Aufzüge und Angoraziegen

Rollstuhlnutzende sollten sich nicht vor Aufzügen fürchten. Und nicht klaustrophobisch sein. Behaupte ich mal kühn.

Ich muss nicht lange einleiten. Es ruckte und schaukelte kräftig, die
Kabine kam rund 50 Zentimeter unter dem oberen Haltepunkt zum Stehen, das Licht ging aus, die Notbeleuchtung an – und ich stand drin. Ein gläserner Aufzug, draußen schien die Sonne, die Aussicht war schön. Ich hatte es lange nicht mehr. Und irgendwie war Murphy nicht zur Stelle, so
dass mir dieser unnütze Ballast ausnahmsweise mal nicht zum ungünstigsten Zeitpunkt in den Tagesablauf stolperte. Sondern auf dem Weg nach Hause, satt, Blase leer, Handyakku voll.

Der Aufzug wurde von einem Verkehrsbetrieb betrieben. Ich drückte den
Notrufknopf. Eine Stimme brüllte mich an: „Zum Auslösen des Notrufs bitte länger drücken! For an emergency call press the button longer.“ – Ich zuckte zusammen und zog den Kopf ein. Na dann, presste ich den Button longer. Und siehe da: Trotz Stromausfall baute sich eine Telefonverbindung auf. Nach einer halben Minute Pullermusik (da das ganze Bedientableau im Takt mitschepperte und der hinter dem Metall verborgene Ein-Watt-Lautsprecher selbiges mitvibrieren ließ, konnte ich nicht ausmachen, welche Band da gerade spielte) meldete sich eine sexy Männerstimme: „Hua, steckt da wer in der Kabine fest?“

Ich antwortete: „Ja.“ – „Hallo!! Steckt da jemand in der Kabine fest?“ – „Ja!“ – Knack, tut, aufgelegt. Und nun? Ein „Hilfe ist unterwegs“ hätte für mehr Klarheit gesorgt. Ich presste den Button even longer und hörte mir noch einmal für gefühlte zwei Minuten Musik an. Inzwischen besang Rihanna ihre Diamonds. „When you hold me, I’m alive. We’re like diamonds in the sky.“ – Wie passend. Dann meldete sich dieselbe Stimme noch einmal: „Steckt da wer in der Kabine fest?“ – „Ja, ich stecke fest.“ – „Stecken Sie fest oder nicht?“ – „Ich stecke fest und brauche Hilfe!“ – „Stecken Sie fest?“ – „Jahaaa! Himmel, Arsch und Zwirn.“ – „Stecken Sie fest?“ – „Die Kabine steckt fest, rund einen halben Meter unter dem oberen Haltepunkt. Das Licht ist aus und ich würde gerne wieder raus.“ – „Wieviele Personen sind eingeschlossen?“ – „Eine Person.“ – „Bitte wiederholen!“ – „Eine Person ist eingeschlossen.“ – „Eine Person?“ – „Ja!“ – „Bitte wiederholen!“ – „Eine
Person ist eingeschlossen.“ – „Ich schicke jemanden vorbei, das kann aber einen Moment dauern, der ist am anderen Ende der Stadt. Es kann aber nichts passieren, bleiben Sie ruhig.“ – Knack, tut, aus.

Aha. Soweit ich weiß, muss eine eingewiesene Person nach zwanzig Minuten vor Ort sein. Nach einer halben Stunde drückte ich erneut auf den Knopf. Wieder even longer, so dass mir die Ansage vom Chip erspart blieb. Ja, man sei bemüht und unterwegs. Aber es sei voll auf den Straßen. Man gebe bereits Vollgas.

Nach einer weiteren halben Stunde fragte ich noch einmal nach. Hans Hartz überbrückte die Wartezeit. Die weißen Tauben seien müde. Das würde
ich sofort unterschreiben. Der Auftrag davor habe sich verzögert, man sei nun aber unterwegs zu mir. Hatte die sexy Stimme aus dem Lautsprecher mich also kackfrech angelogen? Nix Verkehr, der war noch gar nicht losgefahren! Eine ausgeprägte Pöbelei war ob der schlechten Verbindung kaum möglich. Die Sonne ging langsam unter, einige Leute winkten mir im Vorbeigehen zu und fragten, ob Hilfe käme. Bei den ersten
Personen bejahte ich das noch, später sagte ich, dass ich mir inzwischen nicht mehr sicher sei. Vielleicht sollte ich mal die Augen verdrehen und einen eukalyptischen Anfall vortäuschen? Nein, das könnte teuer werden.

Nach zwei weiteren halben Stunden und zwei weiteren Nachfragen wählte
ich per Handy die Notrufnummer der Feuerwehr und erklärte dem Disponenten, dass ich seit nunmehr zwei Stunden in einer Aufzugskabine steckte und noch keine zuständige Person vor Ort entdecken könne. Die Antwort war kurz und knackig: „Wir kommen dorthin.“

Es vergingen rund 10 Minuten, da sah ich ein großes rotes Feuerwehrauto vorfahren. Sechs Mann stiegen aus, holten mehrere Werkzeugkisten hervor und stiefelten zu mir. Ein Mann kam zur Tür, die knapp einen halben Meter über mir war, öffnete sie mit einem Dreikantschlüssel, schob sie zur Seite. „Ganz kleinen Moment noch. Mein Kollege öffnet jetzt mal unten einen Schaltschrank und prüft, ob dort alle Sicherungen drin sind. Vielleicht lässt sich das Problem ganz schnell lösen.“ – Einen Moment später war klar: Nix ging mehr. Die äußere Tür wurde mit einem Keil offen gehalten, weil sie sonst ständig zugefallen wäre, anschließend versuchten die Männer mehrmals vergeblich,
die innere Tür zu öffnen. Irgendwas hatte sich angeblich verzogen. Am Ende wurde die Kabinentür aus den Halterungen geschraubt. Zwei Leute kamen zu mir in die Kabine. „Wir werden Sie auf dem Arm nehmen und dann zu zwei Kollegen rausreichen. Anschließend kommt der Rollstuhl hinterher.“

Gesagt, getan. Kaum war ich draußen, kam der Mann von der Wartungsfirma. Der wollte sich noch mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr anlegen, warum man die Kabinentür entfernt hatte, aber nachdem der ankündigte, dass man einen Bericht schreiben und dem Ordnungsamt zuleiten werde, wurde es ganz still. Anschließend trug man mich noch die
Treppen nach unten, ich bedankte mich und machte mich auf den Weg nach Hause. Kurz danach überholte mich das Feuerwehrauto, aus einem Fenster winkte noch jemand – und ich war froh, nun endlich wieder frei zu sein. Kalt war es zuletzt.

Und wie gesagt, klaustrophobisch sollte man nicht sein. Das ist die korrekte Bezeichnung für Raumangst, die gerne mit Platzangst (Agoraphobie) verwechselt wird. Genauso wie Angorakaninchen und Angoraziegen, die damit aber überhaupt nichts zu tun haben, die aber auch häufiger mal verwechselt werden. Zumindest wenn die Frage auftaucht, von welchem der beiden Tiere die Wolle kommt.

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