Helena

Nicht so gut

Manchmal gibt es auch bei mir Wochen, in denen gar nichts Besonderes passiert. Oder passieren besondere Dinge, die ich inzwischen gar nicht mehr als ungewöhnlich wahrnehme? Ich weiß es nicht. Ich fühle mich gerade irgendwie insgesamt überfordert, ich möchte sogar behaupten: Es läuft gerade nicht so gut. Die letzte Woche war so beschissen, dass ich froh bin, dass sie endlich vorbei ist. Voller Hoffnung, dass die nächste Woche besser wird. Etwas zumindest. Das Jugendamt hat sich kurzfristig überlegt, dass es doch schön wäre, wenn Helena sich an diesem Wochenende eine Jugend-Wohneinrichtung anschaut und dort im Rahmen eines Probe-Wohnens eine Nacht… Weiterlesen »Nicht so gut

Räuber-Essen

„Ich kann nicht schwimmen lernen, ich bin behindert“, sagte Helena vor etwas mehr als einem Jahr. Man hatte ihr ernsthaft eingeredet, dass ihre Cerebralparese, die verhältnismäßig leicht ausgeprägt ist, der Grund dafür sein sollte. Vor einem Monat hat sie ihr Seepferdchen-Abzeichen gemacht, also einen Sprung ins Wasser und anschließend 25 Meter schwimmen sowie einen Gegenstand aus schultertiefem Wasser heraufholen. In der letzten Woche hat sie ihren Jugendschwimmschein in Bronze gemacht, also das, was früher der „Freischwimmer“ war. Ich gebe zu, wir haben fleißig geübt. Vermutlich wesentlich mehr als man mit anderen Kindern übt. Aber sie hat es souverän geschafft, und… Weiterlesen »Räuber-Essen

Fünf Tage

Meine ersten fünf Arbeitstage sind vorbei. Am Wochenende, an meinen ersten beiden Tagen, könnte man meinen, es war der Wurm drin. Selbst einfachste Dinge wie Telefonieren waren ein Problem. Ich musste ein freies Bett organisieren und habe alle in Frage kommenden Stationen angerufen. Nein, nirgendwo sei ein Bett frei. Also blieb der junge Mann zunächst auf einer Privatstation, wohin er erstmal von der Notaufnahme verlegt wurde. Zwei Stunden später höre ich, dass Betten frei waren. Angeblich hätte ich die Frage falsch gestellt: Ich hätte fragen sollen, ob sie einen Patienten unterbringen können und nicht, ob ein Bett frei ist, weil… Weiterlesen »Fünf Tage

Seepferd und Abtreibung

Nach täglichem Training hat Helena heute ihr Seepferdchen geschafft. Ja, sie ist eigentlich viel zu alt dafür, aber so sehr, wie sie sich darüber gefreut hat, war es enorm wichtig, dass sie das nachholt. Ein Sprung vom Beckenrand, eine Bahn in Brustlage schwimmen und einmal aus dem schultertiefen Wasser einen Gegenstand vom Boden hochholen. Eigentlich sollte sie erstmal nur springen, aber statt an den nächsten Beckenrand zu schwimmen, schwamm sie spontan einmal quer durch das Becken. Unsere erste kleine Meinungsverschiedenheit haben wir auch hinter uns. Ich bekam vom Schulweg eine Kurznachricht von ihr, ob ich damit einverstanden wäre, wenn sie… Weiterlesen »Seepferd und Abtreibung

Ein Glas und dies und das

Sie hat es geschnallt. Beim dritten Anlauf. Helena kann sich im Wasser vom Rücken auf den Bauch drehen und wieder zurück, kann ohne Hilfe auf dem Rücken schwimmen und gewinnt mehr und mehr Vertrauen in das nasse Element. Bisher war ich immer in greifbarer Nähe und sie mochte auch nicht, dass ich mich weiter als zwei Meter im Wasser von ihr entferne, aber sie macht große Fortschritte. Womit bereits jetzt widerlegt wäre, dass sie wegen ihrer Behinderung nicht schwimmen könne. Papperlapapp! Ein für mich sehr krasses Erlebnis hatten wir Sonntag beim Abendessen. Ich habe eine Reispfanne (mit Paprika, Tomaten etc.)… Weiterlesen »Ein Glas und dies und das

