Es war mal wieder eine aufwühlende Zeit. Der Schichtdienst, in den man mich inzwischen mehr oder weniger vollständig eingebunden hat, ist eine ziemliche Herausforderung. Ich meine, einerseits bin ich ja froh, dass dieses Krankenhaus mich „normal“ behandelt und mir vertraut. Und offenbar mit dem, was ich in meiner Schicht tue, einverstanden bis zufrieden ist. Vielleicht ist es auch einfach nur der Personalstruktur geschuldet, so dass man alles einsetzt, was irgendwie ein Stethoskop und
ein Telefon richtig herum halten kann. Denn eigentlich soll man im PJ …
ach, lassen wir das.
Andererseits weiß ich schon jetzt, was ich später nicht machen möchte. Auch wenn es mir irgendwie Spaß macht. Aber in einer chirurgischen Aufnahme hat man zwangsläufig mit Menschen zu tun, mit denen man eigentlich nicht zu tun haben möchte – falls mal jemand fragt.
Man lebt nicht nur gefährlich, sondern hat oft das Gefühl, sich schlafen zu legen wäre sinnvoller als zu arbeiten. Zum Beispiel, wenn jemand mit einem eingewachsenen Nagel nachts um halb drei von mir verlangt, die Blutung am kleinen Zeh zu stillen. Oder in einer herbstlich bedruckten Serviette fünf haselnussgroße stinkende Kotkügelchen mitbringt, um ein Abführmittel ausgehändigt zu bekommen.
Vor zwei Monaten hatte ich über einen Nachbarn geschrieben,
der mit 71 Jahren nach hohem täglichen Alkoholkonsum in „mein“ Krankenhaus eingeliefert wurde. Er hatte einen Entzug begonnen und ich war verhalten optimistisch, dass er anschließend auch versuchen wird, die psychische Abhängigkeit in den Griff zu bekommen.
Ich habe ihn in meiner Dienstzeit mit dem Segen meiner Chefin immer mal wieder besucht. Einmal pro Schicht. Einerseits, weil ich natürlich wissen wollte, was aus ihm wird. Andererseits, weil er keinen Besuch bekam. Von niemandem. Niemand aus der Familie interessierte sich für ihn. Keine Freunde, einfach niemand. Absolut traurig.
Gleich bei meinem ersten Besuch sprach mich der behandelnde Assistenzarzt an. Wollte weitere Informationen von mir, die ich aber gar
nicht hatte. Wir lebten schließlich nur unter einem Dach, hatten sonst nichts miteinander zu tun. „Er hat nach dir gefragt. Und er hat gesagt, dass ich mit dir alles besprechen soll und du für ihn entscheiden sollst, was gut für ihn ist.“ – „Das möchte ich gar nicht. Er kann sich mit mir gerne beraten, sofern ich das als PJlerin überhaupt überblicke, aber ich werde nichts für ihn entscheiden.“
Ich sprach ihn darauf an. Er relativierte: „Es ist so, dass hier alle
paar Stunden jemand anderes für mich zuständig ist. Dann wieder der eine, dann wieder der andere. Je nach Schicht. Zu Ihnen habe ich Vertrauen. Können wir nicht miteinander sprechen, bevor ich wichtige Entscheidungen treffe?“
Also habe ich mich informiert. Mit den ersten Untersuchungen hatte man eine Anämie festgestellt, also einen Blutmangel. Dabei ist zu wenig Hämoglobin im Blut. Hämoglobin ist ein Protein, das den Sauerstoff transportiert. Hat man zu wenig davon, muss das Herz schneller schlagen,
um den Sauerstofftransport im Blut aufrecht zu halten, und man ist ständig „außer Atem“, schon bei geringer Belastung. Die Ursache könnte falsche Ernährung sein, so dass zu wenig Eisen aufgenommen wird. Ohne Eisen gibt es nicht genug rote Blutkörperchen, ohne neue rote Blutkörperchen gibt es kein neues Hämoglobin. Es kann aber auch ein Blutverlust ursächlich sein. Oder beides. Oder noch was anderes.
