Behinderung

FĂĽnf Tage

Meine ersten fĂĽnf Arbeitstage sind vorbei. Am Wochenende, an meinen ersten beiden Tagen, könnte man meinen, es war der Wurm drin. Selbst einfachste Dinge wie Telefonieren waren ein Problem. Ich musste ein freies Bett organisieren und habe alle in Frage kommenden Stationen angerufen. Nein, nirgendwo sei ein Bett frei. Also blieb der junge Mann zunächst auf einer Privatstation, wohin er erstmal von der Notaufnahme verlegt wurde. Zwei Stunden später höre ich, dass Betten frei waren. Angeblich hätte ich die Frage falsch gestellt: Ich hätte fragen sollen, ob sie einen Patienten unterbringen können und nicht, ob ein Bett frei ist, weil… Weiterlesen »FĂĽnf Tage

Seepferd und Abtreibung

Nach täglichem Training hat Helena heute ihr Seepferdchen geschafft. Ja, sie ist eigentlich viel zu alt dafĂĽr, aber so sehr, wie sie sich darĂĽber gefreut hat, war es enorm wichtig, dass sie das nachholt. Ein Sprung vom Beckenrand, eine Bahn in Brustlage schwimmen und einmal aus dem schultertiefen Wasser einen Gegenstand vom Boden hochholen. Eigentlich sollte sie erstmal nur springen, aber statt an den nächsten Beckenrand zu schwimmen, schwamm sie spontan einmal quer durch das Becken. Unsere erste kleine Meinungsverschiedenheit haben wir auch hinter uns. Ich bekam vom Schulweg eine Kurznachricht von ihr, ob ich damit einverstanden wäre, wenn sie… Weiterlesen »Seepferd und Abtreibung

Unterste Schublade

An Verbesserungen gewöhnt sich der Mensch sehr schnell. Auch Stinkesocken gewöhnen sich sehr schnell an Verbesserungen. Und nehmen sie irgendwann vielleicht sogar als selbstverständlich hin. Zum Beispiel, wenn man zum Autofahren nicht mehr mit einem SchlĂĽssel hantieren muss. Als Rollstuhlfahrerin bin ich mit beiden Händen stets beschäftigt, da ist es eine enorme Erleichterung, wenn ich keinen SchlĂĽssel in die Hand nehmen muss, um ins Auto einzusteigen. Auch wenn mein allererstes Auto nicht mal eine Funk-Fernbedienung hatte, sondern ich noch mit dem SchlĂĽssel im TĂĽrschloss herumfummeln musste und mich irgendwann gewundert habe, dass mein SchlĂĽssel auch beim Auto nebenan passt, möchte… Weiterlesen »Unterste Schublade

Artgerecht

So viel, wie Marie und ich derzeit mit Behörden zu tun haben, habe ich bereits das GefĂĽhl, ich rolle fast schon weltfrauisch auf den Ă„mtern ein und aus. Sofern ich denn hinein komme. Ich hatte in dieser Woche einen Termin auf dem fĂĽr meinen Wohnort zuständigen Jugendamt, das nicht einmal barrierefrei ist. DafĂĽr geht es drinnen aber alles auch etwas gemĂĽtlicher zu als in jenem fĂĽr Helenas bisherigen Wohnsitz zuständigen. An der Information saĂź eine ältere Dame, ich schätze zwei Jahre vor der Rente. Sie geriet in Aufregung, als ich vor ihrem Fenster freundlich winkte und ihr, nachdem sie nach… Weiterlesen »Artgerecht

Shoppen und so

Helena und ich waren heute morgen in der nächstgrößeren Stadt zum Klamotten shoppen. Mich nervt es absolut, durch enge Gänge von Bekleidungsgeschäften zu rollen, an jedem zweiten Kleiderständer aufzupassen, dass man nichts herunterreiĂźt, schmutzig macht, ständig laufen mir Leute vor den Rollstuhl, die ihre Augen nur auf das nächste Schnäppchen gerichtet haben, es ist laut, stickig – und es ist Samstag morgen. Aber Helena hat gerade einmal zwei Hosen. Davon ist eine eigentlich fertig, so dass sie in Sporthose durch die Gegend läuft, wenn ihre Jeans in der Wäsche ist. Vielleicht geht es anderen Menschen auch so, aber hier ist… Weiterlesen »Shoppen und so

