Ziemlich böse

Ich war böse. Ziemlich böse. Keine Ahnung, ob es schlau ist, das hier zu schreiben. Ich habe aber auch keine Ahnung, ob es schlauer ist, nur die braven Dinge zu schreiben. Von ein paar kleinen Ausrastern mal abgesehen, die aber meistens Reaktionen und nicht Aktionen waren. Ich weiß es wirklich nicht.

Wie gesagt, ich war böse. Ich war ja vor zwei Wochen auf einem Triathlon, habe im Anschluss daran weniger Muskelkater gehabt als befürchtet, hatte mich ein paar Mal von meiner Physiotherapeutin durchkneten lassen und sogar auch schon zwei Mal wieder an lockerem Schwimmtraining teilgenommen. Nur Straßentraining wurde noch nicht wieder angeboten. Dieses Wochenende sollte es sein, es wurde aber bereits am Donnerstag abgesagt, weil zu viele Leute krank sind.

Also war ich gestern nachmittag in der Sporthalle, in der einige Rennrollis eingeschlossen waren (auch meiner), und habe meinem Stuhl zwei neue Reifendecken verpasst, da die alten an einer Stelle bereits eine Kerbe hatten und es dann nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es knallt. Außerdem hatte ich nach dem Wettkampf sämtliche Sitzbespannungen mit nach Hause genommen und mal von der Waschmaschine durchwaschen lassen. Auch wenn sie sonst nach dem Training regelmäßig abgespült werden, gerade nach einem Triathlon sollte das dann doch mal drin sein.

Jedenfalls fummelte ich diese nun auch wieder auf den Stuhl und plötzlich überlegte ich mir: Eigentlich könntest du ja den Stuhl einfach mitnehmen und für dich selbst ein bißchen trainieren. Das ist nicht ungewöhnlich, andere machen das auch, Simone beispielsweise hat ihren Stuhl fast nie in der Halle stehen. Die einzige Hürde war: Ich musste ganz alleine managen, dass ich in den Stuhl kam und ich musste eine Strecke finden, wo ich gut fahren konnte, ohne dabei in den Straßenverkehr zu geraten. Das wäre ohne Begleitfahrzeug lebensmüde.

Asphaltierte Wege an den Elbdeichen sind doch etwas schönes. Auch im Dunkeln. Man ist fast alleine, von ein paar Joggern abgesehen, am Weg stehen in gewissen Abständen Laternen, man kann auf die Elbe schauen, Schiffe beobachten, hat wunderbare frische Luft und himmlische Ruhe.

Und einen gewissen Nervenkitzel. Schreib ich es wirklich? Ja, ich schreibe es. Ein Hauptgrund, warum ich für mich alleine trainieren wollte, war gar nicht mal der Sport, die Bewegung, die körperliche Fitness. Sondern ich brauchte einen Kick. Einen Hormonkick. Ich weiß, es hört sich komisch an. Vielleicht sogar etwas krank. Vielleicht mache ich mich auch absolut lächerlich. Und vermutlich locke ich jetzt scharenweise irgendwelche komischen Leute hier auf die Seite. Also doch nicht schreiben? Menno!!!

Ich brauchte einen Kick. Einen Hormonkick. Ich habe trainiert und … hatte keine Hose an. Klingt jetzt vielleicht albern. Und vermutlich werden sich jetzt die Hälfte meiner Freunde von mir distanzieren und mir raten, mal zum Psychiater zu gehen, aber es hat sich irgendwie einfach so ergeben. Natürlich war ich Herr äh Frau meiner Sinne. Und natürlich wäre das auch anders gegangen. Aber ich bin auf einen Parkplatz gefahren, völlig dunkel, völlig einsam, von allen Seiten gut einsehbar, direkt an der Elbe, bin im Auto nach hinten gekrabbelt, habe die Seitentür geöffnet, meinen Rennrolli rausgeschoben und wollte mich umziehen. Unter einem Laken (damit nicht alles dreckig wird) lag die Matratze und mein Schlafsack, und während ich mich auf der Matratze liegend auszog, um meine Trainingsklamotten anzuziehen, verspürte ich eine gewisse Lust, mich nackt in den flauschigen Schlafsack zu legen, ein bißchen Musik zu hören und mich zu streicheln, während draußen das Wasser der Elbe an mir vorbei floss und die Sterne leuchteten. Aber ich wollte ja trainieren.

Und plötzlich kam mir der Gedanke, wie es wohl wäre, nackt zu trainieren. Ich bekam Herzklopfen, wurde kribbelig, spürte eine gewisse Erregung und das alles wurde immer stärker mit jedem Gedanken daran, dass ich das ja wirklich machen könnte. Und irgendwann dachte ich dann: Naja, oben ohne, wenn das einer sieht, vermutet jemand ein Verbrechen oder eine Irre (bin ich ja auch) und ruft gleich die Polizei. Aber unten? Sieht ja keiner. Hinter dem Po ist die Rückenlehne, wenn das Shirt weit genug runter geht, sieht das niemand. Schon gar nicht bei der
Geschwindigkeit. Von den Seiten kann niemand reinschauen und von vorne liegen die Brüste nahezu auf den Knien. Man sieht nur die nackten Beine unterhalb des Knies – ich könnte ja auch eine kurze Hose tragen. Mein Herz raste und ich beschloss mehr und mehr, es wirklich zu tun.