Nun hatte man bei ihm sowohl eine Mangel-Ernährung angenommen (er hatte sich ja fast nur noch von alkoholischen Getränken „ernährt“), zumal auch alle wichtigen Vitamine fehlten, was insbesondere bei verschiedenen B-Vitaminen auch höllische Nervenschmerzen machen kann, hatte aber auch Werte im Blut gemessen, die auf einen entzündlichen Vorgang im Körper hinwiesen. Und eine Entzündung kann auch mit Blutverlust einhergehen.
„Sie wollen, dass ich eine Magenspiegelung machen lasse“, sagte er. „Würden Sie mir das zu- oder abraten?“ – „Weder noch“, sagte ich. Ich erklärte ihm, was da passiert, und welchen Sinn es hat. Am Ende stimmte er zu. Ich fragte meine Chefin, ob ich dabei sein dürfte. Ich durfte. Und ob es ihm recht wäre. Sehr recht. Und wie zu erwarten war, nach jahrelangem Alkoholmissbrauch, war die Magenschleimhaut überall entzündet, zwei blutende Geschwüre am Übergang zum Zwölffingerdarm zu sehen – könnte sein, dass daher die Entzündungszeichen im Blut kamen.
Nach der Narkose entwickelte er ein Delir, also eine Verwirrtheit. Er
wusste teilweise nicht mehr, wo er war, wer er war, war unruhig, fahrig, redete dummes Zeug. Von nächtlichen Überfällen durch irgendwelche Gangster (vermutlich hatte jemand Fieber gemessen). Das ist
nicht ungewöhnlich. Zwischenzeitlich, vor allem morgens, wurde er aber wieder klar. An einem Morgen sprach mich die Schwester an: „Ihr Vater hat nichts anzuziehen. Vielleicht schaffen Sie es ja trotz Ihrer Behinderung mal, drei Hemden oder so zu kaufen.“
Was für eine blöde Schrippe! Nicht, weil sie annahm, er könnte mein Vater sein. Sondern für diese Bemerkung mit der Behinderung. Dennoch fuhr Socke nach Feierabend bei Clemens und August vorbei, um ein paar Schlübber und ein paar T-Shirts für ihn zu kaufen. Und Socken, weil er kalte Füße hatte. Socke veranlasste auch, dass der Friseur und die Fußpflege zu ihm kamen, da weder die langen Haare noch die langen Fußnägel wirklich schön aussahen. Das alles kostete mich mal eben 90 Euro.
Alkohol wollte er keinen. „Ich trinke nicht mehr“, sagte er. Seit Tagen bekam er immer wieder Fieberschübe. In einer Blutkultur stellte man fest, dass sein Blut mit Alpha-Streptokokken besiedelt war. Man weiß, dass diese ebenfalls Hämoglobin abbauen. In diesem Fall vermutete ich, dass sie über die kariösen Zähne in die Blutbahn gekommen waren. Viele dieser Stämme greifen die Herzklappen an, teilweise so sehr, dass sie durch künstliche Herzklappen ersetzt werden müssen. Erstmal konnte ein Antibiotikum erreichen, dass der Befall massiv eingedämmt wurde. Solange die Baustellen im Mund jedoch nicht geschlossen werden, wäre der
Erfolg aber wohl nur von kurzer Dauer.
