Gewisse Außenseiterrolle

Inzwischen weiß ich, worüber sich meine Lehrer Sorgen machen. Ich bin heute morgen noch einmal mit der Frage, ob ich mir denn inzwischen Gedanken gemacht hätte, auf das Thema angesprochen worden. Ich habe geantwortet, dass ich mir zwar Gedanken gemacht hätte, dass ich das Thema aber als erledigt angesehen habe, da ich mich für durchaus ausreichend reflektiert halte. Und wenn da doch noch etwas sei, worüber man reden müsste, dann könnte man sich mit mir wie mit jedem anderen erwachsenen Menschen vernünftig unterhalten.

Ich habe wirklich nochmal über alles mögliche nachgedacht. Und meine Leser ja auch… das mit dem Laptop haben diejenigen, die sich bisher regelmäßig beschwert haben, inzwischen „gefressen“. Das Parkplatzproblem
besteht nach wie vor, weil dort regelmäßig Leute drauf stehen, die dort
nicht hingehören; allerdings steht dort nicht mehr der Lehrer, der dort
vorher regelmäßig gestanden hat. Nein, die Parkplätze sind super, aber bei der Problemsuche ist dieser Tipp schon recht „heiß“.

Der Kommentar mit dem „Schwachsinn“ trifft es vielleicht am besten. Nein, nicht der mit dem Schwimmbecken. Ich gehe weder mit Rollstuhl baden, noch hat meine Schwimmhalle einen Fünfmeterturm, noch pinkel ich so exzessiv ins Badewasser, dass es jemand mitbekommen könnte. Ich meinte den von und mit Terence Hill: Schwachsinn!

Man mache sich Sorgen darüber, ob ich gut in die Klassengemeinschaft eingegliedert sei oder ob ich möglicherweise schwerwiegende zwischenmenschliche Probleme hätte. Wie ich das beurteilen würde. Ich war erstmal perplex. Und antwortete dann: „Ich sehe das nicht so. Ich kenne die Leute seit einem Jahr, komme mit einigen gut zurecht, mit anderen weniger gut, vielleicht habe ich auch aufgrund meiner Behinderung eine gewisse Außenseiterrolle, aber die Mehrheit der Leute akzeptiert mich so und … nein, ich würde nicht sagen, dass ich mich ausgegrenzt fühle. Die Probleme, die es mit einzelnen Mitschülerinnen gab, sind ja bekannt und von weiteren wüsste ich jetzt nichts.“

Ich fragte, womit sie die Sorgen begründen. Oder ob es vielleicht nur
so ein Gefühl sei. Und falls es ein Gefühl sei, ob es vielleicht mehrere Lehrer geäußert hätten. Es kann ja durchaus sein, dass die mit ihrem fachlichen Auge etwas sehen, was ich noch gar nicht wahrgenommen habe.

Nein, alles Grütze. Ich ärgere mich inzwischen, dass ich mir überhaupt Gedanken darüber gemacht habe und dass ich überhaupt zu dem Thema einen Beitrag geschrieben habe. Man mache sich Sorgen darüber, dass ich offenbar versuche, durch materielle Dinge die Aufmerksamkeit meiner Mitschüler zu erzeugen. Dass würden in der Regel nur Leute versuchen, die auf dem zwischenmenschlichen Weg mit den herkömmlichen Methoden nicht weiterkommen würden. Man wollte deshalb, dass sich eine Psychologin mit mir unterhält, jedoch habe diese das abgelehnt. Insofern
könne man mir „dieses Angebot nicht machen“. Aber man würde versuchen, mich bestmöglich zu unterstützen.

