Menschen

Ableismus und Stigma

Dass ich seit vielen Jahren versuche, den Menschen um mich herum einen Spiegel vorzuhalten, wenn mich jemand anschaut und mal wieder nur einen Rollstuhl sieht, ist nicht neu und haben alle, die meinen Blog regelmäßig lesen, wohl schon mitbekommen. Was heute „Able-ismus“ genannt wird, also die Beurteilung meiner Persönlichkeit anhand meiner Fähigkeiten, zieht sich seit jeher durch meinen Blog. Leider scheint diese Seuche nicht auszurotten zu sein. Ich finde es ja charmant, beispielsweise besonders schlau, besonders schnell, besonders kräftig oder auch besonders hĂĽbsch zu sein. Ich unterhalte mich gerne mit schlauen Menschen, fiebere sehr gerne mit tollen Sportlerinnen, lasse mich… Weiterlesen »Ableismus und Stigma

Wilde Maus

Ganz lange – drei Jahre, um genau zu sein – war ich nicht mehr auf dem Hamburger Dom. Nee, das ist keine mit dem Rollstuhl erklimmbare Aussichtsplattform auf einer besonders groĂźen oder besonders hĂĽbschen Kathedrale der Hansestadt, sondern ein Volksfest unweit der legendären Reeperbahn mit ĂĽber 200 Schaustellern und mehr als 100 Gastronomiebetrieben. Ăśber 10 Millionen Besucher zählt die Veranstaltung jedes Jahr. Den Namen hat sie aufgrund ihres ursprĂĽnglichen Veranstaltungsortes, dem ehemaligen Hamburger Mariendom, der um 1800 abgerissen wurde. Man könnte vielleicht erwarten, dass mir kurz nach dem Tod meines Vaters der Sinn nicht nach Kirmes steht. Und trotzdem waren… Weiterlesen »Wilde Maus

Wochenende

Auch wenn ich Hamburg sehr vermisse, fĂĽhle ich mich an der Ostsee sehr wohl. Gerade jetzt, wo es nachts wieder etwas kĂĽhler wird, finde ich das Klima, den Wind und die leicht salzige Luft sehr angenehm. Derzeit pendel ich vier bis fĂĽnf Mal pro Woche in eine GroĂźstadt, um dort zu arbeiten und mich in der Pädiatrie fortzubilden, und ehrlich gesagt freue ich mich, wenn ich Feierabend habe, auch sehr auf die Ruhe auĂźerhalb einer hektischen GroĂźstadt. Normalerweise kaufe ich nicht mal in der Stadt ein, einerseits, um die Geschäfte in meiner Nähe zu unterstĂĽtzen, andererseits, weil es dort nicht… Weiterlesen »Wochenende

Seepferd und Abtreibung

Nach täglichem Training hat Helena heute ihr Seepferdchen geschafft. Ja, sie ist eigentlich viel zu alt dafĂĽr, aber so sehr, wie sie sich darĂĽber gefreut hat, war es enorm wichtig, dass sie das nachholt. Ein Sprung vom Beckenrand, eine Bahn in Brustlage schwimmen und einmal aus dem schultertiefen Wasser einen Gegenstand vom Boden hochholen. Eigentlich sollte sie erstmal nur springen, aber statt an den nächsten Beckenrand zu schwimmen, schwamm sie spontan einmal quer durch das Becken. Unsere erste kleine Meinungsverschiedenheit haben wir auch hinter uns. Ich bekam vom Schulweg eine Kurznachricht von ihr, ob ich damit einverstanden wäre, wenn sie… Weiterlesen »Seepferd und Abtreibung

Unterste Schublade

An Verbesserungen gewöhnt sich der Mensch sehr schnell. Auch Stinkesocken gewöhnen sich sehr schnell an Verbesserungen. Und nehmen sie irgendwann vielleicht sogar als selbstverständlich hin. Zum Beispiel, wenn man zum Autofahren nicht mehr mit einem SchlĂĽssel hantieren muss. Als Rollstuhlfahrerin bin ich mit beiden Händen stets beschäftigt, da ist es eine enorme Erleichterung, wenn ich keinen SchlĂĽssel in die Hand nehmen muss, um ins Auto einzusteigen. Auch wenn mein allererstes Auto nicht mal eine Funk-Fernbedienung hatte, sondern ich noch mit dem SchlĂĽssel im TĂĽrschloss herumfummeln musste und mich irgendwann gewundert habe, dass mein SchlĂĽssel auch beim Auto nebenan passt, möchte… Weiterlesen »Unterste Schublade