„Können Sie mir einen Gefallen tun?“, fragte er mich an einem Morgen,
völlig klar. Ich antwortete: „Das kommt auf den Gefallen an.“ – „In meiner Wohnung liegt Geld. Mein Nachbar, der Herr …, hat einen Wohnungsschlüssel. Ich möchte nicht, dass das Geld plötzlich weg ist. Ich möchte, dass Sie sich Ihr Geld für den Friseur und die Fußpflege und
die Hemden rausnehmen und den Rest sicherstellen. Machen Sie das für mich? Ich wüsste nicht, wen ich sonst fragen sollte.“ – „Eigentlich nicht.“ – „Bitte.“ – „Ich überlege es mir.“
Wollte ich mich da so einbringen? Und einbinden lassen? Andererseits war er nicht nur ein Patient, sondern auch ein Nachbar. Und ich war offenbar im Moment die einzige, die sich um ihn kümmerte. Ein wenig. Ich
sprach mit meiner Chefin. Sie riet mir ab. Am Ende müsste ich es selbst
entscheiden, verbieten könnte mir das niemand. Bei einem Patienten sehe
sie Interessenkonflikte, da würde sie es verbieten, hier sei es zusätzlich ein Nachbar. Schwierige Situation. „Wenn du da rein gehst, nimm einen Zeugen mit. Und zieh dir Handschuhe an, wer weiß, was da alles lebt und wohnt.“
In einer Schublade im Schlafzimmer sei ein Umschlag mit mehreren Scheinen. Ich sagte, ich würde mit einer Freundin dort hingehen, damit ich einen Zeugen habe. Er sagte: „Wenn Sie das Geld unterschlagen, ist es weg. Das ist mir aber viel lieber, als wenn der Nachbar es klaut. Aber ich weiß, dass Sie ein ehrlicher Mensch sind.“ – „Ich mache es nur unter einer Bedingung: Ich zähle es in der Wohnung und überweise es auf ihr Girokonto, bevor ich es an mich nehme. Ich möchte nicht mit Geld herumlaufen, das mir nicht gehört.“ – „Das ist eine gute Idee. In der Schublade liegt auch meine Bankkarte. Die lassen Sie bitte dort, aber da
steht meine Kontonummer drauf. Wenn Sie das für mich machen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar.“
Ich kam mir vor wie eine Verbrecherin, als ich mit seinem Schlüssel, den er gerade von der Feuerwehr bekommen hatte (nach der Türöffnungs-Aktion), seine Wohnungstür aufschloss. Jene Bekannte, die mit mir manchmal zusammen schwimmt, war dabei. Beißender Gestank kam aus
der Wohnung. Ich blieb gleich hinter der Tür stehen, hielt meinen Ärmel
vor den Mund. Meine Bekannte ging zum Fenster und machte erstmal Durchzug. Bekackte Klamotten lagen auf der Erde. Inzwischen eingetrocknet. Verschimmeltes Brot lag auf dem Küchentisch. Überall leere Flaschen, Dosen, Müll. Ich merkte, dass meine Hilfsbereitschaft zu
weit ging. Ich bereute in diesem Moment, hier zu stehen. „Wo soll das sein?“, fragte mich meine Bekannte. Im Schlafzimmer hatte jemand gegen die Wand gekotzt. „Stoß bloß nirgendwo gegen die Wand“, sagte sie zu mir, obwohl ich noch immer hinter der Eingangstür stand. Sie kam mit einer Waffe in der Hand zurück. „Hände hoch“, sagte sie.
„Bist du irre? Pack das weg. Wo hast du die her?“, fragte ich erschrocken. Sie grinste: „Oberste Schublade. Scheint nur Gas zu sein.“ –
„Weg damit! Bevor sich noch jemand verletzt. Hast du die Kohle?“ – „Noch nicht. Warte, hier.“ – In Handschuhen zählt es sich schlecht. Zudem waren das alles neue Scheine. Nur grüne Hunderter. Sechsunddreißig
Stück. Oder? Nach vier Mal zählen waren wir uns sicher. Die Bankkarte war auch da. Ich rief mein Onlinebanking auf. Und erinnerte mich, dass ich ja vom Handy keine Überweisungen vornehmen kann. Aus Sicherheitsgründen. „Lass das alles so liegen. Wir gehen in meine Wohnung, überweisen die Kohle, solange kann das hier noch lüften, und dann holen wir die anschließend.“
Gesagt, getan. 3.600 € überwiesen, wieder in die Wohnung, alle Fenster zu, alle Heizungen abgestellt, das Geld im Umschlag zwischen meinen Rücken und die Rückenlehne (nicht, dass das im Treppenhaus oder im Aufzug noch jemand sieht), Tür auf und: „Na, was machen Sie da?“ – Zwei uniformierte Menschen. Und zwei weitere kamen gerade die Treppe hochgelaufen. Wie sollte es auch anders sein? Mein Magnet … ich hasse ihn. „Stellen Sie sich da mal bitte dort an die Wand“, sagten sie zu meiner Freundin. Irgendein Ar… aus dem Haus musste dort angerufen haben.
