Fridolin

Bis heute scheint es keine Probleme damit zu geben, dass Helena ihren Schulweg mit dem Rollstuhl zurücklegt. Auf meine Frage, ob ich sie
am Montag bis zur Schule begleiten soll, antwortete sie: „Nee, was sollen denn die anderen Leute von mir denken? Dass ich den Schulweg nicht alleine finde?“

Als sie mittags nach Hause kam, war sie fröhlich. „Er hat übrigens seit heute einen Namen: Fridolin Bumblebee.“ – Ich musste laut lachen. Ich bin immer wieder fasziniert von ihrer Fantasie. Sie gackerte mit und
sagte: „Etwas ernsthafter bitte, ja? Er kann nichts dafür.“ – „Für seinen Namen?“ – „Ja.“ – „Das stimmt, für den bist du verantwortlich.“ –
„Man kann sich seinen Namen nicht aussuchen.“ – „Und warum gerade Fridolin Bumblebee?“ – „Naja, Fridolin, weil er einfach wie ein Fridolin
aussieht. Und Bumblebee, weil er für mich wie eine Hummel unterm Hintern ist. Ich bin viel schneller mit ihm. Ist doch klar.“

„Also ihr beide vertragt euch gut?“ – „Ja. Aber ich muss dir was erzählen. Was lustiges. Aber peinlich ist es auch. Ich bin ja über die Ampel gerollt, weil, du weißt schon,
und steh da und hab gedrückt und es ist saukalt und ein eisiger Wind pfeift. Kein Auto weit und breit, okay?“ – „Jetzt sag nicht, du bist wieder bei Rot rüber.“ – „Nun unterbrich mich doch nicht ständig! Also, ich steh da und warte auf Grün. Gucke nach links: Niemand zu sehen. Gucke nach rechts: Niemand zu sehen. Gucke nach vorne: Immernoch rot. Und dann hab ich eine Pobacke angehoben und einmal richtig laut gepupst.
Also es war so richtig laut, okay? Und dann hab ich gesagt: ‚Sorry, Fridolin, das musste leider raus.‘ – Und zwei Sekunden später, nein eine
Sekunde später, steht Frau [Sportlehrerin aus der Nachbarklasse] hinter
mir und sagt: ‚Na, na!‘ – Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken und ich weiß bis jetzt noch nicht, was peinlicher ist, der laute Pups oder dass ich mit Fridolin geredet habe. Sie hat bestimmt gedacht, ich führe Selbstgespräche, als ich mich bei Fridolin entschuldigt habe, weil
ich ihn angepupst habe.“

Und dann gackerte sie derart los, dass ich Angst hatte, sie würde keine Luft mehr kriegen. Verschluckte sich dabei noch. Unglaublich. Als sie sich wieder beruhigt hatte, sagte ich: „Armer Fridolin!“ – Was dazu führte, dass das Gelächter von vorne losging. Sie erzählte, dass [ihre beste Freundin] sich bei ihr auf den Schoß gesetzt hat, als sie auf dem Rückweg an der Ampel warten mussten. Also kann ich wohl erstmal entspannt sein.

Jetzt fehlt noch die Insulinpumpe. Die Krankenkasse meldet sich nicht. Wir werden nun zum Ende der Woche das Ding selbst beschaffen und der Krankenkasse in Rechnung stellen. Wenn sie sie nicht ablehnen, dürfen wir wohl inzwischen davon ausgehen, dass sie bewilligt ist, und bevor das nun noch ein halbes Jahr dauert und wir Helena jeden morgen früh wecken, um einen morgendlichen Spitzenwert wegzuspritzen, werden wir mal selbst aktiv. Ich bin sehr gespannt, ob sie das Gerät genauso gut annimmt.

Die Psychotherapie tut ihr übrigens bis jetzt sehr gut. Sie hat für sich entschieden (und uns verkündet), dass sie über ihre bisherigen Pflege-Eltern mit uns erstmal nicht mehr reden möchte, sondern das derzeit ausschließlich mit dem Therapeuten macht. Sie sagt, sie möchte das Schlechte von dem Guten trennen. Das kommt so von ihr. Und das werden Marie und ich selbstverständlich akzeptieren.

Marie und ich sind beide sehr verliebt in sie. Sie ist zum Ende dieses Monats ein halbes Jahr bei uns. Wir sind sehr erleichtert, uns dafür entschieden zu haben, ihr diese Chance zu geben.

In ein paar Tagen gibt es das erste Zeugnis. Wir sind sehr neugierig und gespannt. Nach dem, was wir bisher mitbekommen haben, und ich glaube, sie hat uns alles Wichtige gezeigt, und nach dem, was wir im Gespräch mit einzelnen Lehrkräften herausgehört haben, hat sie wohl einen recht guten Leistungsstand. Aber wir haben da keinerlei Erwartungen. Sondern lassen uns überraschen.

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