Laubfrosch und Bettgeschichte

Da ich im Moment nicht den Stationsalltag miterlebe, kann ich mit Marie nicht mithalten, die mir jede Woche neue Kuriositäten erzählt. Meine wenigen Patienten, mit denen ich zu tun habe, schlafen die meiste Zeit. Mehrmals wurde ich gefragt, ob es bei uns üblich ist, dass Darmspiegelungen unter Vollnarkose gemacht werden. Die Antwort lautet: Nein. Üblich ist es keineswegs, sehr viele Patienten wünschen aber eine Sedierung, oft sogar auch eine Kurznarkose. Ich kenne keine repräsentativen Zahlen, aber vom reinen Bauchgefühl her würde ich sagen:
Zwei Drittel unserer Patienten wollen dabei lieber schlafen. Männlich wie weiblich.

Aber ein paar außergwöhnliche Begegnungen hatte ich in den letzten Wochen durchaus. Viele Menschen sind, gerade vor Eingriffen oder aufwändigeren Untersuchungen, sehr angespannt, und jeder verhält sich dann anders. Einige werden sehr redselig, kumpelhaft, enthemmt. So war es auch bei einer etwa fünfzigjährigen Frau, die mit mir überhaupt nichts zu tun hatte. Sie sah mich in grüner Hose und grünem Hemd über den Flur rollen und rief mir hinterher: „Haha! Ein Laubfrosch im Rollstuhl! Das sieht man wohl auch nicht alle Tage!“ – Der dazugehörige Mann legte, während er neben ihr saß, sein Gesicht in seine Hände. Ihm war der Kommentar sichtbar unangenehm. Ich guckte die Frau nicht an, sondern rollte weiter meinen Weg und machte dabei einmal „quaaak“. Irgendwie juckte mir gerade das Fell.

Während die nächste Elektrotür hinter mir zufiel, hörte ich die Frau sagen: „Siehste, die hatte wenigstens Humor.“ – Auf dem Rückweg saß nur noch der Mann dort. Er sprach mich an: „Ich möchte mich für meine Frau entschuldigen. Sie ist immer so aufgeregt, wenn sie zur Spiegelung muss.
Dann sagt sie manchmal Sachen, die sie sonst nie sagen würde.“ – Ich antwortete: „Naja, mit dem Frosch hatte sie ja nicht ganz Unrecht. So sehr, wie wir hier manchmal herumspringen müssen, und dann auch noch in grün, kann der Eindruck schonmal entstehen.“

Außergewöhnlich war auch ein asiatischer Patient auf Familienbesuch in Europa, der über Leibschmerzen klagte. Er sollte Blut abgenommen bekommen und in einen Becher pinkeln. Das mit dem Blut abnehmen klappte wunderbar, das mit dem Becher hat er aber nicht verstanden. Seine (deutschsprachige) Frau hat ihm das noch einmal übersetzt, aber er kam zurück mit einem gut gefüllten Becher. Nein, keine Spermaprobe (wie bei Pastewka), sondern was anderes. Mehr als randvoll. Ich wundere mich noch
heute, ob es diese Art Untersuchung in Asien nicht gibt. Oder er uns darauf hinweisen wollte, dass sein Stuhl hellgelb ist.

Lustig war auch ein Patient, um die zwanzig Jahre alt, mit Trisomie 21. Er kam mit einem Betreuer. Ich war eigentlich nur Zuhörerin, aber der junge Mann kam sofort auf mich zugelaufen und gab mir die Hand. „Hallo schöne Frau“, begrüßte er mich. Ich antwortete: „Na, junger Mann,
verteilen Sie heute Komplimente?“ – Der Dialog ging ähnlich putzig weiter: „Nicht nur heute, an schöne Frauen immer! Arbeitest du hier?“ – „Ja. Und Sie? Was führt Sie hierher?“ – „Mein Betreuer. Du kannst aber ruhig ‚du‘ zu mir sagen, ich bin Lutz.“ – „Hallo Lutz.“ – Er nahm erneut
meine Hand und deutete einen Handkuss an. Dann fragte er: „Warum sitzt du im Rollstuhl? Kannst du nicht laufen?“ – „Nein, ich kann nicht laufen.“ – „Hast du einen Unfall gehabt?“ – „Ja, ich bin vom Auto angefahren worden.“ – „Hat das weh getan?“ – „Ich habe nicht viel gemerkt davon, weil ich schnell ohnmächtig geworden bin.“ – „Das hast du
gut gemacht.“

Ich guckte die Ärztin an, bei der ich eigentlich zugucken sollte. Sie
grinste von einem Ohr zum anderen und nickte mir zu: Mach mal weiter. Ich fragte: „Und du? Bist du krank? Oder warum bist du hierher gekommen?“ – „Wenn ich Aa mache, tut es manchmal weh. Das ist ganz hart und manchmal blutet das.“ – „Woher weißt du, dass es blutet?“ – „Ich hab
mir die Wurst genau angeguckt und die war oben rot.“ – „Und hattest du auch Blut am Klopapier?“ – „Woher weißt du das? Weil du Arzt bist? Ärzte
wissen immer alles. Das ist gemein, weil man da keine Geheimnisse haben
kann.“ – „Doch, du darfst auch Geheimnisse haben.“ – „Mein Arzt weiß auch immer alles. Aber er hat gesagt, ich darf mit […] im Bett schmusen.“ – „Wenn er das sagt, dann wird es wohl stimmen. Ist […] deine
Freundin?“ – „Nein, sie ist nur eine Bettgeschichte, aber das darf keiner wissen.“ – „Findest du das nett?“ – „Ich warte noch auf eine hübsche Frau. Aber bis die kommt will ich auch Spaß haben. Hast du schon
einen Freund?“

Ich antwortete ohne zu überlegen: „Ja.“ – Und war froh, so verhindern
zu können, dass er mir gleich nach drei Minuten einen Heiratsantrag macht. Allerdings hatte ich damit eine andere Steilvorlage geliefert: „Habt ihr auch Spaß im Bett?“, wollte er wissen. Ich antwortete: „Na klar!“ – „Findet eine Frau das auch schön, wenn ein Mann Liebe mit ihr macht?“ – „Das empfindet jede Frau anders.“ – „Machst du oft Liebe mit deinem Freund?“ – „Im Moment sehe ich ihn nur am Wochenende. Aber dann machen wir Liebe miteinander.“ – „Dann ist dein Freund ein richtiger Glückspilz.“ – „Danke.“

Was ich so drollig fand, war einerseits sein Bedürfnis, Gemeimnisse haben zu wollen, andererseits gleich intimste Details auszuplaudern. Was
ich ein wenig fragwürdig fand, war sein Egoismus: Bettgeschichten haben
ja ganz viele Leute, die fand ich früher auch „schlimmer“ als heute. Aber dass er mit ihr Liebe macht und nicht beide zusammen, darüber würde
ich zumindest nochmal genauer reden. Wenn ich sein Betreuer wäre.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert