Schokolade zu mir

Hallo? Hallo Welt? Ach, du bist noch da. Wie schön. Bin ich auch im
Hier und Jetzt? Ja, doch, so langsam erscheint die Welt wieder real. Und mir geht es zum ersten Mal seit etwa zehn Tagen wieder richtig gut. Wenngleich auf einem eher bescheidenen Niveau, aber beim Befinden zählt ja bekanntermaßen vorrangig das Gefühl.

Seit Freitag bin ich wieder zu Hause. Entlassen. Nicht aus dem Knast.
Sondern aus einer anderen Einrichtung, die mit demselben Buchstaben beginnt. Ja, Klinik. Oder Krankenhaus. Eigentlich war fast nichts los. Aber es war trotzdem mal wieder unnötig dramatisch.

Hatte ich nicht mehrfach laut herumgetönt, dass ich vier Wochen Famulatur in einer Kinderarztpraxis überstanden habe, ohne mich mit einem grippalen Infekt anzustecken? Noch dazu während der Erkältungs-Hochsaison. Entweder habe ich dabei nicht laut genug an meinen Holzkopf geklopft oder vielleicht den Arm dabei zu hoch gehoben.

Alles begann mit einem Halskratzen am ersten freien Montag. Ich dachte noch so: „Oh nein, nun hat es dich doch erwischt.“ – Auch wenn grippale Infekte lästig, mitunter auch äußerst nervig sind, sie stärken auch das Abwehrsystem und ein paar Tage sich im Bett verwöhnen zu lassen, ist auch mal schön. Um das ganz klar zu sagen: Ich muss es nicht
haben. Aber wenn, dann arrangiere ich mich halt damit. Es gibt schlimmere Dinge. Wie zum Beispiel eine Querschnittlähmung, nä?

Die nächsten zwei Tage hatte ich Halsweh. Es wurde immer schlimmer. Ich konnte kaum noch schlucken. Halsweh sind ätzend, ja, aber das hier war richtig fies. Komischerweise war die Nase völlig frei, überhaupt kein Sekret. Und ich war derart müde, das war unbeschreiblich. Zwölf Stunden durchgeschlafen, zwei Stunden wach, nur gegähnt, wieder stundenlang geschlafen. Ich machte mir so meine Gedanken, Marie ging schon auf größtmöglichen Abstand und am Donnerstag ging es dann mit Schüttelfrost los. Wobei man sagen muss, dass ich mich über Schüttelfrost eher amüsiere als dass ich ihn schlimm finde. Aber dass ich unter der Bettdecke nur am Zittern und Klappern bin, hatte ich auch noch nicht.

Ich bat Marie, in ein, zwei Stunden mal nach mir zu schauen. Als sie mich weckte, mit Mundschutz und Handschuhen, grinste ich noch. Sie übetrieb es mal wieder. Das Fieberthermometer zeigte 39,8 Grad oral an. Ich erinnere mich noch genau daran, dass ich sie wie durch einen weißen Schleier sah und sie mich aufforderte, Wasser zu trinken. Ich schlief anschließend weiter. Eine Stunde später weckte sie mich noch einmal, da war das Fieber bei 40,6 Grad. Marie meinte: „Das ist langsam nicht mehr witzig. Ich rufe meine Mutter an.“

Ich erinnere mich auch noch, dass ich sie bat, das Licht auszumachen,
weil ich das extrem unangenehm fand. Ich muss dann wieder eingeschlafen
sein und so ganz bei Sinnen kann ich nicht gewesen sein, denn das nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass Maries Mutter an meinem Bett
saß, ebenfalls mit Mundschutz und Handschuhen, und mich mit großen Augen ansah. Sie fragte, ob ich wach sei und ich dachte nur: „Was soll die dumme Frage?“ – Erst später hat sie mir erzählt, dass sie mich nur schwer wach bekommen hat.

Der Puls war bei über 130, der Blutdruck sehr schwach – Infusion dran, ab ins Krankenhaus. Ich erinnere mich noch, dass Maries Mutter die
beiden Jungs in rot aufgefordert hat, meinen Oberkörper nicht anzuheben. Ich wurde verkabelt. Nach dem Umlagern auf die kalte Trage und nachdem man mich mit der kalten Bettdecke zudeckte, war ich schlagartig wieder hellwach. Ich wurde in den Rettungswagen gerollt, im Hausflur begegneten wir dem älteren Nachbarn, der mich mit geschocktem Blick ansah und mir alles Gute wünschte. Lange nicht im Blaulichttaxi gefahren.

Maries Mutter sagte, sie würde mit dem Auto hinterher fahren. Ich alberte noch mit dem jungen Mann in Rot herum, der sich neben mich auf einen Stuhl gesetzt hatte und auf einem Klemmbrett irgendein Protokoll ausfüllte. Da es schon spät war und die Straßen offenbar frei waren, merkte ich es erst nach einiger Zeit: Wir fuhren tatsächlich mit Lalülala. Was für eine Aufregung! „Wieso fahrt ihr mit Musik?“, fragte ich den Mann neben mir. Er meinte: „Keine Angst, wir fahren Sie jetzt direkt ins Krankenhaus.“

Ich fing wieder an zu zittern. Als nächstes erinnere ich mich an eine
Fahrt über einen Flur mit zahlreichen Leuchtstoffröhren an der Decke. Dann sagte einer der beiden, die mich schoben: „Einmal Schockraum bitte!“ – Leute? Mir geht es gut. Ich habe nur hohes Fieber. Oder so. Macht bitte nicht so ein Drama, nur weil ich eine Querschnittlähmung habe. Ich wurde unter eine helle Lampe geschoben, die dann bald jemand wegdrehte, ich hörte nur, wie jemand sagte: „Absolut instabiler Kreislauf, dämmert ständig weg, fast 41 Fieber.“ – Ich wollte sagen, dass ich eine Halsentzündung habe, aber das ging überhaupt nicht. Ich wollte die Hand des Arztes greifen, der mich abtastete, aber ich war viel zu langsam. Was war hier los?

„Wir brauchen einen Urinstatus“, hörte ich. Nee, Leute, das ist kein Harnwegsinfekt, das ist was im Hals! „Haben Sie Unverträglichkeiten?“, brüllte mich der Arzt an. Ich versuchte, mir an den Hals zu fassen. Er schüttelte meine Schulter: „Hallo, bleiben Sie mal wach!“ – Ich bin wach, Junge. Nur irgendwie gerade sehr schwach. Maries Mutter kam rein, das hörte ich. Sie wurde gefragt, ob sie Angehörige sei. Dann erinnere mich daran, dass mir jemand im Mund herumfummelte. Dann habe ich geschlafen und wachte zwischendurch immer mal wieder auf, sah ein Fenster und jede Menge Geräte.

Ich träumte. Von Booten, die mit mir versinken, von bösen Menschen, die sich in meinem Büro verstecken (obwohl ich gar kein Büro habe), von Autounfällen bei Schnee, von irgendwelchen Krabbeltierchen in meinem Frühstücksmüsli, von allem möglichen Mist. Hin und wieder war ich wach, aber tierisch müde. Einmal musste ich so dringend pinkeln, fand aber nirgendwo eine Klingel. Ich hatte überhaupt keine Energie, mich darum zu
kümmern. Ob ich gleich in einer riesigen Pfütze liegen würde, war mir völlig schnuppe. Erst später merkte ich, dass man mich mit einem Dauerkatheter versorgt hatte.

Am Dienstag, immerhin nach fünf Tagen, wurde ich von der Intensivstation auf eine normale Station verlegt, drei Tage später entlassen. Was war es? Eine Kokken-Infektion (Streptococcus pyogenes). Also irgendwelche herum geniesten Bakterien. Mein Problem war mal wieder
die mit der Querschnittlähmung einhergehende Kreislauf-Regulationsstörung. Die zusammen mit den Toxinen, die von den Kokken in den Blutkreislauf abgegeben werden, haben mich wohl etwas überfordert. Ich bekam Penicillin, jede Menge Flüssigkeit und irgendwann
kühle Wickel, da man keine fiebersenkenden Medikamente geben wollte.

Inzwischen fühle ich mich, wie gesagt, wieder super. Was mich ein wenig ärgert, ist, dass mich dieser unnötige Mist rund 14 Tage zurückgeworfen hat. Ich muss noch so viel für die Uni tun, das ist alles
liegen geblieben. Und angesichts des guten Wetters wollte ich auch mal wieder trainieren, das muss ich nun auch noch für ein paar Tage sein lassen. Aber Philipp hat mich regelmäßig besucht. Und darüber freue ich mich natürlich sehr.

Und ich habe neun Kilogramm abgenommen. Allerdings weiß ich nicht genau, wieviel davon in den zwei Wochen und wieviel davon in den vier Wochen Praktikum. Fakt ist aber, dass das so gar nicht geht, weil ich vorher schon Idealgewicht hatte und mein BMI aktuell bei 15,8 liegt. Was
trotz reduzierter Muskelmasse in den Beinen eindeutig zu niedrig ist. Ich bin aber überzeugt, dass das nur eine vorübergehende Erscheinung ist. Schokolade zu mir!

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