Nachbarn

Ableismus und Stigma

Dass ich seit vielen Jahren versuche, den Menschen um mich herum einen Spiegel vorzuhalten, wenn mich jemand anschaut und mal wieder nur einen Rollstuhl sieht, ist nicht neu und haben alle, die meinen Blog regelmäßig lesen, wohl schon mitbekommen. Was heute „Able-ismus“ genannt wird, also die Beurteilung meiner Persönlichkeit anhand meiner Fähigkeiten, zieht sich seit jeher durch meinen Blog. Leider scheint diese Seuche nicht auszurotten zu sein. Ich finde es ja charmant, beispielsweise besonders schlau, besonders schnell, besonders kräftig oder auch besonders hübsch zu sein. Ich unterhalte mich gerne mit schlauen Menschen, fiebere sehr gerne mit tollen Sportlerinnen, lasse mich… Weiterlesen »Ableismus und Stigma

Nix Paket

Wir haben es ja so gewollt. Wir wollen ja den örtlichen Handel nicht mehr unterstützen. Stattdessen die ganzen Paketdienste und die Versandunternehmen. Und auch wenn ich mich lieber beraten lasse, Dinge anschaue und vielleicht auch anfasse, und dafür am Ende 3 bis 20 Prozent mehr bezahle – ich habe fast keine Chance mehr. Ein Geschäft nach dem nächsten schließt oder ist bereits geschlossen, und die wenigen, die noch vor Ort sind, haben kaum noch Auswahl. Wir haben es so gewollt. Also suche ich im Netz nach dem günstigsten Preis, scrolle bis zum ersten seriösen Händler und bestelle. Einen Artikel, den… Weiterlesen »Nix Paket

Studium, Nachbar, Partner

Es wird allerhöchste Zeit, dass mein Praktisches Jahr vorbei ist. Ich fühle mich, als machte ich im Moment außer arbeiten, lernen und schlafen nichts anderes mehr. Derzeit zeichnen sich Interesse und Arbeitsbereitschaft enorm aus. Und die Bereitschaft, die Scheißjobs ohne großes Aufsehen abzuarbeiten. Entsprechend habe ich acht bis vierzehn Stunden pro Tag oft ununterbrochen mit Menschen zu tun, die einfach nur anstrengend sind. Respektlos, laut, egoistisch, dumm. Und oft auch sexistisch. Mein gestriges Highlight war die Frage, ob man einen Sonografie-Schallkopf auch vaginal einführen könnte und ob das Spaß macht. Als ich direkt zum roten Faden zurückkehrte, griff der Mann… Weiterlesen »Studium, Nachbar, Partner

Gangster und Agenten

Es war mal wieder eine aufwühlende Zeit. Der Schichtdienst, in den man mich inzwischen mehr oder weniger vollständig eingebunden hat, ist eine ziemliche Herausforderung. Ich meine, einerseits bin ich ja froh, dass dieses Krankenhaus mich „normal“ behandelt und mir vertraut. Und offenbar mit dem, was ich in meiner Schicht tue, einverstanden bis zufrieden ist. Vielleicht ist es auch einfach nur der Personalstruktur geschuldet, so dass man alles einsetzt, was irgendwie ein Stethoskop und ein Telefon richtig herum halten kann. Denn eigentlich soll man im PJ … ach, lassen wir das. Andererseits weiß ich schon jetzt, was ich später nicht machen… Weiterlesen »Gangster und Agenten

Schlechte Welt

Ach, wie schlecht ist die Welt doch geworden. Sagt mein Nachbar, während er mit mir im Aufzug steht. In dem großen 30-Parteien-Mietshaus in meinem Studienort, in dem ich zurzeit wohne. Ich kenne seinen Namen nicht. Aber ich sehe, dass er Alkoholiker ist. Ich schätze sein Lebensalter auf 70 bis 75 Jahre, das Alter seiner Klamotten auf 30 bis 40 Jahre. Eine Strickjacke, deren Reißverschluss nur noch zu einem Drittel mit dem Rest der Jacke verbunden ist. Eine Jogginghose, dessen Polyester-Bestandteile sich zu einem Drittel bereits verflüchtigt haben. Er weiß nicht, was ich studiere, und zeigt mir trotzdem seine Stauungsdermatitis. Möchte… Weiterlesen »Schlechte Welt

