Behinderung

Ableismus und Stigma

Dass ich seit vielen Jahren versuche, den Menschen um mich herum einen Spiegel vorzuhalten, wenn mich jemand anschaut und mal wieder nur einen Rollstuhl sieht, ist nicht neu und haben alle, die meinen Blog regelmäßig lesen, wohl schon mitbekommen. Was heute „Able-ismus“ genannt wird, also die Beurteilung meiner Persönlichkeit anhand meiner Fähigkeiten, zieht sich seit jeher durch meinen Blog. Leider scheint diese Seuche nicht auszurotten zu sein. Ich finde es ja charmant, beispielsweise besonders schlau, besonders schnell, besonders kräftig oder auch besonders hĂĽbsch zu sein. Ich unterhalte mich gerne mit schlauen Menschen, fiebere sehr gerne mit tollen Sportlerinnen, lasse mich… Weiterlesen »Ableismus und Stigma

Maries drittes Stex

Gute Nachrichten: Marie hat ihr drittes Staatsexamen bestanden. Und ist natĂĽrlich super happy. Ich freue mich auch ĂĽber dieses schöne „Weihnachtsgeschenk“ fĂĽr sie; Mama und Papa sind auch ganz aus dem Häuschen. Ein gutes halbes Jahr nach mir ist sie nun auch endlich fertig und kann sich nun demnächst fĂĽr fĂĽnf bis sechs Jahre in einer Fachrichtung, vermutlich auch Kinder- und Jugendmedizin, fortbilden. Allerdings ist sie zunächst noch mit ihrer Dissertation beschäftigt, was vermutlich noch ein gutes Jahr dauern wird. Sie sagt: „Ich ĂĽberlege, ob ich zwischen den Festtagen mal bei meiner Grundschullehrerin vorbei fahre und klingele.“ – Sie hat… Weiterlesen »Maries drittes Stex

Stemm-Eisen und many reasons

Es ist kurz nach halb sechs am Abend. Eine gute halbe Stunde dauert mein Dienst noch, bevor ich endlich nach Hause darf. Personalnot zwingt die Klinik nicht nur zu immer individuelleren Arbeitszeiten, sondern auch noch zu immer individuelleren Einsatzbereichen. „Können Sie mal bitte geschwind in die chirurgische Notaufnahme, dort unterstĂĽtzen, man erwartet in den nächsten zehn Minuten einen Jugendlichen mit Schnittwunde an der Stirn? Die Kollegen sind alle beschäftigt.“ Na sicher. Ich muss durch das halbe Gebäude, weil nur vorne ein barrierefreier Ausgang ist. Die Notaufnahme liegt aber hinter dem Gebäude. Ich muss ĂĽber einen matschigen Sandweg, Wind peitscht mir… Weiterlesen »Stemm-Eisen und many reasons

Aufräumen, Anfall

Am Freitag muss ich unters Messer. Na gut, Messer ist ĂĽbertrieben. Aber geschnibbelt wird schon. Oder vielleicht auch nur gestanzt. Unter meinem FuĂź habe ich einen Pigmentnävus, also einen Leberfleck, den meine Hautärztin gerne entfernen möchte. Genauer genommen sind es zwei in einem, von denen einer asymmetrisch und in seiner Begrenzung unscharf ist. FĂĽr mich ist das unter dem FuĂź weniger ein kosmetisches Problem, sondern ein gravierendes, was die Heilung der Wunde angeht. Da meine FĂĽĂźe weniger durchblutet sind und kaum bewegt werden, wird der Heilungsprozess wohl keine 10 bis 14 Tage, sondern eher zwei Monate dauern. Aber was sein… Weiterlesen »Aufräumen, Anfall

Kampf-Lesbe

Im Jahr 2018 werden junge SchĂĽler gefragt, wie eine Familie entsteht. Laut dem inzwischen vorliegenden Lösungsmuster gibt es die volle Punktzahl bei: „Ein Mann heiratet eine Frau und zeugt ein Kind mit ihr.“ Ich finde, dass nicht nur die SchĂĽler Fehler machen dĂĽrfen. Ich hätte es stark gefunden, wenn die Lehrerin, die nicht mehr die JĂĽngste ist, etwas nachliest und sich eingesteht, dass ein groĂźes StĂĽck gesellschaftliche Entwicklung unbemerkt an ihr vorbei gezogen ist. Sie war in einem Trott, hat jedes Jahr dieselben Tests geschrieben, ist vielleicht schon lange ausgebrannt … keine Ahnung. Da mit ihr nicht zu reden war… Weiterlesen »Kampf-Lesbe

