Verkürztes Sofa

Im Moment ist wieder so eine Phase, aus der ich gerne schnellstens wieder herauskommen würde. Marie, ihre Eltern und ich waren vorhin auf dem Weg zu dem Wochenendhaus an der Ostsee, das sich Maries Eltern vor einigen Monaten gekauft haben. Maries Mutter hat ein Klappsofa organisiert, das jemand für zwanzig Euro weggeben wollte, nachdem er sich zu Hause neu eingerichtet hat. Es war tadellos in Ordnung. Maries Eltern hatten es zusammen mit der ehemaligen Besitzerin auf einen Anhänger geladen, gut verzurrt, die Plane des Anhängers geschlossen. Maries Papa meinte, er wäre im Moment nur gerne Beifahrer, daher fuhr Maries Mama das Auto. Die „Kinder“ saßen artig auf den Rücksitzen.

Irgendwann mussten wir an einer Kreuzungsampel warten. Nachdem wir wieder grün bekamen, fuhr Maries Mutter los, musste allerdings direkt nach dem Überqueren der Kreuzung aus etwa 30 km/h heftig abbremsen, weil
ein Radfahrer gegen die Fahrtrichtung über den rechts gelegenen Radweg kam und direkt vor unserem Auto bei Rot über den (falschen) Überweg auf die andere Seite wollte. Hätte Maries Mutter nicht scharf gebremst, hätte sie den Radfahrer umgebügelt. Der hinter uns fahrende Opel Astra bemerkte das Manöver zu spät und fuhr auf den Anhänger auf. Es knallte gehörig.

Maries Vater saß auf dem Beifahrersitz und hatte die Augen geschlossen – bis Maries Mutter bremste und es hinter uns krachte. Maries Mutter stieß ihren Mann an: „Hey, der geht flitzen!“ – Gemeint war der Radfahrer, der einfach unbeeindruckt weiterradelte. Nun zwar auf
dem richtigen Radweg, aber …

Maries Vater war barfuß und in kurzer Hose und Poloshirt. Scheinbar üben die bei der Polizei, wie man schnell aus dem Auto aussteigt, selbst
wenn man angeschnallt ist. Jedenfalls war ich erstaunt, wie man gleichzeitig die Tür öffnet, den Sicherheitsgurt öffnet und sich dann auch noch so aus selbigen rauswindet, dass man ohne sich zu verhaken oder zu stolpern die Verfolgung aufnehmen kann. „Den kriegt er nie“, meinte Marie leise und feuerte ihren Papa an. Sein Glück war es, dass der Radfahrer nicht weiter geradeaus fuhr, sondern kurz darauf rechts abbog und quasi in der Nebenstraße, die an dieser Stelle eine Steigung hatte, zurück kam. Maries Vater galoppierte barfuß die Böschung hinauf und holte den Radler, oben angekommen, unmittelbar mit einer Art Schwitzkastengriff vom fahrenden Drahtesel. Das Fahrrad schepperte auf die Erde, irgendwelches Gedöns, das im Fahrradkorb lag, verteilte sich auf dem Gehweg, der Radfahrer stürzte aber nicht, sondern war eher perplex und fing an, wild zu pöbeln.

Maries Vater schob den Mann, etwa Mitte dreißig, vor sich her, hatte ihm einen Arm auf den Rücken gedreht und forderte ihn nun auf, sich auf die seitliche Kante des Anhängers zu setzen. „Und keine Mätzchen, sonst binde ich dich da fest.“ – „Ich bin nicht gefahren!“, pöbelte der Radfahrer zurück. Maries Vater zeigte sich unbeeindruckt: „Das kannst du
gleich alles zu Protokoll geben. Hast du einen Ausweis dabei oder müssen wir erst die Polizei rufen?“ – „Ich bin nicht gefahren, wie oft noch?“ – „Also rufen wir die Polizei?“ – „Alter, checkt der das nicht? Ich. Bin. Nicht. Ge-Fahren! Du kapieren? Ich nix Auto.“ – „Sie haben mit
Ihrem Fahrrad die Straße bei Rot überquert und dadurch ein anderes Fahrzeug zu einer Vollbremsung genötigt. Im Zuge dessen fuhr ein weiterer Verkehrsteilnehmer auf das bremsende Fahrzeug auf. Sie sind damit unfallbeteiligt, haben unverzüglich anzuhalten und Ihre Personalien anzugeben. Haben Sie nun einen Ausweis dabei? Ansonsten rufe
ich jetzt die Polizei, und ich verspreche Ihnen, dann wird es teuer, weil dann voraussichtlich noch eine Unfallflucht hinzu kommt.“ – „Du kannst mich mal am Arsch lecken.“

Der andere Fahrer war nicht verletzt. Das Auto war auf den ersten Blick auch nur wenig beschädigt, in der vorderen Plastikverkleidung fehlten ein paar Stücke. Kühlwasser lief nicht aus. Dafür war der Anhänger mindestens einen halben Meter kürzer und die gesamte Beleuchtungseinrichtung hatte sich auf der Straße verteilt. Und das Sofa? „So wird aus einem Dreisitzer im Handumdrehen ein Zweisitzer“, blödelte Maries Papa. Maries Mama schüttelte den Kopf, gab ihrem Mann einen Kuss und sagte leise: „Mein Held. Ich dachte, du hast Kreislauf.“

Bilanz: Kein Sofa, ein kaputter Anhänger, ein leicht beschädigter Opel Astra (der übrigens nagelneu war), ein Radfahrer, der von Minute zu
Minute kleiner wurde, als ihm die nette Polizistin erklärte, dass ihn ein Verfahren wegen Unfallflucht erwartet – und ansonsten, vom Schreck abgesehen, unverletzte Leute. Und zweieinhalb Stunden Verspätung und in den nächsten Wochen jede Menge Laufereien wegen des Schadens am Anhänger. Der übrigens auch noch nicht so alt und eigentlich nicht billig war.

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