Liebend getan

Vielleicht hat der Eine oder die Andere gedacht, dass ich heute ein Gyrosbaguette essen wĂĽrde. Und lag damit richtig. Allerdings nicht dort, wo sich die Crew, die mich vor zehn Jahren von der StraĂźe gekratzt hat, am Tag meines Unfalls ihr Gyrosbaguette geholt hat. Denn den griechischen Imbiss gibt es nicht mehr. Und auch „meine“ Notärztin, die mich vor zehn Jahren im Heli begleitete und vermutet hatte, dass ich meine Verletzungen nicht ĂĽberleben werde, gibt es leider nicht mehr. Sie ist, wie ich gestern erfuhr, im September letzten Jahres verstorben. Warum, wieso, weshalb, weiĂź ich nicht. So alt, dass man… Weiterlesen »Liebend getan

Buttermilch und Zigarette

Ich weiĂź inzwischen, was ich nicht machen darf: Nichtsahnend in den Tag hinein rollen. Nein, nichtsahnend ist nie gut. Ich muss immer auf der Hut sein, immer vorbereitet sein. Das weiĂź ich inzwischen. „Willst du dich besaufen?“, fragt mich der Mensch, der hinter mir an der Supermarktkasse wartet und die drei Flaschen Mineralwasser kommentieren möchte, die ich auf das Laufband gelegt hab. Ohne mich umzudrehen, antworte ich: „Es wird ein Exzess.“ Der Mensch vor mir, der sich umgedreht hat, schmunzelt und dreht sich wieder zurĂĽck. Der Mensch hinter mir hat einen Becher Buttermilch auf das Laufband gestellt und trippelt mit… Weiterlesen »Buttermilch und Zigarette

Frau Pingpong und Frau Klum

Sieben Monate ist es her, dass ich das letzte Mal mit einem grippalen Infekt im Bett lag. Wenn man von einer leichten Impfreaktion absieht, die ich nach meiner Grippe-Impfung hatte, war ich ĂĽber ein halbes Jahr durchgehend topfit. Was angesichts meines doch recht häufigen Kontakts zu kranken Menschen wohl eine kleine Sensation ist. Umso frustrierter bin ich gerade, dass ich mir tatsächlich (trotz Impfung) die echte Influenza eingefangen habe. Viermal darf man raten, welcher Stamm im Impfstoff gefehlt hat und warum. Ich könnte kotzen. Zum GlĂĽck ist sie online nicht ĂĽbertragbar. Soll ich mal ein wenig jammern? Ja? Aua! Richtig… Weiterlesen »Frau Pingpong und Frau Klum

Nix Paket

Wir haben es ja so gewollt. Wir wollen ja den örtlichen Handel nicht mehr unterstĂĽtzen. Stattdessen die ganzen Paketdienste und die Versandunternehmen. Und auch wenn ich mich lieber beraten lasse, Dinge anschaue und vielleicht auch anfasse, und dafĂĽr am Ende 3 bis 20 Prozent mehr bezahle – ich habe fast keine Chance mehr. Ein Geschäft nach dem nächsten schlieĂźt oder ist bereits geschlossen, und die wenigen, die noch vor Ort sind, haben kaum noch Auswahl. Wir haben es so gewollt. Also suche ich im Netz nach dem gĂĽnstigsten Preis, scrolle bis zum ersten seriösen Händler und bestelle. Einen Artikel, den… Weiterlesen »Nix Paket

Weihnachtswunsch

Fast zehn Jahre sind seit meinem Unfall vergangen. In der letzten Woche hatte ich meine letzten beiden Psychotherapie-Stunden. Eine weitere Verlängerung ist nicht vorgesehen und aus meiner Sicht auch nicht nötig. Meine frĂĽhere Therapeutin ist seit der Geburt ihres zweiten Kindes nicht mehr beruflich tätig, ihre Vertretung, die zwar gut, aber nicht ganz so gut wie meine erste Therapeutin war, findet, ich sei ausreichend reflektiert, um mein Leben alleine im Griff zu haben. Genauso hat sie es formuliert, und ich glaube, damit wird deutlich, was ich meine, wenn ich behaupte, sie sei nur „gut“ und nicht „sehr gut“. Sollte ich,… Weiterlesen »Weihnachtswunsch