Ganz viel MĂĽll

Paula und ich sind am letzten Freitag rechtzeitig um 4.30 Uhr bei mir losgefahren, um Emma vom Bahnhof abzuholen. Sie hatte einen Nachtzug genommen und wir hatten vereinbart, uns um 7 Uhr morgens am bisherigen Wohnort unseres verstorbenen Vaters zu treffen. Weil noch kein Berufsverkehr war, hoffte ich, mit zweieinhalb Stunden fĂĽr die rund 300 Kilometer auszukommen. Da es fast nur Autobahn war, mĂĽsste es funktionieren. Eine Baustelle kam nach der nächsten, kaum fuhren wir mal 120 km/h, wurden wir auch schon wieder auf Tempo 80 oder sogar nur 60 km/h ausgebremst. Schon fĂĽr die ersten 100 Kilometer brauchten wir… Weiterlesen »Ganz viel MĂĽll

Wilde Maus

Ganz lange – drei Jahre, um genau zu sein – war ich nicht mehr auf dem Hamburger Dom. Nee, das ist keine mit dem Rollstuhl erklimmbare Aussichtsplattform auf einer besonders groĂźen oder besonders hĂĽbschen Kathedrale der Hansestadt, sondern ein Volksfest unweit der legendären Reeperbahn mit ĂĽber 200 Schaustellern und mehr als 100 Gastronomiebetrieben. Ăśber 10 Millionen Besucher zählt die Veranstaltung jedes Jahr. Den Namen hat sie aufgrund ihres ursprĂĽnglichen Veranstaltungsortes, dem ehemaligen Hamburger Mariendom, der um 1800 abgerissen wurde. Man könnte vielleicht erwarten, dass mir kurz nach dem Tod meines Vaters der Sinn nicht nach Kirmes steht. Und trotzdem waren… Weiterlesen »Wilde Maus

Arbeiten, saunieren, reiten

Oh, ich darf mal atmen. Zwischendurch. Nur ein wenig. Nur ganz flach. Durchatmen wĂĽrde ich ja gar nicht verlangen. Das wird sowieso ĂĽberbewertet. Zum ersten Mal seit vier Wochen habe ich mal zwei Tage am StĂĽck frei. In meiner Klinik steppt der Bär, die ohnehin schon dĂĽnne Personaldecke ist, als die erste Atemwegs-Infekt-Herbstwelle sie aufschĂĽttelte, zerbröselt. Wie ein alter, staubiger Lumpen, der fĂĽnfzig Jahre auf dem Dachboden in der Sonne lag. Eigentlich mache ich eine Facharzt-Ausbildung, eigentlich habe ich keine Erfahrung, aber wenn ein ebenso frischer Kollege und ich nicht mehrere 24-Stunden-Schichten hingelegt hätten, hätten sie den Laden wohl schlieĂźen… Weiterlesen »Arbeiten, saunieren, reiten

Nicht so gut

Manchmal gibt es auch bei mir Wochen, in denen gar nichts Besonderes passiert. Oder passieren besondere Dinge, die ich inzwischen gar nicht mehr als ungewöhnlich wahrnehme? Ich weiĂź es nicht. Ich fĂĽhle mich gerade irgendwie insgesamt ĂĽberfordert, ich möchte sogar behaupten: Es läuft gerade nicht so gut. Die letzte Woche war so beschissen, dass ich froh bin, dass sie endlich vorbei ist. Voller Hoffnung, dass die nächste Woche besser wird. Etwas zumindest. Das Jugendamt hat sich kurzfristig ĂĽberlegt, dass es doch schön wäre, wenn Helena sich an diesem Wochenende eine Jugend-Wohneinrichtung anschaut und dort im Rahmen eines Probe-Wohnens eine Nacht… Weiterlesen »Nicht so gut

Räuber-Essen

„Ich kann nicht schwimmen lernen, ich bin behindert“, sagte Helena vor etwas mehr als einem Jahr. Man hatte ihr ernsthaft eingeredet, dass ihre Cerebralparese, die verhältnismäßig leicht ausgeprägt ist, der Grund dafĂĽr sein sollte. Vor einem Monat hat sie ihr Seepferdchen-Abzeichen gemacht, also einen Sprung ins Wasser und anschlieĂźend 25 Meter schwimmen sowie einen Gegenstand aus schultertiefem Wasser heraufholen. In der letzten Woche hat sie ihren Jugendschwimmschein in Bronze gemacht, also das, was frĂĽher der „Freischwimmer“ war. Ich gebe zu, wir haben fleiĂźig geĂĽbt. Vermutlich wesentlich mehr als man mit anderen Kindern ĂĽbt. Aber sie hat es souverän geschafft, und… Weiterlesen »Räuber-Essen