Nicht gedopt

Ich ziehe nach Feierabend meine Bahnen durch das Schwimmbecken. Wegen des bislang dürftigen norddeutschen Sommers im Hallenbad. Mit mir teilt sich eine Frau die Bahn. Es ist öffentliche Schwimmzeit, wenig los, die Frau hält relativ genau eine Bahnlänge Abstand zu mir, schwimmt
in ungefähr gleicher Geschwindigkeit. Plötzlich ist sie direkt hinter mir, muss also auf halber Strecke gewendet haben. Ich hatte nicht damit gerechnet, erschrecke mich sogar ein wenig.

Wie könnte es anders sein? Sie spricht mich an. Und tut dabei sehr geheimnisvoll. „Hey, nimmst du Medikamente?“, möchte sie von mir wissen.
Ich mustere sie einmal, schätze sie etwa drei bis vier Jahre jünger als
mich ein, beschließe dann, sie zu ignorieren und schwimme meine nächste
Bahn. Mein Magnet, der hin und wieder alle lustigen und weniger lustigen Menschen anzieht und sie mit mir reden lässt, scheint mal wieder in Bestform zu sein. Sie schwimmt in einigem Abstand hinter mir her, wendet kurz hinter mir, und nach weiteren fünfzig Metern spricht sie mich erneut an: „Sag doch mal bitte, es ist wichtig.“ – „Warum willst du das wissen?“, frage ich zurück.

Sie antwortet mit einer Gegenfrage: „Kannst du für mich pinkeln? Bitte!“ – Wat is los?! Es ist abends, ich habe bereits abgeschaltet, will nur noch entspannen. Ich schwimme eine weitere Bahn hin und zurück.
Sie hält so vor mir an, dass ich um sie herum schwimmen müsste, zieht ihre Schwimmbrille hoch, weint. „Bitte!“, fleht sie mich an. Erst jetzt begreife ich langsam, was sie will. Ich schaue mich unauffällig um und sehe eine Frau mittleren Alters, die, mit Jeans und Polohemd bekleidet, auf einer Liege am Beckenrand Platz genommen hat und uns halbherzig beobachtet, während sie mit einem Smartphone herumspielt.

„Hast du was genommen?“, frage ich sie. Sie antwortet: „Sonst nie. Ich schwöre. Aber auf der Party am letzten Wochenende ging ein Joint rum. Ich habe einmal gezogen. Scheiße. Aber nur einmal. Das ist alles. Ehrenwort.“

Ich verstehe sie nun doch nicht so ganz. Die Wahrscheinlichkeit, dass
ein einmaliges Ziehen an einem Joint nach vier Tagen im Urin noch nachweisbar sein soll, geht gegen Null. Außerdem ist der Konsum von THC nur im Wettkampf verboten, im Training nicht. Ich bin mir nicht mal sicher, ob bei verdachtsunabhängigen NADA-Trainingskontrollen überhaupt auf THC geprüft wird. Ob man als Leistungssportlerin so etwas konsumieren soll, steht auf einem anderen Blatt. Hier geht es im Moment ja nur darum, ob sie gegen Dopingregeln verstoßen hat und ob das nachweisbar wäre. Schätze ich.

Ich verzichte darauf, ihr den Rat zu geben, in Absprache mit der Kontrolleurin jetzt möglichst viel zu trinken. Die Chance, dass sich ein
gerade noch messbarer Rest jetzt noch ausschwemmen lässt, steigt wohl von Stunde zu Stunde. Es könnte dann zwar sein, dass ihr Urin dadurch so
dünn wird, dass die spätere Probe verworfen werden muss, aber die nochmalige Kontrolle in einigen Tagen würde ihr Problem doch gänzlich aufgelöst haben. Folglich würde ich ja der Kontrolleurin erzählen, jetzt
noch nicht pinkeln zu können. Was zur Folge hätte, dass sie mir so lange Wasserflaschen an den Beckenrand stellt, bis genügend Urin in der Blase ist. Und ich sie damit quasi vorher noch eine Zeitlang unbeobachtet spülen könnte.

Aber sowohl aus ethischen als auch aus sportlichen Gründen sage ich nur: „Ich bekomme Medikamente für meine Blase, die man anmelden muss. Ich kann dir da nicht helfen.“ – Sie antwortet: „Doch, bitte. Sie testen
nur auf Cannabis. Ich mache gerade einen Entzug. Ich kann nicht so lange labern, sonst fällt es auf. Kannst du nicht einfach einen Becher im Rolliklo stehen lassen?“ – Ach daher weht der Wind. Doch keine Dopingkontrolle. Und wieso fragte sie mich, ob ich Medikamente nehme? Um
mit mir ins Gespräch zu kommen? „Ich kann dir da nicht helfen, tut mir leid.“

Ja, das mag einigermaßen spießig klingen. Aber warum sollte ich da irgendwas verdrehen? Ich würde ihr damit kaum einen Gefallen tun. Außer vielleicht für einen kurzen Moment.

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