Die Scheiben vom Auto sind getönt, man kann von außen nicht reingucken, es sei denn, man drückt sich mit der Nase an die Scheibe. Hingegen konnte ich alles sehen. Und es war weit und breit niemand. Also zog ich nur ein enganliegendes, langärmliges Shirt an und kletterte in Windes-Eile in meinen Rennrolli. Autotür zu, abschließen, Schlüssel in die Kletttasche an der Rückenlehne … und los. Es war nicht kalt, es war angenehme Luft und mein Puls war mindestens bei 150. Meine Trainingspartner hätten natürlich sofort gesehen, dass ich untenrum nackig war, aber wer das nicht vermutete, würde das auch nicht ahnen.

An ein vernünftiges Trainingsprogramm war in der Aufregung nicht zu denken. Ich fuhr, mal schnell, mal weniger schnell, auf dem asphaltierten Weg auf dem Deich, ich durfte jetzt nur nicht stürzen, umkippen oder vor Schreck in die Elbe lenken. Der Gedanke daran, was wohl passieren würde, wenn ich rausfallen würde und das jemand sieht, machte mich noch wuschiger. Diese exhibitionistische Ader kannte ich noch nicht von mir. In erster Linie reizte mich, etwas verbotenes, anstößiges zu tun. Man kann doch nicht immer nur lieb sein!

Nach einigen Minuten begegnete ich dem ersten Jogger, der war nur mit sich selbst beschäftigt und nahm mich kaum wahr. Ein Inlineskater drehte sich nochmal um. Ein anderer Jogger grüßte, mit einem anderen wäre ich im Dunkeln fast kollidiert, aber insgesamt war alles so wie sonst auch. Außer dass niemand wusste, was ich tat. Als ich an dem Punkt angekommen war, an dem ich wenden wollte, habe ich mich gerade hingesetzt, aus dem Dunkeln heraus lange in alle Richtungen geschaut und als ich niemanden sah, habe ich angefangen, mich zu berühren. Im Bett habe ich dafür meine Bauchlage und meinen Delfin, mit den Fingern im Sitzen habe ich es noch nie getan. Die direkten Berührungen spüre ich wegen meiner Querschnittlähmung nicht. Wohl aber, dass da etwas wohliges passiert und auf jeden Fall, dass das alles irre gut durchblutet ist und ganz viele Hab-mich-lieb-Hormone durch meinen Körper wuseln. Und dann plötzlich kam so eine Phase, in der ich nicht mehr aufhören konnte und nicht genug bekommen konnte. Und dann plötzlich hätte ich fast geschrien, so gut fühlt sich das an.

Ich will hier keinen Porno schreiben. Ich will weder, dass einer den „Flag it!“-Button drücken muss noch dass hier Dinge stehen, von denen sich jemand belästigt fühlen könnte. Ich möchte einfach nur beschreiben, dass ich, wenn auch auf zugegeben seltsame Art, etwas geschafft habe, über das ich sehr glücklich bin. Eben auch, weil ich einige Leute mit Querschnittlähmung kenne, die glauben, Sexualität nicht mehr erleben zu können, nur weil sie da unten keine Berührungen mehr empfinden. Ich muss auch gleich sagen, dass ich nicht weiß, wie das bei mir wäre, wenn ich ein kompletter Querschnitt wäre, vielleicht noch höher. Vielleicht wäre dann alles ganz anders.

Nach diesem Flash war alles ganz anders. Ich fühlte mich glücklich, wie auf Droge, mein Puls war erstaunlich langsam, ich saß da im Stuhl und dachte mir: „Was machst du hier eigentlich für einen Scheiß?“ Mir wurde kalt und ich hätte am liebsten gerne mal geduscht. Ich hätte gerne jemanden gehabt, an den ich mich ankuscheln könnte. Den ich kraulen könnte, den ich umarmen könnte. Stattdessen waren da noch einige Kilometer zum Auto zu bewältigen. Halbnackt. Aber ich habe es ja nicht anders gewollt. Und als ich dann endlich wieder im Auto saß, mich angezogen hatte, die Heizung lief, das Radio mitten in der Nacht schöne sanfte Kuschelmusik spielte, die Bäume begannen, sich im Wind hin und her zu wiegen, einzelne Regentropfen auf die Windschutzscheibe fielen, ich das Fahrlicht anknipste, das einige Hasen von der Wiese scheuchte, und ich langsam vom Parkplatz rollte, dachte ich mir so: Socke, eigentlich geht es dir doch richtig gut.

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