Affen und Stachelbären

Dass er mittwochs seit einiger Zeit gerne abends bei uns an der Tür klingelt, ist kein Geheimnis mehr, auch wenn einige wenige Leserinnen und Leser das Thema gerne ausgespart hätten. Für die einen sind es zu viele Informationen, für die anderen zu wenig. So ist das Leben. Nur ist es so, dass ich in erster Linie für mich selbst schreibe. Was keineswegs heißt, dass ich mich nicht über meine (vielen) Leserinnen und Leser und ihre vielen ernst gemeinten Kommentare freue, ganz im Gegenteil: Ich freue mich! Was aber heißt, dass ich es in Bezug auf „Beitrags- und Gestaltungswünsche“ in meinem Blog handhabe wie ein Supermarkt: Bei Laktose-Intoleranz einfach mal die Milch links liegen lassen!

Jörn hielt mir demonstrativ einen Laborbefund entgegen, als ich die Tür öffnete. Drei Sekunden dachte ich, er wollte von mir eine Übersetzung irgendwelcher Zahlen, dann guckte ich in sein Gesicht und sah ein verschmitztes Grinsen. Jetzt begriff ich: Das Suchtest-Ergebnis auf HIV-Antikörper. Ich verzog keine Miene. Die Tür in einer Hand drehte ich mich halb um und rief: „Marie, kommst du mal bitte?“ – Marie kam angerollt. Noch bevor sie ihn sehen konnte, sagte ich: „Hier ist ein Mann vor der Tür, der möchte uns Blut verkaufen.“ – „Blut?“, fragte Marie mit großen Augen, guckte vorsichtig um die Ecke. Als sie Jörn sah, wie er mit seinem Zettel vor der Tür stand, sagte sie: „Aha?! Wir kaufen nichts an der Tür.“

Als ich die Tür wieder schließen wollte, stellte er einen Fuß in die Tür und sagte: „Ich bin ein hartnäckiger Vertreter.“ – Im gleichen Moment ging beim Nachbarn gegenüber die Tür auf. Bevor der jetzt denkt, das Theater sei echt, zog ich Jörn in die Wohnung und schloss die Tür, nahm ihm den Zettel aus der Hand und studierte das Ding aufmerksam. „Was? Wieso hast du Würmer?“ – Marie guckte mich schon wieder mit großen Augen an. Das wäre wohl der erste Befundbericht, bei dem das Labor nach HIV-Antikörpern gesucht und Würmer gefunden hat. Ich hielt ihr den Zettel hin und tippte mit meinem Zeigefinger auf eine beliebige Stelle des Papiers. Marie sagte entsetzt: „Igitt. Maden?“ – Ich schüttelte den Kopf: „Spulwürmer würde ich denken.“ – Jörn fragte völlig panisch: „Scheiße, woher hab ich die denn? Und was kann man da machen? Antibiotikum?“

Ich sagte: „Wesentlich einfacher. Du kommst jetzt jeden Mittwoch einmal zu uns und bringst einen Apfel und eine Banane mit.“ – „Und dann?“ – „Essen. Drei Wochen lang. Erst den Apfel, dann die Banane. Die Reihenfolge ist wichtig. Und in der vierten Woche bringst du einen Apfel und einen Hammer mit.“ – „Häh?“ – „Ja, da isst du den Apfel und dann warten wir einen Moment. Dann kommt der Wurm aus dem Mund und fragt nach der Banane und dann – zack! Einmal mit dem Hammer drüber.“ – „Oarr, ihr seid so doof.“

Stolze 25 Euro habe ihn der Test gekostet. Bei einer sozialen Einrichtung. Sein Hausarzt habe ihm den Tipp gegeben, das nicht bei ihm machen zu lassen, da er es sonst in die Krankenakte eintragen müsse und auch die Krankenkasse davon erfahre, dass ein Aidstest in Auftrag gegeben wurde. Das könne sich negativ auswirken, wenn beispielsweise eine Lebensversicherung abgeschlossen werden solle und die Versicherungsgesellschaft anfrage, ob chronische Krankheiten bestünden oder kürzlich ein HIV-Test in Auftrag gegeben wurde. Ob das stimmt, weiß
ich nicht. Wenn es stimmt, fände ich das sehr bedenklich.

Jörn sagte: „Woher bekommt man Spulwürmer?“ – Marie sagte: „Wenn du einen Affen knutschst. Affen haben hin und wieder Spulwürmer. Und Bären glaube ich auch.“ – „Gummibären auch?“, fragte Jörn. Ich erwiderte: „Und
Waldbären. Und Brombären. Und Stachelbären.“

Marie blödelte weiter: „Apropos Gummibären: Jörn, kannst du dir Jule in einem hautengen Latex-Catsuit vorstellen?“ – Nachdem Marie genau weiß, wie genervt ich nach zahlreichen Anfragen einschlägiger Fetischisten bin, verwunderte nur Jörn meine Reaktion: „Wir prügeln uns gleich!“ – Jörn fragte: „Magst du sowas nicht?“ – „Nein!“, giftete ich zurück und Jörn zog den Kopf ein. Die Frage, worauf ich denn „stehe“, blieb mir glücklicherweise erspart.

Nachdem nun alle drei voneinander wissen, dass wir uns bei einem potentiellen Flüssigkeitsaustausch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit unerwünschten Viren gegenseitig infizieren würden, gingen wir direkt
ins Bett in die Küche, um zusammen noch ein Brot zu essen. Also jeder eins. Auf meine Frage, ob Jörn zu Hause noch immer erzähle, dass er Regale aufbaue, bekam ich keine schlüssige Antwort. Ich sehe es schon
kommen, dass eines Tages die Mutter vor unserer Tür steht und uns sowie
die ganzen Regale kennenlernen möchte.

Es ist irgendwie lustig: Nachdem die ganzen „technischen“ Voraussetzungen geklärt sind, läuft nichts. Nach dem Abendessen haben wir uns in der Küche ein paar Fotos auf dem Laptop angeschaut, dann ist er wieder nach Hause gefahren, nachdem seine Mutter ihm mindestens fünf SMS geschrieben und gefragt hat, wie lange er noch unterwegs sei. Einerseits will ich ja durchaus mal ein wenig mehr von ihm, andererseits
will ich auch nichts überstürzen. Und es muss vor allem passen. Richtiger Moment und so. Es bleibt spannend.


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