will? Nein. Eifersüchtig? Vielleicht, aber da muss sie durch. Sie kann das ja alleine oder wir könnten das ja zu zweit jederzeit wiederholen. Mit oder ohne Begleitung. Ich antwortete: „Okay. Aber ich möchte keinen Sex.“ – Warum eigentlich nicht? In seiner Partnerschaft nahm man dieses Thema offensichtlich nicht so genau. Ich schob den Gedanken zur Seite. Nicht beim ersten Mal und wenn, dann auf keinen Fall ohne Kondom. Er antwortete: „Ich auch nicht. Ich möchte schwimmen“, und griff mich mit einem Arm unterm Gesäß und mit einem hinter den Schulterblättern, presste mich an sich heran, so dass sein Gesicht gegen meine linke Schulter und mein Bauch gegen seine Rippen drückte, versuchte, meine Beine um seine Hüften zu legen und ging mit mir in Richtung Badeplattform. Keine Berührungsängste. Ich sagte: „Ich möchte vorher nochmal kurz zum Klo.“ – „Abgelehnt, das macht zu viel Lärm.“ – „Hey, was, wenn ich kacken muss?“ – Ich dachte mir: Socke, mach dich erstmal so unattraktiv wie möglich, bevor er doch noch was von dir will.
„Auch das kann man ins Meer machen“, sagte er. Oah, pfui. Und dann trifft man bei der zweiten Runde ums Boot alte Bekannte wieder oder was?
Aber ich hatte das auch gar nicht vor. Bevor ich mich versah, sprang er mit mir auf dem Arm ins Wasser, das hier etwa brusttief war. Der Temperaturunterschied war spürbar, und da ich weiß, wie meine Beine und meine Blase darauf reagieren, versuchte ich, schleunigst von ihm wegzukommen. Er hielt mich umso fester und es gelang ihm, mit mir im Arm einen festen Stand zu bekommen. Ich sagte: „Lass mich mal bitte los.“ – Er klammerte sich noch fester um mich. Ich wiederholte: „Lass mich bitte los!“ – Er dachte nicht daran. Vermutlich hatte er noch nicht gemerkt, was da gerade passierte, vielleicht passierte es auch noch nicht, mir war das aber trotzdem unangenehm. Ich versuchte, mich aus seiner Umklammerung zu drehen. Es gelang mir nicht. „Matthias, jetzt lass mich endlich los“, fauchte ich ihn an. Er antwortete: „Wieso bist du so garstig? Ich tu dir nichts. Ich will dir doch nur einmal den großen Wagen zeigen. Und den kleinen Matthias. Da oben am Himmel“, sagte er und zeigte mit dem ausgestreckten Arm in die Sterne. Er fuhr fort: „Ist das nicht faszinierend? Der Sternenhimmel über dem Meer? Du musst keine Angst haben, Jule, ich tu dir wirklich nichts. Ich finde dich zwar gerade wahnsinnig attraktiv und mein Herz schlägt Purzelbäume, weil du mit mir baden gehst und ich dich auf dem Arm haben darf, aber es ist alles gut. Darf ich diesen Moment noch ein paar Sekunden genießen? Und kannst du ihn bitte auch genießen? Komm, lass uns die große Jule und die große Marie am Sternenhimmel suchen.“
Ich hatte Angst. Ziemliche Angst. Erstens: Wenn ich pinkeln muss, mag ich keine körperliche Nähe. Das mag ich schon bei Maries Mutter nicht, wenn sie mich ins Meer trägt, und zu ihr habe ich ein weitaus engeres Verhältnis als zu diesem Matthias. Zweitens: Kann er mich bitte loslassen, wenn ich sage, dass ich diese enge Nähe nicht mehr möchte und nicht einfach seinen Willen duchsetzen? Ich seufzte und ließ mir den Sternenhimmel erklären. Neben dem kleinen Matthias, der großen Jule und der großen Marie kamen auch so Dinge wie Gummibären, Rasenmäher und Zombie-Augen am Himmel vor. Eigentlich wollte ich nicht, dass meine Haare nass werden, aber plötzlich schmiss er mich im hohen Bogen von sich weg und sagte: „Wer zuerst einmal ums Boot geschwommen ist, bekommt morgen die aufblasbare Schwimm-Insel mit der Palme als erstes!“ – Tja, Stinkesocken können schneller schwimmen als er dachte. Er hatte keine Chance. „Schwimmst du im Verein?“, wollte er wissen.
Nach der Runde nahm er mich wieder auf den Arm, kletterte mit mir über die Badeplattform aus dem Wasser und setzte mich wieder in meinen Stuhl. „Morgen nacht wieder?“, fragte er mich. – „Mal schauen“, antwortete ich. Spannung muss sein. Ich rollte zurück ins Zimmer, Marie schlief tief und fest. Ich legte mir ein Handtuch anstelle des Kopfkissens ins Bett, zog meinen nassen Bikini aus und legte mich direkt hin. Die letzten Wassertropfen würden bei der Wärme in den nächsten drei Minuten getrocknet sein. Irgendwie hatte dieses nächtliche Schwimmen in mir doch ein paar Glücksgefühle freigesetzt und meine kalte Haut in dem warmen Bett fühlte sich gut an. Marie schlief, und da es mir mehr darum ging, ein paar Hormone zu regulieren als mich zu verwöhnen, war ich nach etwa sieben Minuten und vierzig Sekunden auch schon einschlafbereit. Ich drehte mich auf die Seite, als Marie plötzlich dichter an mich herankuschelte und „erwischt“ murmelte. Ich konnte mir ein „Oah, Scheiße, ich dachte, du schläfst!“ nicht verkneifen. Ich spürte, wie mein Gesicht zu glühen begann. Zum Glück war
es dunkel. Marie gab mir einen Kuss auf die Wange.