Modernes Kuddelmuddel

Hamburg ist beim Ausbau der U- und S-Bahn-Stationen nicht gerade vorbildlich. Es gibt Berechnungen, nach denen es bis weit in die 40-er Jahre dauern wird, bis alle Stationen rollstuhlgerecht sind, sollte man mit dem bisherigen Tempo weiterbauen. Dann sind die ersten Anlagen allerdings schon wieder 60 Jahre alt. Und da selbst die beste Aufzugsanlage nach 20 Jahren Dauerbetrieb „fertig“ ist, muss sich hier etwas tun.

Es tut sich auch was. Zum Beispiel gibt es einen Beschluss des Senats, bis Ende 2011 nicht nur wie bisher zwei bis drei Stationen pro Jahr zu modernisieren, sondern gleich dreißig modernisieren zu wollen. Guter Wille alleine reicht aber bekanntlich nicht, bisher weiß man von sechs Stationen, die bis Ende 2011 auch tatsächlich umgebaut werden sollen. Von denen muss alleine die Hälfte wegen aktueller Bauprojekte (Hafencity) ohnehin neu gebaut werden. Also bisher alles Augenwischerei.

Dass Bemühungen dieser Art viel Zeit brauchen, weiß jeder – und das versteht auch jeder behinderte Mensch (ob Rollstuhlfahrer, Blinder, … oder was auch immer) in Hamburg. Umso mehr Aufmerksamkeit bekommen jene Menschen, denen zu dieser in weiter Ferne stehenden Hardware-Lösung auch
eine kurzfristig verfügbare Software-Lösung einfällt. So wurde für relativ viel Geld ein Informationssystem erstellt, bei dem die Betriebszustände der Aufzüge von jedem, den es interessiert, online aufgerufen werden können.

Das ist, vom Grundgedanken her, sehr hilfreich, denn oft steht und fällt meine Pünktlichkeit damit, ob der Aufzug am Bahnsteig funktioniert. Tut er das nicht, benötige ich für das Wiedereinsteigen in
die Bahn, die Fahrt zur nächsten rollstuhlgerechten Station, die Rückfahrt mit dem Bus (oder der Bahn gegenüber, sofern mein Zielbahnhof getrennte Bahnsteige mit getrennten Aufzügen hat) oder schlimmstenfalls „zu Fuß“ mal gut und gerne ein bis zwei Stunden. Bei den momentanen Straßenverhältnissen ist es völlig aussichtslos.

Für den Hamburger Hauptbahnhof liefert eine Anfrage an das Informationssystem (08.01.10, 18.00 Uhr) folgendes Bild (zum Vergrößern anklicken):

Das heißt: Es gibt acht Aufzüge. Einer ist defekt, ob die übrigen sieben funktionieren, weiß niemand. Großartig.

In fast allen anderen wichtigen Umsteigestationen dasselbe Bild. Mit ein wenig Hintergrundwissen (ich denke mal, dass mir der Mitarbeiter, der neulich den Aufzug in der Elbgaustraße vor meinen Augen wieder fahrbereit gemacht hat, Zitat: „Der geht gleich wieder, Sie können drauf
warten!“, keinen Blödsinn erzählt hat) fasst man sich dann noch richtig
an den Kopf.

Nämlich: Es werde nur dann „Aufzug defekt“, also dieser rote Button, eingetragen, wenn der Aufzug mutwillig beschädigt wurde. Höhere Gewalt sozusagen. Ist der Aufzug defekt und ist das durch eine technische Schwierigkeit oder mangelnde Wartung bedingt, stehe dort, dass keine Auskunft möglich sei. Das habe wohl rechtliche Gründe.

Das würde bedeuten: „Keine Auskunft möglich“ kann heißen, dass zur Zeit tatsächlich keine Informationen vorliegen oder dass der Aufzug defekt ist, man es aber nicht zugeben will, weil man sich sonst dafür verantworten müsste. Kein normaler Mensch fährt durch Hamburg und dokumentiert den Betriebszustand der Aufzüge – es sei denn, er bekommt es brühwarm nach Hause ins Wohnzimmer geliefert. Über das Internet. Das ist eine neue Gefahr, das am Image des jeweiligen Betreibers kratzen könnte.

„Aufzug funktioniert“, also der grüne Button, bedeutet allerdings auch nicht, dass der Aufzug einen auch wirklich von oben nach unten oder
von unten nach oben bringt. Er bedeutet nur, dass der Aufzug nicht manuell oder durch eine Sicherheitsschaltung gesperrt wurde. Es kann aber durchaus sein, dass der Aufzug festhängt oder wegen einer defekten Tür nicht losfährt – und trotzdem „Aufzug funktioniert“ im System angezeigt wird. Wie zum Beispiel an dem Abend, als wir an der Sternschanze festhingen.

Als wäre das jetzt noch nicht genug Durcheinander, gibt es seit 01.01.10 eine neue EU-Norm (hurra!), nach der es verboten ist, Kinderwagen auf Rolltreppen zu befördern. Von Rollstühlen steht dort allerdings nichts. Vielleicht hat man nicht für möglich gehalten, dass fitte Rollstuhlfahrer durchaus auch Rolltreppe fahren
können, vielleicht hat man sich nicht herangetraut – jedenfalls habe ich heute bereits den ersten Anschiss bekommen, dass es ein Gesetz gäbe,
wonach das Rolltreppefahren für mich seit 01.01.10 verboten sei. Ich bin normalerweise nicht so pissig drauf, aber manchmal stinkt mir solches Verhalten einfach so sehr, dass ich meine Klappe nicht halten kann. Mit den Worten: „Sie können ja die Polizei rufen!“ habe ich den Sicherheitsdienst stehen lassen und bin einfach weitergefahren. Auf die Diskussion, dass der Aufzug defekt ist, warum er defekt ist und dass das
trotzdem keine Rechtfertigung liefert, auf die Rolltreppe zu fahren, hatte ich schlichtweg keinen Bock.

Laut Frank, ja ich weiß, er ist Gold wert, ist eine Norm kein Gesetz und nur Gesetze dürfen etwas verbieten. Gut zu wissen – der nächste Wichtigtuer ist bestimmt nicht weit. Vielleicht treffe ich ihn schon, wenn ich mich gleich auf den Weg zum Schwimmen mache. Zu zweit. Mit Jan.
Ich freue mich riesig!

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