Waschstraße

Stell dir vor, dein Auto ist dreckig. Also nicht nur die Abgase, die optimalerweise hinten rauskommen, sondern auch der Lack. Versehen mit einer Schicht aus Matsch, Hunde-, Katzen- und Marderpipi, Blütenstaub, anderem Staub, Vogelkot, Pferdekot, geplatzten Insekten und
dem Speichel jener Zeitgenossen, die im Vorbeigehen gegen parkende Fahrzeuge rotzen müssen, ist es irgendwann nur noch eklig. Auf deinem Grundstück oder auf öffentlichen Wegen darfst du bekanntlich keinen Schwamm in die Hand nehmen, die SB-Waschanlagen sind für Menschen im Rollstuhl eher eine Herausforderung, und jene Dinger an den Tankstellen ebenfalls.

Deshalb lobe ich mir die Waschstraße im Nachbarort. Dort arbeiten immer drei bis fünf junge Männer, die sich buchstäblich darum reißen, mich erst vollspritzen und anschließend trocken legen zu dürfen. Ein älterer Herr, der dort kassiert, flirtet jedes Mal mit mir, ein jüngerer
Mann kommt anschließend mit seiner Lappensammlung auf den Vorplatz und poliert mir den Hintern blitzeblank. Und am Besten finde ich, dass ich beim Waschen sitzen bleiben darf. Serienmäßiger Dialog bei der Einfahrt:
„Wenn was ist, drücken Sie einfach auf Ihre Hupen.“ – „Auf meine Hupen?“, frage ich dann jedes Mal, dem Niveau angepasst, und drücke grinsend einmal mit beiden Händen auf meine Brüste. – Der ältere Herr bekommt dann glänzende Augen und ein Lächeln ins Gesicht. Und sagt: „Ja,
die jungen Mädels vom Land verstehen noch Spaß, nä? Aber was ich sagte,
ist völlig korrekt, denn Ihr Auto hat ein Doppelton-Horn serienmäßig.“

Nee, ist nicht korrekt. Ich bin nämlich nicht vom Lande. Ich wurde in
der großen Stadt geboren. Aber egal. Ich kann mich bei Bedarf an jedes Niveau anpassen und manchmal auch mit kleinen Sachen Menschen eine Freude machen. Und während ich da so übers Förderband gezogen und eingeschäumt werde, frage ich mich, wieviele Gründe es wohl geben könne,
in der Waschstraße zu hupen. Die Bürste wirbelt den Außenspiegel des Vordermanns herum, meine Windschutzscheibe fällt mir auf den Schoß, das Hallendach stürzt ein, … Während ich noch so darüber nachdenke, werde ich auch schon trocken geblasen. Und traue meinen Augen nicht: Ein Senior, geschätzt über 80, versucht, mit seinem Audi an der Rückseite in
die Waschstraße hineinzufahren. Als Geisterfahrer sozusagen. Scheinwerfer strahlen mich an und ich werde unaufhörlich in seine Richtung befördert. Prompt drücke ich auf mein Doppelton-Horn. Nix. Zündung an, nochmal: Trööööt! Fünf Sekunden später gibt es einen Ruck, mein Auto bleibt stehen und das Gebläse, das gerade noch die ganzen Wassertropfen von meiner Scheibe gepustet hatte, fährt herunter. Vermutlich fährt auch der ganze Rest der Waschanlage herunter. Und meinetwegen stehen jetzt drei bis acht Fahrzeuge gefangen zwischen Bürsten, Schaum und automatisierten Wasserpistolen.

Ein Mann in Latzhose kommt forschen Schrittes den Gang neben der Anlage entlang, sieht den Senior mit seinem Audi vor mir rangieren und rastet aus. Sagt ihm ein paar unfreundliche Worte, merkt, dass er völlig
überfordert ist, lässt ihn aussteigen und fährt kurzerhand den Audi selbst wieder rückwärts aus der Waschanlagen-Ausfahrt. Kurz danach zieht
das Förderband mein Auto ins Freie, ich fahre auf den Parkplatz und werde prompt angesprochen: „Sie dürfen noch einmal durch. Sie haben das Trocknen nicht mehr bis zu Ende durchlaufen. Dadurch könnten sich Wasserflecken bilden.“

Nee, wie gesagt, der junge Mann ledert mich ja gerne trocken. Und krallt sich seine zwei Euro Trinkgeld, die er von einer Rollstuhlfahrerin immer nur im zweiten Anlauf annehmen möchte. Benehmen kann er sich immerhin. Wenn er mich nicht gerade fragt, ob ich denn -trotz Rollstuhl- noch Sex haben kann. Was er jedes Mal tut, wenn er mich trocken ledert. Aber bei so vielen Kundinnen kann er sich das vermutlich auch nicht nachhaltig einprägen.

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