Behindert und schwanger

… und wo ich schonmal in Fahrt bin: In fast die gleiche Kerbe wie „Biester und Hexen“ schlägt mein heutiger Beitrag. Auch auf die Gefahr hin, dass ich gleich erneut lesen muss, ich würde zunehmend verbittern. Völlig fassungslos habe ich gerade einen Artikel im Spiegel gelesen, der
auf der Facebookseite von Spiegel online
hunderte Male kommentiert wurde. Eigentlich ging es in dem Artikel darum, dass es für Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland sehr schwer sei, einen spezialisierten Gynäkologen zu finden. Ich kann diese Einschätzung nicht teilen, weil ich mich durch meine Frauenarzt-Praxis gut betreut sehe; ich muss allerdings auch gleich ergänzen und damit auch relativieren, dass ich kein Maßstab bin, da viele Menschen weitaus stärker ausgeprägte körperliche Einschränkungen haben als ich. Von daher
möchte ich die Aussage des Artikels überhaupt nicht in Frage stellen.

Was mich aber (nicht verbittert sondern) wütend macht, ist die Vielzahl jener Kommentare, in denen es plötzlich nicht mehr um die schlechte gynäkologische Versorgungssituation von Frauen mit Behinderung
in Deutschland geht. Etliche Leserinnen und Leser haben den Artikel zum
Anlass genommen, eine widerwärtige Diskussion über die Rechte von Menschen mit Behinderungen loszutreten. Und damit meine ich nicht die übliche Anzahl jener Trolle, die überall durch destruktive Provokationen
ihre Aufmerksamkeit erhalten wollen; Kommentare, wonach man sich am Ort
eines ehemaligen Konzentrationslagers ja zumindest mit Behinderten auskenne, natürlich ironisch gemeint, oder nicht-ironische Aussagen, es sei falsch, wenn Behinderte überhaupt Kinder bekämen, kann man, genauso wie die Frage, wer denn bitte eine Behinderte ficke, natürlich nicht ernst nehmen.

Aber ob und unter welchen Umständen es Menschen mit Behinderungen erlaubt sein soll, eigene Kinder zu bekommen und welche Rolle Kinder mit
Behinderung in der Gesellschaft spielen, waren Fragestellungen, zu denen viele differenzierte Meinungen und noch viel mehr Unsinn tatsächlich geschrieben wurden. Ich sage ausdrücklich, dass es unterschiedliche Meinungen geben muss und dass ich die richtigen Lösungen auf viele Fragen und Probleme unserer Gesellschaft ebenso wenig
weiß. Ich habe aber mit Erschrecken festgestellt, dass eine Vielzahl jener Kommentatoren, die ernsthaft glauben, diese Lösungen zu kennen, auf mich den Eindruck erweckten, von Tuten und Blasen überhaupt keine Ahnung zu haben. Um nicht unterstellen zu müssen, sie seien mitten in den dreißiger Jahren eingeschlafen und eben gerade wieder aufgewacht. Das passte aber vom Alter nicht, denn die Mehrzahl jener derart ekelerregend Kommentierenden war nicht weit über 80 sondern gerade über 20.

Kann es wirklich sein, dass mir jemand ernsthaft meinen Wunsch absprechen würde, ein Kind zu bekommen? Weil ich querschnittgelähmt bin?
Ist das wirklich diskussionswürdig?

Vielleicht ist es vermessen, in Zeiten, in denen wir mit Sorge auf unseren Umgang mit Flüchtlingen schauen müssen und in denen sich Nachbarn aus derselben Stadt, vielleicht sogar aus derselben Straße, mit
großem Aufwand zu Terroristen ausbilden lassen, dafür zu werben, sich mit Themen wie Nächstenliebe, Vielfältigkeit, Dazugehörigkeit und vor allem Gleichwertigkeit mal intensiv zu befassen. Vielleicht aber auch gerade nicht.

Auf jeden Fall lohnt es sich aber, für das nötige Selbstbewusstsein zu werben, das man braucht, um auf jene Fragen, mit denen man sich noch nicht ausreichend beschäftigt hat, keine Antwort zu äußern. Das mache ich an dieser Stelle mal, denn ich habe den Eindruck gewonnen, es ist mit Blick auf diesen Artikel bitter nötig.

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