Haare waschen und Spaghetti

Mein persönlicher Schwimmtrainingsplan richtet sich zurzeit nach zwei Dingen. Erstens nach meiner umfangreichen Arbeitszeit. Zweitens nach Philipp. Ich schwimme wesentlich leichter und schneller, wenn er auch im Becken ist. Und das muss nicht mal dieselbe Bahn sein. Außerdem funktioniert es wie bei der Homöopathie: Man muss nicht mal wissen, ob er da ist, es wirkt einfach.

Zum Glück herrscht zwischen uns unausgesprochen Einigkeit, dass wir im Trainingsbecken und damit vor anderen Schwimmerinnen und Schwimmern nichts anderes machen als Schwimmen. Damit will ich keineswegs andeuten,
dass ich mir nichts im Wasser vorstellen könnte. Aber wenn, dann da, wo
es niemand mitbekommt oder zumindest niemanden stört. Also ein wenig knutschen oder fummeln vielleicht abends im Whirlpool und alles andere nachts am Strand. Oder so.

Aber geduscht haben wir erneut gemeinsam. So ein separater Behindi-Duschraum hat natürlich auch seine Vorteile. Philipp ist sehr zurückhaltend, beinahe schüchtern. Weil er sonst überhaupt nicht zurückhaltend wirkt oder auftritt, finde ich das irgendwie süß. Ich denke inzwischen schon, dass er was von mir will. Jedenfalls habe ich mich auf den an der Wand befestigten Klappsitz gesetzt, und zwar mit dem
Gesicht und den Knien zur Wand, und ihn gefragt, ob er mir die Haare wäscht. Und während er mir zunächst die warme Dusche über den Kopf hielt, fragte er, ob er mir dazu meinen Badeanzug runterziehen dürfte. Nachdem wir letztes Mal schon nackt zusammen geduscht haben…

„Ich habe noch nie einem anderen Menschen die Haare gewaschen“, meinte er. Ach, ich weiß nicht, auch das ist irgendwie süß. Dass er es noch nie getan hat und dass er das auch gleich so sagt. Andererseits: Gemerkt hätte ich es sowieso. Die meisten Menschen, die sich noch nie um
sowas gekümmert haben, sind viel zu vorsichtig. Aus Angst, was kaputt zu machen oder dem anderen weh zu tun. So war es auch bei Philipp: „Fass
doch mal kräftiger zu! Oder wie wäscht du dir die Haare? Ich bin doch nicht aus Zucker.“

Jedenfalls machte es ihm Spaß. Er lehnte sich von hinten gegen mich, damit ich stabil sitzen würde. Das wäre zwar nicht nötig, aber er suchte
den engen Körperkontakt. Aber eben auch nicht aufdringlich, sondern eher subtil, und trotzdem spürte ich einiges am Rücken, was mir ein Grinsen ins Gesicht trieb. „Darf ich dich auch einseifen?“, wollte er allen Ernstes wissen. Ich räkelte mich dabei und führte einmal seine vorsichtigen Hände über meinen Oberkörper, denn auch mein Bauch und die darüber liegenden wohlig weichen und unter dem Duschgel oberflächlich glitschigen Partien sollten von dem Schaum benetzt werden. Es würde mich
nicht wundern, wenn seine Zurückhaltung daraus resultiert, dass er gerade absolutes Neuland betritt. Ich müsste nur noch herausfinden, ob das Neuland meine Behinderung oder meine Weiblichkeit ist.

Ich hätte mir erneut alles vorstellen können, aber ausgerechnet im spannendsten Moment klopft jemand gegen die Tür. Ob es noch lange dauern
würde. Ich verdrehte die Augen. Wie sich am Ende herausstellte, war es nicht mal jemand mit Behinderung, sondern einfach ein Typ, dem der Weg von den Umkleiden zum regulären Klo zu weit war, so dass er die eigentlich für Menschen mit Behinderung reservierten Sanitäreinrichtungen verschmbenutzen wollte. Und der wartete auch
noch, bis wir raus kamen. In der Zeit hätte er die andere Toilette zehn
Mal aufsuchen können.

Auf jeden Fall haben wir uns verabredet, dass ich in der nächsten Woche einen Abend zu ihm kommen soll. Seine Hütte sei nicht barrierefrei, aber wir könnten vielleicht, wenn das Wetter gut ist, ein wenig Handbike und Fahrrad fahren und anschließend gemeinsam was kochen.
Oder, wenn das mit dem Rollstuhl nicht geht, bekocht er mich und ich unterhalte ihn dabei. Vielleicht, wenn er seine Eltern noch beschäftigen
kann, hätten wir sogar mehr als die zwei Kochplatten seiner Mini-Kochnische. Ich werde natürlich da sein. Und selbst wenn es am Ende
Spaghetti mit Tomatensoße wird (was man wohl auf jeden Fall mit zwei Kochplatten hinbekommt, notfalls auch mit einer) – ich freue mich schon.
Mal sehen, ob wir, ohne zu fallen, die Treppen rauf und wieder runter kommen. Ich bin bin übrigens lieber huckepack als auf dem Arm. Und ich hoffe, mein Querschnitt (mit allem, was so dazu gehört und was irgendwie
besonders ist) wird nicht zum Spielverderber. Und wir essen nicht nur, sondern es gibt auch Nachtisch. Oder so.

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