Abgriff

Es ist fast genau vier Jahre her,
da stand ich an einer Tankstelle, wollte mit meiner Kreditkarte bezahlen und wurde fast verhaftet. Warum? Meine Mutter, damals psychisch
schwer erkrankt, heute vermutlich noch immer schwer erkrankt, hatte bei
Nacht und Nebel meine sämtlichen Bankkarten sperren lassen. Sich bei meiner Bank als ihre Tochter ausgegeben und behauptet, die Handtasche verloren zu haben.

Murmeltiere grüßen ja bekanntlich täglich, von daher hinkt dieser Vergleich hier. Nach vier Jahren. Aber für ein Déjà-vu war das, was mir heute passiert ist, zu realistisch.

Ich stehe im Verkaufsraum einer Tankstelle, habe rund 60 Liter frischen Diesel gezapft, will mit meiner (erst drei Monate alten) Kreditkarte zahlen, gebe die Geheimzahl ein und: Karte abgelehnt. Häh?

„Versuchen Sie es nochmal“, bittet mich die Verkäuferin. „Vielleicht haben Sie nur die Geheimzahl falsch eingegeben.“

Dann würde ja nicht „Karte abgelehnt“ kommen, sondern „PIN falsch“ oder sowas. Denke ich. Ich versuche es ein zweites Mal, mit demselben Ergebnis. Hinter mir wird die Schlange länger. Der Typ hinter mir sagt laut: „Wird das nochmal was?“

Die Behinderte zahlt alternativ mit ihrer regulären Bankkarte. Wenigstens das kann sie. Zur Freude des vorlauten Typens dahinter. Also sind schon mal nicht alle Karten gesperrt. Als ich wieder zu Hause bin und gerade bei meiner Bank anrufen will, finde ich einen Brief im Kasten.

Na super. Ich rufe die Stelle an und erfahre, dass irgendjemand einen
so genannten „Ping“ mit meinen Kreditkartendaten versucht hat. Also hat
er angefragt, ob er einen Cent abbuchen kann. So erfahren diese Betrüger, ob Kreditkartendaten richtig und vor allem (noch) aktiv sind. Da die Anfrage außerhalb Europas losgeschickt wurde, hat man vermutet, dass da ein so genannter Datenabgriff stattgefunden hat und man in Kürze
meine Kreditkarte mit Luftbuchungen belasten würde.

Die Dame auf der anderen Seite der Leitung wollte mit mir noch einmal
die letzten Buchungen durchgehen, um sicher zu sein, dass nicht bereits
jetzt jemand Mist damit gemacht hat. „Deutsche Bahn?“ – „Ja, passt.“ – „Aber gleich drei Mal?“ – „Ja.“ – „1,98 Euro für Musik?“ – „Kann sein.“ –
„Für 66 Euro getankt?“ – „Ja.“ – „Für über 100 Euro im Hotel gewesen?“ –
„Ja.“ – „Und etwas *räusper* Pikantes für 79,90 Euro gekauft?“ – „Was?“
– „Ich glaube, das ist ein … ähm … Online-Sexshop. Für knapp 80 Euro.“ –
„Achso, ja, mein Vibrator.“

Stille in der Leitung. Wie gut, dass sie mein Grinsen nicht sehen konnte. War ihr das peinlich? Immerhin konnte sie doch mit dem Namen des
Ladens gleich etwas anfangen. Ich habe mir vor kurzer Zeit einen neuen Delfin gekauft, dieses Mal einen, der vibriert. Böse Zungen behaupten ja, Querschnittgelähmte mit Vibrator sind wie Blinde mit Fernseher. Wenn
jetzt jemand denkt, ich benutze den nur, weil er dabei so schön surrt, sei ihm gesagt, dass nicht jeder Blinde nur noch schwarze Nacht sieht – und nicht jeder Querschnitt nix mehr fühlt. Gerade die weiblichen Geschlechtsorgane sind nicht nur über das Rückenmark angeschlossen. Und nicht jedes traumatisierte Rückenmark ist bis auf den letzten Faden durchtrennt. Soll heißen: Man kann auch querschnittgelähmt Empfindungen haben. Was viele außerhalb meines Blogs nicht wissen, die mich das mitunter ja auch mal auf der Straße oder im Supermarkt fragen, ohne dass
wir uns kennen.

Die Dame schluckte einmal und sagte dann fast heiser: „Mehr ist da nicht. Dann scheint das alles schön zu sein.“ – „Ja. Bis auf die Tatsache, dass man mir auch eine Mail oder eine SMS hätte schreiben können. Wie man es ja sonst auch für jeden Blödsinn tut.“ – „Wollen Sie keine Umsatzbenachrichtigungen mehr auf Ihr Handy bekommen?“, fragte sie. Doch, wollte ich. Aber vielleicht auch einen Hinweis, wenn sie meine Karten sperren. Das wäre doch immerhin sowas wie Service, oder?

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