Sehr freundlich, man hätte auch einfach mal fragen können. Meine Freundin wurde abgetastet, mich ließ man in Ruhe. Super. So viel Geld in
der Tasche, eine Kanone im Nachtschrank, wenn mich einer gefragt hätte,
wie ich mir eine blöde Situation vorstelle, hätte ich sie nicht besser beschreiben können.
„Wohnen Sie hier?“ – „Nein.“ – „Was machen Sie hier?“ – „Der Mieter, der Herr …, liegt im Krankenhaus. Ich besuche ihn regelmäßig. Er hat mich gebeten, einmal zu lüften und nach dem Rechten zu sehen.“ – „Aha. Mit Handschuhen, ja? Ist klar. Haben Sie mal einen Ausweis für mich?“ – „Die Wohnung ist sehr schmutzig. Daher die Handschuhe.“ – Wie gut, dass ich das Geld nicht in mein Portmonee gesteckt hatte. Er fragte: „Stimmt die Adresse hier noch? Dann wohnen Sie hier ja doch.“ – „Ja, aber nicht in dieser Wohnung.“ – „In welchem Krankenhaus liegt der Herr …?“ – Ich sagte ihm das Krankenhaus mit Station und Zimmer. Er fragte: „Und Sie sollten was tun?“ – „Einmal nach dem Rechten sehen.“
Hinter der Nachbartür guckte einer durch den Türspion. Sollte ich winken? Der Polizist sagte: „Ich will ganz ehrlich sein: Für mich wirkt es so, als hätten Sie gewusst, dass Ihr Nachbar nicht kommt und sind mit
dem Nachschlüssel, den er Ihnen gegeben hat, damit Sie Blumen gießen, in die Wohnung eingebrochen. Das mit den Handschuhen ist nahezu eindeutig. Meine Kollegin wird Sie daher jetzt beide durchsuchen. Wollen
wir das auf der Wache machen oder gehen wir dazu in Ihre Wohnung?“ – „Wir gehen in die Wohnung, und ich würde Sie bitten, dass Sie zunächst einmal von unserer Unschuld ausgehen und Kontakt zu dem Nachbarn aufnehmen.“ – „Wir werden hier vor Ort die Faktenlage festhalten und dann wird die Kripo entscheiden, ob Sie einem Haftrichter vorgeführt werden. Selbstverständlich fragen wir auch noch den Herrn …, aber ich mache meinen Job auch nicht erst seit gestern.“
„Sie sollten wirklich niemanden vorverurteilen.“ – Das Funkgerät fing
an zu brabbeln. Jemand sagte: „Also wir haben hier nochmal mit den Nachbarn gesprochen. Der Anrufer gab uns noch einen weiteren Namen, Herrn …, der hätte bis vor kurzem noch einen Schlüssel zur Wohnung gehabt, und er hält es für unwahrscheinlich, dass er die Studentin und ihre Freundin damit beauftragt hat, in die Wohnung zu gehen. Der lebte absolut zurückgezogen.“ – In dem Moment wurde mir klar: Der Nachbar hatte ja gar keinen Schlüssel mehr! Der konnte ja gar nicht an das Geld,
weil die Feuerwehr nach der Türöffnung einen neuen Zylinder ins Schloss
eingebaut hatte. Der ganze Zirkus war überflüssig! Und ich stecke hier in der Scheiße! Und wenn die da jetzt (abends!) vorbei gingen und ihn fragten, würde er sowieso nur dummes Zeug reden. Aus seinem Delir heraus, was immernoch gerade abends stark ausgeprägt war.
Ich sah mich schon im Knast. Spätestens, wenn man das ganze Geld bei mir findet. Zum Glück hatte ich das vorher überwiesen. Als hätte ich sowas geahnt. Ob mich das noch retten würde? Ein Handy klingelte. Einer der Beamten ging dran. „Also stimmt das doch? Dann haben wir die Personalien und machen hier erstmal nichts weiter? Okay.“ – So schnell, wie sie gekommen waren, waren sie auch wieder weg. Ohne von dem Geld erfahren zu haben. „Der Herr … hat gerade meinen Kollegen gesagt, dass er Sie beauftragt hat, in die Wohnung zu gehen. Und der Bettnachbar hat es auch bestätigt. Es tut mir leid, die Fakten sprachen erstmal gegen Sie. Und wir erleben täglich das Gegenteil. Aber es hat sich zum Glück ja schnell geklärt. Auf Wiedersehen!“
Die Tür war gerade zu, da fährt mich meine Bekannte an: „Bist du noch
ganz klar? In welche Situation bringst du mich hier? Ich könnte dir gerade echt ein paar knallen.“ – „Nun beruhige dich doch mal. Woher sollte ich wissen, dass so ein bescheuerter Nachbar gleich die Bullen ruft?“ – „Eine Schnapsidee war das.“ – „Sollen wir den Nachbarn mal zur Rede stellen? Der hätte doch einfach nur mal klingeln brauchen.“ – „Nee.
Am Ende ruft der nochmal die Bullen, wenn wir da klingeln. Wir hätten ja auch eine Waffe haben können, warum sollte er klingeln?“
Am nächsten Morgen erzähle ich die Story meiner Chefin. „Ich habe dir
davon abgeraten. Gerade wenn Geld im Spiel ist. Dann behauptet er später, da lag noch ein zweiter Umschlag und jetzt ist der auch weg. Nicht einbinden lassen. Du willst dem helfen, das ist auch absolut süß. Aber du begibst dich dabei unnötig in Gefahr.“
Ja, vielleicht bin ich zu naiv. Ich besuchte meinen Nachbarn. Im Zimmer stank es, obwohl zwei Fenster offen waren. Er saß auf der Bettkante, redete wirr. Ich sprach die Schwester an. „Ich kenne ihn nur so.“ – „Gestern abend war er doch noch klar.“ – „Ich kenne ihn nur so.“ –
Danke für das Gespräch. Der Assistenzarzt sagte, das Delir sei stärker geworden. Er habe heute morgen auf seinem Bett gesessen und alles mit Kot beschmiert. Das ganze Laken war auch voller Blut. Wir wollen sehen, dass wir noch eine Darmspiegelung machen, um zu schauen, wo das ganze Blut herkommt.
Von dem Geschwür im Zwölffingerdarm konnte das Blut nicht kommen. Auch wenn es dort blutete, das vermischt sich ja mit dem Nahrungsbrei. Da musste noch etwas im Dickdarm sein. Gegen Mittag wurde er wieder klar. Der Assistenzarzt rief mich an. Ich sprach kurz mit meinem Nachbarn. Sagte ihm, dass wir das Geld sichergestellt hätten. „Da waren gestern Agenten an meinem Bett, die wollten wissen, ob sie in meiner Wohnung schlafen können.“ – Es hatte keinen Sinn.
Ich war auch bei der Dickdarmspiegelung dabei. Schon auf den ersten dreißig Zentimetern war ein großer blutender Tumor. So, wie der aussah, konnte er nicht gutartig sein. Aber man lässt ja trotzdem das Gewebe untersuchen. „Wir spiegeln nicht mehr weiter, wir müssen entscheiden, ob
wir operieren wollen. Das kommt aber nicht mehr auf einen Tag an. Und er sollte zustimmen. Oder es muss ein Betreuer bestellt werden. Wir werden das jetzt über den Sozialen Dienst anregen.“
In den nächsten Tagen wurde er gar nicht mehr klar. Fünf Tage später gab es plötzlich Probleme mit dem Blutdruck. Er bekam Kreislauf stabilisierende Medikamente. Man suchte einen Platz auf der Intensivstation für ihn. Man müsste ihn dafür in ein anderes Krankenhaus
verlegen. Kurz bevor die Verlegung losgehen sollte, hörte sein Herz auf
zu schlagen.
Irgendwie hat mich das alles sehr aufgewühlt. Ich lag über Stunden nachts wach und habe über alles mögliche nachgedacht. Ob ich nochmal jemandem so helfen werde. Vermutlich nicht. Zumindest nicht, wenn er auch Patient ist. Traurig war ich nicht. Eher froh, dass ihm das, was jetzt vielleicht noch alles gekommen wäre, erspart blieb.