Wesentlich seriöser

Ein gutes Vierteljahr nachdem ich zum ersten Mal über unseren Nachbarn erzählt habe, der mit unserer Hilfe abnimmt, möchte ich updaten: Sein BMI ist von ehemals 30 inzwischen auf 25,8 abgesunken – und damit erstmals seit (wie er sagt) über 10 Jahren wieder im Idealbereich. Zwar am oberen Ende des Idealbereichs, aber eindeutig unter dem Grenzwert. Ganz großes Kino, wie ich finde. Und insbesondere Maries Mutter war begeistert, als bei einer aktuellen Blutuntersuchung herauskam, dass alle untersuchten Werte im Normbereich sind. Keiner im Grenzbereich, sogar die Triglyceride waren deutlich weniger geworden. Oder, um es in Zahlen auszudrücken: Von ehemals rund… Weiterlesen »Wesentlich seriöser

Ihr Kind, ihre Erziehung

Manche Menschen sollten keine Kinder haben. Und in einem Fall meine ich das durchaus ernst. Was habe ich mich heute aufgeregt! Nicht weit von Maries und meiner Wohnung am Studienort entfernt wohnt eine Familie. Im zweiten Stock. Das Kind ist schätzungsweise vier oder fünf Jahre alt. Hin und wieder sieht man die Mutter das Kind in einen Fahrradanhänger verladen und mit dem kleinen Mädchen zum Einkaufen fahren. Wenn ich für meine Uni am Schreibtisch sitze, fällt mein Blick manchmal nach draußen und ich sehe die beiden. So auch heute. Heute sah ich allerdings nur die Tochter. Und zwar in der… Weiterlesen »Ihr Kind, ihre Erziehung

Gewichtig

„Sagt mal, ihr studiert doch Medizin, könnt ihr mich nicht mal eine wirksame Abnehmpille verschreiben?“, war der zwar betont scherzhaft formulierte, wohl aber mit mindestens einem Funken Ernst gemeinte Versuch unseres knapp 40 Jahre alten Nachbarns, ein paar überflüssige Pfunde ohne großen Aufwand loszuwerden. Oder der, ein Gespräch über ein Thema zu beginnen, das ihn zunehmend belastet. Oder beides. Tatsächlich schüttete er Marie und mir in einem anschließenden langen Gespräch sein Herz aus. Und ja, ich darf darüber schreiben, und ich finde es auch wichtig, darüber zu schreiben. Ich finde es so unglaublich, weil ich die Einstellung, die dahinter steht,… Weiterlesen »Gewichtig

Verfahren und verzählt

In unserem neuen Haus ist fast alles super. Die Sonne kitzelt so schön in meiner Nase, wenn ich morgens aufwache. Nachts ist es wunderbar ruhig, morgens schnattern höchstens mal ein paar Enten – herrlich. Bislang bereuen Marie und ich es noch nicht, hier zu wohnen. In rund drei Wochen geht es allerdings erstmal für drei Monate zurück an unseren Studienort, da die Vorlesungszeiten bald wieder beginnen. Mein siebtes Semester ruft. Die anderen Leute im Haus sind auch sehr nett, die Auswahl ist uns, nach jetzigem Stand, gut gelungen. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass die Anzahl überschaubar ist und… Weiterlesen »Verfahren und verzählt

Im Schlafanzug

Der Idiotenmagnet gehört inzwischen wohl zu mir wie ein Wahrzeichen zu einer Stadt. Vielleicht ändert sich das im Laufe der nächsten Jahre bis Jahrzehnte noch, wenn das Verständnis von „Behinderung“ einen anderen Umgang mit beeinträchtigten Menschen erlaubt. Wünschenswert wäre es. Dann bliebe es mir vielleicht erspart, dass mich am Geldautomaten ein Mann um die 60 anspricht, ob ich nicht froh sei, in der heutigen Zeit zu leben, in der Behinderte auch ein Lebensrecht hätten. Ein weiterer Magnet hat sich in den letzten Monaten herausgebildet. Ich nenne ihn mal den Blaulicht-Magneten. Vielleicht finden meine Leserinnen und Leser noch eine bessere Bezeichnung… Weiterlesen »Im Schlafanzug