Ziemlich beste Freunde

„Am liebsten den um 20.20 Uhr.“ – „Nein, der ist ausverkauft. Für 23.10 Uhr hätten wir noch Karten.“ – „Okay, dann gehen wir vorher noch was essen. Wir sind 16 Rollstuhlfahrer und eine Begleitperson, also 17 Leute insgesamt. Gibt es da schon Gruppenrabatt?“ – „17 Rollstuhlfahrer? Unmöglich. Wir haben nur zwei Rollstuhlplätze.“ – „Wie jetzt? Kommen Sie schon, wir wollen den sehen. Wir setzen uns auf die normalen Sitzplätze um.“ – „Sie brauchen doch die Rollstühle im Evakuierungsfall.“ – „Wir krabbeln raus, wenn es brennt.“

Eine Kollegin blickt ihr von hinten über die Schulter. „Das ist Saal 1, der hat acht Rollstuhlplätze. Das sind aber trotzdem nicht genug. Wieviele sind Sie?“ – „16 Rollis, ein Fußgänger. Und wir wollen alle zusammen sitzen.“ – „Puh. Aber Sie können sich alle umsetzen, ja?“ – „Klar. Wir haben ja auch eine Fußgängerin, die kann uns helfen.“ – „Dann buche doch die beiden Reihen vor den Rolliplätzen komplett für die Gruppe und dann müssen die Rollstühle so an die Seiten geschoben werden, dass die Notausgänge frei bleiben. Das passt schon, die sind ja alle schmal und klein.“

„Dann reserviere ich Ihnen jetzt diese Reihen hier“, sie zeigte auf ihren Bildschirm, „komplett für Sie alleine und bekomme 128 €. Zahlen Sie bar oder mit Karte?“ – „Mit Karte.“ – Der Drucker spuckte 17 Eintrittskarten aus. Bingo.

Um 20.30 Uhr trafen wir uns mit allen Leuten, mit dabei auch Simone, Yvonne, Cathleen, Sofie, Nadine, Kristina, Merle, Sarah und Jana, bei einem Italiener im Stadtteil St. Georg. Maria war auch dabei und ließ sich von Nadine schieben – das nächste, was Maria braucht, ist ein elektrischer Rollstuhl, damit sie unabhängig mobil ist. Sobald die andere Arie mit dem Zimmer geklärt ist, nehmen wir das in Angriff.

Sofie und ich fragten, ob er Platz für 16 Rollstuhlfahrer hätte, was er aber sofort verneinte. Also fuhren wir weiter zu einem leckeren Hamburger Burgerladen, wo sofort jemand die Stühle von vier Tischen wegräumte und meinte, wir sollten uns einfach schon an die Tische setzen und von dort bestellen, obwohl es eigentlich ein SB-Restaurant ist. „Ich bringe Ihnen das an den Tisch.“

Maria saß zwischen mir und Sofie und wurde von uns abwechselnd gefüttert, das klappte problemlos. Ihre Cola trank sie mit einem Strohhalm. Maria war die Attraktion unter den anderen Gästen: 16 Rollstuhlfahrer auf einem Haufen ist ja sowieso schon ein seltener Anblick, aber dann wird eine auch noch gefüttert… Ein Mann starrte uns bestimmt 10 Sekunden lang mit offenem Mund an. Irgendwann hielt ihm Sofie auf eine Entfernung von geschätzten acht Metern eine Gabel mit drei aufgespießten Pommes am ausgestreckten Arm entgegen und sagte: „Wollen Sie auch was?“ – In dem Moment drehte er sich um und merkte, dass die Kassiererin schon seit einer halben Minute auf ihn wartete und ihn bereits mehrmals angesprochen hatte, was er denn wünschte, denn er wäre dran.

Vor dem Kino wird gebaut, ein Wirrwarr aus Baustellenzäunen und Absperrungen galt es zu umfahren, natürlich war überall Kopfsteinpflaster oder nicht geräumter Schnee. Um 22.30 Uhr kamen wir aber dennoch im Kino an. Einige wollten sich beim Popcorn anstellen, andere mussten noch auf die Toilette. Unter anderem Maria, und das war ohne Pflegerin gar nicht so einfach. Nadine konnte sie wegen ihrer eigenen Behinderung nicht hochheben. Also hatten die beiden, die am stabilsten im Stuhl sitzen, das Los gezogen: Sofie und ich. Wie es am Ende funktionierte, führe ich lieber nicht weiter aus. Ich sag nur so viel: Es hat funktioniert und zum Glück hat es keiner gesehen.

Der Film, „ziemlich beste Freunde“, war genial. Ich habe lange nicht so einen tollen Film gesehen. Zeitweise ist er sehr rührend, zeitweise bedient er diejenigen Klischees, über die man als Rollifahrer bestens lachen kann, überwiegend ist er aber so lustig, dass man minutenlang aus dem Lachen nicht mehr rauskommt. Wir haben fast unter den Stühlen gelegen. Einfach irre und unbedingt sehenswert. Wir hatten Tränen in den Augen und wussten am Ende nicht mehr, ob sie vom Lachen oder vom Weinen kamen. Keine Action, keine Schrecksekunden, nicht unter der Gürtellinie … absolut nach meinem Geschmack.

Alle 17 fanden den Film toll. Und nicht nur wir: Der Saal war bis auf den letzten der 961 Plätze ausverkauft. Am Ende klatschten alle – und es war keine Premiere.

Der krönende Abschluss kam von Maria: „Bei unserer Klo-Aktion dachte ich schon, ekliger kann der Abend nicht mehr werden. Und dann kam die Szene in dem Film, wo es darum ging, wer dem Hauptdarsteller den Enddarm
leert.“ – Wie war das mit der digitalen Ausräumung? Hier wird die Wurst noch mit der Hand gemacht! In diesem Sinne: Guten Appetit!

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