Artgerecht

So viel, wie Marie und ich derzeit mit Behörden zu tun haben, habe ich bereits das Gefühl, ich rolle fast schon weltfrauisch auf den Ämtern ein und aus. Sofern ich denn hinein komme. Ich hatte in dieser Woche einen Termin auf dem für meinen Wohnort zuständigen Jugendamt, das nicht einmal barrierefrei ist. Dafür geht es drinnen aber alles auch etwas gemütlicher zu als in jenem für Helenas bisherigen Wohnsitz zuständigen. An der Information saß eine ältere Dame, ich schätze zwei Jahre vor der Rente. Sie geriet in Aufregung, als ich vor ihrem Fenster freundlich winkte und ihr, nachdem sie nach… Weiterlesen »Artgerecht

Mehr als eine Nacht

Am Montag war ich mit Helena schwimmen. Im Schwimmbad. Wir hatten ein Becken fast ganz für uns alleine, wir hatten eine Badaufsicht fast für uns alleine und wir haben im flachen Wasser angefangen. In Rückenlage. Es hat einige Zeit gedauert, bis sie sich soweit fallen lassen konnte, dass sie sich flach in Rückenlage auf das Wasser gelegt und ihre Arme ausgebreitet hat. Der schwierigste Punkt war, dass sie merken musste, dass das Wasser sie trägt. Dazu taucht in Rückenlage der Kopf fast komplett ein, am Ende sind die Ohren unter Wasser und nur die Augen, die Nase und der Mund… Weiterlesen »Mehr als eine Nacht

Shoppen und so

Helena und ich waren heute morgen in der nächstgrößeren Stadt zum Klamotten shoppen. Mich nervt es absolut, durch enge Gänge von Bekleidungsgeschäften zu rollen, an jedem zweiten Kleiderständer aufzupassen, dass man nichts herunterreißt, schmutzig macht, ständig laufen mir Leute vor den Rollstuhl, die ihre Augen nur auf das nächste Schnäppchen gerichtet haben, es ist laut, stickig – und es ist Samstag morgen. Aber Helena hat gerade einmal zwei Hosen. Davon ist eine eigentlich fertig, so dass sie in Sporthose durch die Gegend läuft, wenn ihre Jeans in der Wäsche ist. Vielleicht geht es anderen Menschen auch so, aber hier ist… Weiterlesen »Shoppen und so

Plastikkisten

Inzwischen haben auch Maries Eltern und Helena sich kennengelernt. Sollte es tatsächlich so sein, dass wir uns darum bewerben werden, Helena dauerhaft bei uns aufzunehmen, ginge das nur, wenn Maries Eltern das zumindest ideell unterstützen. Ein gemeinsames Grillen bei uns zu Hause bot eine gute Möglichkeit, sich zu beschnuppern. Ich war vor allem sehr gespannt darauf, wie Helena mit Maries Papa zurecht kommen würde, weil ich sie bisher noch nie im Dialog mit einem Mann erlebt habe. Manchmal gibt es ja, wenn ein Kind Gewalt durch einen Angehörigen eines Geschlechts ausgesetzt war, grundsätzliche Vorbehalte gegen andere Menschen desselben Geschlechts. War… Weiterlesen »Plastikkisten

Nicht ohne Hilfe

Natürlich sind Helena und ich nicht völlig überraschend beim Jugendamt aufgetaucht, sondern ich habe uns vorher per Mail angekündigt. Klar, am Wochenende liest niemand seine dienstlichen Mails, aber immerhin hatte die zuständige Mitarbeiterin so direkt zu Dienstbeginn eine Information. Es war etwa 7.35 Uhr, als mein Handy klingelte. Nachdem ich in der Mail nur zwei Sätze geschrieben habe, sagte sie: „Frau Socke, mit Verlaub, Sie kommen gerade von der Uni, sind noch sehr jung, sind persönlich betroffen: Darf ich bitte einmal ausschließen, dass Sie aus einer möglichen Unerfahrenheit heraus Dinge anders bewerten als wir es hier tun? Wir wissen, dass… Weiterlesen »Nicht ohne Hilfe