Und dann kam Corona

Warum habe ich seit über einem Dreivierteljahr nicht mehr gebloggt?
Die Frage wurde mir im letzten Dreivierteljahr oft gestellt. Blöder Beginn für einen neuen Blogbeitrag nach so langer Zeit. Blöder Stil und so. Fast so wie „es war einmal“. Und „es war einmal“ ist nicht meins. Im Moment zumindest nicht.

Ich hatte so viel vor. Ich wollte so viel von den Dingen tun, die mir gut tun. Stattdessen: Quarantäne. Nur noch arbeiten und ansonsten zu Hause bleiben. Möglichst niemanden treffen. Eine schlimme Seuche liegt über unserem Land. Und bald schon über der ganzen Welt. Eine Pandemie. Ein Ereignis, das wir in unserem Land, in dem Menschen einst in Notaufnahmen gingen, weil sie sich einen Fingernagel eingerissen haben, nicht vorkam. Ein Ereignis, vor dem die Wissenschaft zwar immer schon mal vage und hypothetisch gewarnt hat, das aber, hätte man in 2019 jemanden außerhalb des medizinischen Sektors gefragt, dieser Jemand allenfalls als überzeichnetes und fiktives Katastrophenszenario auf Kinoleinwänden vermutet hätte.

Nach Popcorn dürfte inzwischen niemandem mehr zumute sein. Und das nicht nur, weil die meisten von uns inzwischen nicht mehr wissen, wie ein Kino von innen aussieht. Nachdem kurzzeitig die strengen Hygieneauflagen mal etwas gelockert werden konnten, weil das Corona-Virus bei hohen Sommertemperaturen und frischer Luft eher müde ist, ist Deutschland inzwischen wieder im harten Lockdown angekommen. Schulen zu, Einzelhandel zu, kein Sport, keine Kultur, Treffen nur online, zu Weihnachten und zu Silvester nach Möglichkeit bitte niemanden
sehen. Allenfalls online.

Die anfängliche Hysterie, in der uns in der Klinik reihenweise die Desinfektionsflaschen aus den Spendern gestohlen wurden, haben viele schon wieder vergessen. Klopapier hat inzwischen auch jeder zu Hause, viele haben sich anfangs gleich eine ganze Palette bestellt, als sei das größte Problem der Arsch, den man sich notfalls nicht mit Wasser säubern könnte. Wasser wurde hingegen nicht in großen Mengen eingekauft, das kommt ja schließlich immer mit großem Druck aus der Leitung…

Zwischenzeitlich wurde mein Arbeitgeber hysterisch und wollte mich als Arbeitnehmerin mit hohem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf und schlechten Chancen, bei überlasteten Intensivstationen mit eigenem Erfolg durch die Triage zu kommen, lieber zu Hause sehen. Kurz danach brauchte er mich dann aber doch so dringend, dass ich nicht mehr zu Hause bleiben dürfe, und setzte mich auf der peripheren Inneren ein, trotz Weiterbildungsvertrag für die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Flexibität sei gefragt, um Personal für die Intensivstationen herauslösen zu können.

Die Sache mit dem Abstand haben trotz aufgeklebter Abstandsbuttons und begegnungsfreien  Einbahnstraßenregelungen bis heute noch nicht alle Menschen verstanden. Geschweige denn das Thema „Mund-Nasen-Bedeckung“, die Coronaleugner auch gerne am Kinn oder provozierend an der Stirn tragen. „Mein Tanzbereich, dein Tanzbereich“ wird zu meinem Standardspruch, um die unerwünschten Kuschelsüchtigen auf Distanz zu halten. Und ein ums andere Mal erkläre ich lieb meinen Mitmenschen, warum ich „als Behinderte“ meinen Maske auch dann trage, wenn ich mich vielleicht davon befreien lassen könnte. Solidarität ist das Gebot des Jahres.

Und so habe ich auch Christin seit einem Dreivierteljahr nicht mehr live gesehen und nicht mehr berühren können. Auch im Sommer nicht, schließlich arbeite ich im Gesundheitswesen und sie kann sich eine Corona-Erkrankung als Leistungssportlerin absolut nicht erlauben. Immerhin weiß noch niemand, wie sehr selbst ein fast symptomloser Verlauf die Lunge einschränken würde. Und damit die Möglichkeiten, absolute Spitzenleistungen zu erbringen. Von der Gefahr, auch als junger Mensch schwer zu erkranken, will ich gar nicht schreiben. Aber wir telefonieren mehrmals in der Woche, meistens mit Video.

Inzwischen habe ich mich entschieden, mich nicht in Kinder- und Jugendpsychiatrie, sondern in Pädiatrie weiterzubilden. Das eine Jahr wird angerechnet, aber nun musste ich mich festlegen und arbeite seit einigen Monaten in einer Kinderarzt-Praxis hier im Ort. Nein, das wollte ich eigentlich nicht, weil mich inzwischen hier jede Mutter und jeder Vater und jedes Kind kennt. Aber es war die einzige Praxis im Umkreis von 50 Kilometern, die einerseits barrierefrei erreichbar war (einschließlich der Mitarbeiter-Toilette), andererseits einen Platz vergeben konnte – und drittens keine offensichtlichen oder versteckten Vorbehalte gegenüber Menschen mit Behinderung hatte.

Von einzelnen Startproblemchen mal abgesehen, läuft es inzwischen sehr gut. Und ja, ich kann damit leben, dass im Supermarkt plötzlich Kinder angelaufen kommen und mir erzählen, dass ihre Warze oder ihr Durchfall verschwunden sind. Und tatsächlich ist ein Drittel meiner Zeit in dieser Praxis schon wieder vorbei. Noch bin ich gerne dort.

Und zu Hause? Da hat sich nicht viel verändert. Marie geht es gut. Auch sie zieht ihre Weiterbildung tapfer durch. Helena geht inzwischen schon in die 9. Klasse und beißt sich durch die behinderungsbedingten Unzulänglichkeiten des Alltags, kommt aber insgesamt gut zurecht. Maries Eltern, Maries Hündin geht es gut. Uns auch – so gut es uns unter Corona halt gehen kann.


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