Ich verstand weiterhin nur Bahnhof und fragte konkret: „Durch was für
materielle Dinge versuche ich denn Ihrer Meinung nach Aufmerksamkeit zu
erlangen?“ Das einzige, was mir einfiel, waren Markenklamotten. Damit versuchen ja viele Leute, Aufmerksamkeit zu bekommen. Mir ist das eigentlich relativ schnuppe, denn die meisten Markenklamotten passen mir
im Sitzen sowieso nicht. Nein, ganz anders. Man wollte von mir wissen, wie hoch die Leasingrate für mein Auto sei und wovon ich die abbezahle. Man mache sich Sorgen, dass ich mich als 18jährige sofort überschuldet hätte. Und ob es nicht ein kleineres Auto auch getan hätte. Ich dachte nur: „Das glaub ich jetzt nicht.“

Ich habe dann erklärt, dass das Auto bezuschusst wurde und bereits komplett bezahlt ist, dass ich mich damit nicht übernommen habe und damit nicht angeben will, sondern es benutzen will. Es soll zweckmäßig sein. Normalerweise möchte ich gar nicht weiter auf meine finanziellen Verhältnisse eingehen, aber wenn ich nur gesagt hatte, dass die Herrschaften das nichts angeht, hätte man das ja nur für ein weiteres Indiz gehalten, dass ich mir nicht helfen lassen möchte. Ja und dann bin
ich ja, vor allem bei schönem Wetter, öfter mal mit meinem Handbike (nicht das Rennbike für Triathlon, sondern ein Vorspannbike, das man an den Alltagsrollstuhl an- und vor der Schule wieder abklemmen kann) zur Schule gefahren – das würde ich ja auch nur machen, um Aufmerksamkeit zu
erlangen. Ey, hallo?! Gehts noch?!

Bei 500 anderen Schülern, die mit dem Fahrrad kommen, ist das kein Problem. Ich kann nicht Fahrrad fahren und komme mit einem Fahrrad für Rollis, dann ist das gleich ein Problem. Nur weil die das nicht kennen. Der Grund ist doch ganz simpel: Wenn ich mit dem ganzen Gepäck, das ich trotz doppelter Bücher noch habe, „zu Fuß“ zur Schule fahre, geht es mit
einem Handbike viel einfacher und viel schneller. Aber was solls. Ich habe nur gesagt: „Es ist wirklich nicht nötig, dass Sie sich Sorgen machen. Ich komme gut zurecht.“ – „Wenn Sie meinen … wir werden es im Auge behalten.“

Ich hatte eigentlich gedacht, dass der Horizont von den Menschen, die
mich auf das Leben vorbereiten sollen, in dieser Hinsicht etwas höher liegt. Aber irgendwie kann man das wohl nicht erwarten und es hat wohl auch keinen Sinn, denen das alles zu erklären. Wenn ich regelmäßig gefragt werde, warum ich keinen Elektrorollstuhl habe, schließlich würde
das doch viel einfacher gehen, zeugt das von so viel Unkenntnis und so wenig Vorstellungs- und Einfühlungsvermögen, dass man erstmal einen Basiskurs durchlaufen müsste. Ist das mein Job, meinen Lehrern zu vermitteln, dass behinderte Menschen sich in der heutigen Gesellschaft nicht über ihre Behinderung definieren?

Ich bin immer geneigt, auf die Frage mit dem E-Stuhl zu antworten: Warum laufen Sie denn zu Fuß, statt im Rollstuhl zu fahren, schließlich ist es im Rolli bequemer und man hat immer gleich einen Sitzplatz dabei.
Die ersten sind dann empört, weil sie mit dem Rollstuhl etwas verhext-verteufeltes verbinden, die zweiten sagen, dass sie zu Fuß viel schneller seien als mit dem Rollstuhl (was ja nur bedingt stimmt) und die dritten geben die richtige Antwort: „Warum soll ich mich in so ein Ding setzen, wenn ich noch laufen kann?“ – Worauf ich dann antworte: „Warum soll ich mich von einem Motor schieben lassen, wenn ich mich noch
selbst mit Muskelkraft fortbewegen kann?“

50% nicken dann zustimmend, das sind die, bei denen man hoffen darf, die anderen 50% sagen: „Na, aber es ist doch viel anstrengender mit Muskelkraft. Gerade bergauf.“ Das sind dann die, die erstmal verstehen müssten, dass sie eigentlich besser bedient wären, wenn sie die Treppe zur U-Bahn nehmen statt den Aufzug zu blockieren, auf den schon 5 Rollifahrer warten. Aber solange sie selbst nichts für ihre Fitness tun,
werden sie nicht verstehen, dass ich für meine Fitness etwas tun möchte. Und mir somit weiterhin den E-Rolli schmackhaft machen wollen. Schwierig, schwierig.

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