Nicht gesagt

Ich weiß, ich blogge inzwischen viel zu selten. Aber ich blogge noch. Auch wenn der Tag nur 24 Stunden hat: Manchmal bekomme ich es hin.
Manchmal.

Ich muss mal wieder etwas aufschreiben, um es aus meinem Kopf zu entlassen. Ein Erlebnis von meinem Arbeitsplatz, das mich doch ziemlich aufgewühlt hat in den letzten Tagen. Ich bin immernoch im 3. Weiterbildungsjahr Pädiatrie in einer Kinderarztpraxis hier im Ort angestellt. Mein Chef (als Inhaber einer Weiterbildungsberechtigung) teilt sich die Praxisräume mit einer weiteren Kollegin, die ebenfalls Fachärztin für Pädiatrie ist.

Anfang dieser Woche sollte sich ein Kind erstmalig in der Praxis vorstellen. Die Mutter hatte sich telefonisch einen Termin geben lassen und dabei keine Wünsche geäußert, wer dieses Erstgespräch mit Anamnese und Untersuchung machen sollte. Zusammen mit der Mutter saß das Kind im Wartezimmer. Da mein Chef ohnehin immer viel zu tun hat, mache ich häufig diese eher etwas länger dauernden Termine. An dem Tag würde der Chef zudem etwas später kommen, da er sich noch um eine Familienangelegenheit kümmern musste.

Ich rief also das Kind mit Namen auf. Die Mutter guckte mich an, aber
statt mit dem Kind zu mir zu kommen, nahm sie es auf den Arm, ging zur Anmeldung und sagte wörtlich: „Ich möchte mich noch einmal umentscheiden. Sie haben mir nicht gesagt, dass das eine Behinderte ist.“

Während unserer jüngsten Mitarbeiterin sichtbar alle Gesichtszüge entgleisten, antwortete eine ältere Mitarbeiterin mit der Frage: „Naja, ist das denn ein Problem für Sie?“

Und während ich erstmal dumm lächelnd im Flur stand, kam meine Kollegin aus ihrem Zimmer und wurde prompt gefragt: „Die Dame ist neu und möchte mit ihrem Kind nicht zu Frau Socke.“

Das war gar kein Problem: „Dann kommen Sie eben rasch mit zu mir. Gehen Sie schonmal vor, ich komme sofort.“ – Als die Mutter im Behandlungszimmer war, nahm ich mir die Kollegin zur Seite: „Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder? Die Dame hat mich wegen meiner Behinderung abgelehnt.“ – „Naja, nicht jeder kann damit umgehen. Nehmen Sie es leicht, alles Andere bringt nichts.“

Der jüngeren Mitarbeiterin hinter der Anmeldung standen die Tränen sichtbar in den Augen: „Das hat sie jetzt nicht wirklich gesagt, oder?“

Tja. Natürlich habe ich mit meinem Chef darüber gesprochen, als er später wieder vor Ort war. Es gab auch ein Teamgespräch, um abzustimmen,
wie wir künftig damit umgehen. Und noch schlimmer als die auslösende Situation fand ich, dass mein Chef sich mit seiner Kollegin nicht auf eine Linie einigen konnte und vor mir und den anderen Mitarbeitenden ausdiskutiert wurde, ob das Verhalten dieser Mutter nun diskriminierend sei oder nicht.

Dass die Bemerkung „Sie haben mir nicht gesagt, dass das eine Behinderte ist“ völlig unmöglich ist, darauf konnten wir uns einigen. Dass mein Wunsch auf ein geschlossenes Auftreten verständlich sei, auch.
Aber wenn ein Patient mit dem Anblick meiner Behinderung überfordert sei, dann dürfe das sein persönlicher Grund sein, aus dem er nicht von mir behandelt werden möchte. Jeder dürfe immer ablehnen, die Gründe für die Ablehnung spielten keine Rolle. Und wenn ein Patient einen Behandler
ablehnt, dürfen andere Kollegen ihn nicht verurteilen und von der ärztlichen Versorgung ausschließen. Erschwerend käme hinzu, dass es um das Kind ginge und nicht um die Mutter.

Ich wage nicht zu fragen, ob das noch genauso gesehen wird, wenn ein Patient laut sagen würde, dass er nicht von einem afrikanischen, jüdischen oder schwulen Arzt behandelt werden möchte. Klar, niemand ist gezwungen, sich von jemandem behandeln zu lassen, aber darum geht es mir
nicht. Sondern: Wenn ich im Eisladen kein Eis kaufen möchte, weil dort eine Frau mit Kopftuch bedient und ich das nicht auf die Kette kriege, dann gehe ich dort nicht hinein oder gehe ohne großes Theater wieder raus. Ich gehe aber nicht hinein und fordere eine männliche deutsche Bedienung (ich kotz gleich). Mit der Begründung, dass ich von der anderen Kraft nicht bedient werden möchte, weil es sich um eine Frau mit
Kopftuch handelt. Ich glaube, da würde ich hochkant rausfliegen – und das mit Recht.

Wir fanden keine gemeinsame Lösung. So bleibt mir nur, das wegzustecken und hoffen, dass sich solche Vorfälle bis zum Ende des Weiterbildungsjahres im Frühsommer nicht wiederholen. Wir sind noch lange nicht am Ziel.

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