Defektmenschen

Meine erste Woche in der gastroenterologischen Abteilung ist bereits rum. Soviel wie an meiner Uni hat man mir hier zwar noch nicht zugetraut, dafür wird hier in einigen Bereichen sehr viel gründlicher gearbeitet. Insbesondere was Protokolle und Aufklärungsgespräche betrifft.

Gestern durfte ich den ganzen Tag im Aufwachraum verbringen und bei schlafenden Patienten Blutdruck und Puls messen, mit ihnen reden, wenn sie aufwachten. Die meisten dämmerten einige Zeit vor sich hin und fragten gefühlte zwanzig Mal dasselbe. Je nach verwendetem Narkosemittel
ist das aber normal.

Ein älterer Mann war allerdings dazwischen, den werde ich so schnell nicht vergessen. Geburtsjahrgang 1927, war zur Kontrolle nach einer Darmkrebs-Operation, und erzählte mir im Dämmerzustand, wie man körperlich behinderte Menschen im Nationalsozialismus genannt hat. „Ballast-Existenzen“, „Defektmenschen“, „unnütze Esser“, „gemeinschaftsfremde Volksschädlinge“ waren nur vier Begriffe, die ich mir gemerkt habe. Er fragte zwischenzeitlich aber auch immer wieder nach
seiner (bereits verstorbenen) Frau, von daher muss ich davon ausgehen, dass er gar nicht klar war, als er diesen Müll redete. Mich wunderte nur, dass er das offensichtlich mit meinem Rollstuhl in Verbindung gebracht hatte und diese Begrifflichkeiten nach so vielen Jahren noch wieder präsent hatte.

Insgesamt gefällt es mir sehr gut in der Klinik. Die Kolleginnen und Kollegen sind sehr nett, man respektiert und akzeptiert mich, das Arbeitsklima ist trotz eines hohen Stressfaktors sehr gut und vor allem sehr fair. Ich bin also glücklich.

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