Helena

Ich kann nicht die Welt retten. Das weiĂź ich. Aber vielleicht kann ich sie ein wenig besser machen? Das weiĂź ich nicht. Ich weiĂź derzeit wirklich nicht, ob ich Helena einen Gefallen tue, oder ihr einen Bärendienst erweise, wenn ich mich um sie ein wenig kĂĽmmere. Helena ist, alten Prinzipien folgend, nicht ihr richtiger Name, und ich habe bisher auch noch nicht ĂĽber sie geschrieben. Marie und ich haben Helena im Sommer 2017 an einem Badesee getroffen. Sie war mit ihren beiden Geschwistern und ihren Eltern dort, um die wenige Sonne zu genieĂźen und im seinerzeit eher kalten Wasser ein… Weiterlesen »Helena

Liebend getan

Vielleicht hat der Eine oder die Andere gedacht, dass ich heute ein Gyrosbaguette essen wĂĽrde. Und lag damit richtig. Allerdings nicht dort, wo sich die Crew, die mich vor zehn Jahren von der StraĂźe gekratzt hat, am Tag meines Unfalls ihr Gyrosbaguette geholt hat. Denn den griechischen Imbiss gibt es nicht mehr. Und auch „meine“ Notärztin, die mich vor zehn Jahren im Heli begleitete und vermutet hatte, dass ich meine Verletzungen nicht ĂĽberleben werde, gibt es leider nicht mehr. Sie ist, wie ich gestern erfuhr, im September letzten Jahres verstorben. Warum, wieso, weshalb, weiĂź ich nicht. So alt, dass man… Weiterlesen »Liebend getan

Buttermilch und Zigarette

Ich weiĂź inzwischen, was ich nicht machen darf: Nichtsahnend in den Tag hinein rollen. Nein, nichtsahnend ist nie gut. Ich muss immer auf der Hut sein, immer vorbereitet sein. Das weiĂź ich inzwischen. „Willst du dich besaufen?“, fragt mich der Mensch, der hinter mir an der Supermarktkasse wartet und die drei Flaschen Mineralwasser kommentieren möchte, die ich auf das Laufband gelegt hab. Ohne mich umzudrehen, antworte ich: „Es wird ein Exzess.“ Der Mensch vor mir, der sich umgedreht hat, schmunzelt und dreht sich wieder zurĂĽck. Der Mensch hinter mir hat einen Becher Buttermilch auf das Laufband gestellt und trippelt mit… Weiterlesen »Buttermilch und Zigarette

Erster Job

Ich erwähnte ja bereits, dass sich gerade in den letzten Wochen vieles verändert hat. Studium ist fertig, gleichwohl habe ich noch keine Lern-Unterlagen verbrannt. Gerade habe ich auch nicht die Absicht, das zu tun. Obwohl ich mal aufräumen und zumindest ĂĽberflĂĽssigen Mist aussortieren mĂĽsste. Dinge, die man sich nicht mehr anschaut. Kritzeleien. Aber vielleicht sind die in ein paar Jahren doch nochmal interessant. Ich entwickle mich gerade ein wenig in Richtung Messie. Aber richtigen MĂĽll sammle ich noch nicht. Zumindest nicht mehr, als in meine MĂĽlleimer passt. MĂĽlleimer habe ich inzwischen zwei. Einen zu Hause, unweit der OstseekĂĽste, wo, seit… Weiterlesen »Erster Job

Ich heirate eine Cousine

Vorurteile zur Entstehung einer körperlichen Beeinträchtigung gibt es viele. Auch viele hartnäckige. So werde ich regelmäßig gefragt, ob ich kurz nach Erwerb des FĂĽhrerscheins einen Motorradunfall (oder ersatzweise einen selbst verschuldeten Autounfall) hatte. Teilweise getragen von Mitleid, teilweise aber auch von der BefĂĽrchtung, was diese junge Frau den Staat – und damit jeden einzelnen Steuerzahler – wohl alles kosten könnte. Dass diese Art von Fragen oftmals Menschen stellen, die sich abseits der Umsatzsteuer eher wenig an der Finanzierung des Allgemeinwohls beteiligen, ist natĂĽrlich auch ein Vorurteil. Wer in Bio aufgepasst hat, weiĂź, dass es nicht der Storch ist, der die… Weiterlesen »Ich heirate eine Cousine