Klogespräche

Ich bilde mir nicht ein, ein Kind erziehen zu können. Vor allem kein fremdes Kind. Daher halte ich mich mit Kritik an den Erziehungsmethoden anderer Menschen lieber zurück. Lächeln und Kopfschütteln sollte aber erlaubt sein.

So erging es mir heute. Ich war mit Marie auf dem Klo. Ja, Mädchen gehen ja immer zu zweit dorthin. Es war eine öffentliche Anlage, Marie brauchte jemanden, der ihr Spiegel und Licht beim Kathetern hält, um sich in dem eher ekligen Raum nicht komplett die Hose und die Schuhe ausziehen zu müssen. Zum Glück stank es dort nicht und es waren keine groben Verschmutzungen sichtbar, dennoch weiß man ja immer nicht, welche
unsichtbaren Geschöpfe einen dort anspringen. Während Marie ihr Equipment aus dem Rucksack räumte, spielte ich mit meinem Smartphone.

Das Gebäude, ein allein stehendes WC-Gebäude, war bis zum Giebel vermutlich vier bis fünf Meter hoch. Die barrierefreie Kabine hatte einen separaten Eingang und war von dem Rest des Gebäudes mit einer rund
zweieinhalb Meter hohen gefliesten Trennwand separiert. Oben war ein Metallgitter als Zwischendecke eingezogen, vermutlich um zu verhindern, dass irgendwelche Knalltüten über die Wände klettern, filmen oder nasse oder brennende Klopapierrollen in die Nachbarräume auf das andere Geschlecht werfen. So war man von Blicken geschützt, nicht aber von Gerüchen und Geräuschen.

Gerüche waren, wie gesagt, ausnahmsweise mal nicht so das Problem, wohl aber Geräusche. Es ließ sich nicht vermeiden, eine Mutter mit ihrer
geschätzt vierjährigen Tochter zu belauschen. Zuerst maß ich dem Gespräch überhaupt keine Bedeutung zu, mit der Zeit blickte ich aber von
meinem Handy hoch und glotzte Marie entsetzt an, die ebenfalls schon die Luft anhielt. „Darf man hier auf den Fliesen einen Bach machen?“ – „Nein, Mami.“ – „Und ins Waschbecken?“ – „Nein.“ – „Und auf das Klopapier?“ – „Auch nicht.“ – „Und darf man einen Stinker auf die Klobrille machen?“ – „Hihi, nein, Mami.“ – „Und auf den Fußboden?“ – „Auch nicht.“ – „Und ins Waschbecken?“ – „Nein.“ – „Und in den Schlüpfer?“ – „Auch nicht.“ – „Wo gehört der Stinker hin?“ – „In die Toilette.“ – „Und wohin noch?“ – „Das Spiel ist langweilig.“

Marie hob den Daumen und hätte fast applaudiert. Ich schüttelte den Kopf. Das langweilige Spiel ging noch weiter. Als nächstes wurde besprochen, ob man in Etappen oder mit durchgehendem Strahl pinkeln, ob man mit großer oder kleiner Taste spült, ob man Papier lieber faltet oder lieber knüllt, wieviel Blatt man nimmt und dass man immer das erste
Blatt verwirft, denn das könnte jemand angefasst haben. „Und wie lange muss man warten?“ – „Bis es aufhört zu tropfen und der Pups rausgekommen
ist.“ – „Prima!“

Marie verdrehte die Augen. Irgendwann waren die beiden wieder draußen. Man hörte eine Männerstimme: „Nu weisste Bescheid.“ – In dem Moment konnten wir unser Gelächter nicht mehr länger zurückhalten. Der Mann, wo auch immer er sich versteckt hatte, lachte mit. „Das Trauma wird die Kleine ein Leben lang begleiten“, meinte er dann über die Kabinenwand hinweg. Damit könnte er recht haben.

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