Fehlende Mitwirkung, piepende Unterhosen

Weißt Du noch, wie oft du heute auf dem Klo warst? Nein? Führst du denn kein Miktionstagebuch? Wie … „in der freien Entfaltung deiner Persönlichkeit einschränken“ – was willst du denn?!

Du verbrauchst Wasser zum Spülen deines WCs! Wasser, das uns allen gehört. Wasser, für das du zwar bezahlst, aber lange nicht das, was es eigentlich wert ist. Und schon gar nicht an den, dem es gehört. Von der Verschmutzung des Wassers mal ganz zu schweigen. Führ gefälligst ein Miktionstagebuch oder du darfst nicht mehr auf die Toilette. So einfach ist das.

Eine große Ersatzkasse, die kürzlich fusioniert hat, versorgt Cathleen mit Inkontinenzprodukten. Nein, sie zahlt knapp 30 Euro monatlich dafür, dass ein Lieferant Cathleen mit Pampers beliefert. Der drückt sich gerne und möchte ihr gerne unzweckmäßige und viel zu geringe
Mengen liefern, weil ihr Verbrauch seinen Gewinn schmälert. Regelmäßig regelmäßig regelmäßig versucht er aufs Neue, sich seinen vertraglichen Pflichten zu entziehen. Und die Krankenkasse zuckt mit den Schultern.

Das neueste ist aber nun, dass die Ersatzkasse die weitere Bewilligung der Leistung davon abhängig machen will, dass Cathleen für mindestens drei Monate ein Miktionstagebuch führt. Es soll aufgeführt werden, wann sie trinkt, wann sie pinkelt, wieviel sie pinkelt, wann sie
die Windel wechselt – und vor allem, wie schwer die Windel beim Wechsel
war. Wir haben schon rumgescherzt, dass sie ja, wenn sie von der Kundentoilette wieder runter ist, in die Fleischerei gehen kann oder an die Käsetheke. „Können Sie mal eben auswiegen?“ Schließlich hat man ja unterwegs nicht überall eine Waage dabei oder will die nasse Windel zum Wiegen wieder mit nach Hause nehmen. Und wenn sich Cathleen und ich im Restaurant eine Cola teilen oder nach dem Sport aus derselben Flasche trinken, sollen wir dann einen Durchflusszähler am Flaschenhals installieren, um die Trinkmenge zu erfassen? Oder falls sie sich kathetert (was sie regelmäßig tut, um Restharn zu vermeiden), soll sie dann ihren Urin auffangen, um die Menge zu bestimmen? Und dafür einen Meßbecher im Rucksack mitnehmen? Oder zahlt die Krankenkasse dafür den Einmalkatheter mit Messbeutel, der doppelt so teuer ist wie der ohne?

Und was macht sie, wenn sie ins Bett pinkelt? Bettlaken auswiegen? Und wenn es in die Hose geht? Oder die Hälfte aus der Windel rausläuft? Oder sie beim Duschen, oder noch besser, in die Badewanne oder ins Schwimmbecken strullert? Und wer will die Trinkmengen in ein vernünftiges Verhältnis bringen, wenn wir Sport machen? Oder in die Sauna gehen? Sagt mal, Leute, merkt ihr dort noch was?!

Dachte sich auch Frank und rief bei der Kasse an. „Meine Mandantin schreibt kein Miktionstagebuch. Wir sind hier nicht im Zirkus.“ Man hatte ihm wohl erklärt, dass man dann die Leistung wegen „fehlender Mitwirkung“ entziehen würde. Oder anders ausgedrückt: Ohne Pipi-Kalender
keine Pampers. Was ihn zur Bestform aufkochen ließ: „Die Grenzen der Mitwirkungspflicht sind überschritten, wenn das nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistung steht, wegen Unzumutbarkeit oder
wenn die Krankenkasse das Ergebnis, das sie haben will, auch einfacher rauskriegen kann. So steht es im Paragrafen soundso im Sozialgesetzbuch.
Es reicht, wenn eine der drei Möglichkeiten vorliegt. Hier liegen aber alle drei vor: Es ist unverhältnismäßig, unzumutbar und das Ergebnis kriegen sie auch aus der Bestellhistorie abgeleitet, oder wollen Sie indirekt unterstellen, meine Mandantin verwendet die Hälfte der von Ihnen bezahlten Artikel für die Bodenpflege oder verkauft die Dinger für
30 Cent das Stück auf dem Flohmarkt?“ Es war wohl schon der Gruppenleiter, den er da am Telefon hatte, und der hatte wohl schon den Kopf eingezogen. „Dann belästigen Sie uns hier nicht mit so einem Schwachsinn!“

Er nahm die Aufforderung wohl noch am Telefon zurück und meinte, so Frank, dass das Schreiben ein Versehen war und eigentlich nur an Bewohner von Pflegeheimen rausgehe, weil man da halt sicher gehen wollte, dass die Krankenkasse auch nur für ihre Patienten bezahle und nicht etwa für die anderer Kassen mit. Was für eine dumme Ausrede! Frank
erläuterte hinterher noch, dass das bei Heimbewohnern noch wieder anders berechnet wird und dass das daher nur eine Schutzbehauptung war. Aber das ist nicht mehr wichtig. Wichtig ist: Cathleen darf wieder pinkeln, ohne vorher die Kasse um Erlaubnis fragen zu müssen und ohne einen Nachweis darüber führen zu müssen.

Dieser Blog wäre aber nicht meiner, wenn ich nicht an dieser Stelle noch einen draufsetzen könnte. Wirklich und wahrhaftig: In Australien wurde kürzlich eine Windel entwickelt, die einen wiederverwendbaren Sensor hat. Wird der Sensor nass, fängt er nicht nur an zu Piepen, sondern sendet auch noch eine SMS an eine vorher festgelegte Nummer mit einem vorher festgelegten Text. So kann die Pflegerin gezielt das richtige Zimmer aufsuchen, den Sender aus der Hose fummeln, abtrocknen, zum Desinfizieren und Aufladen in die Station stellen, …

Damit aber nicht genug. Die SMS können auch ausgewertet werden zu einem Online-Miktionstagebuch. Dann kann der Doktor, die Krankenkasse oder der Fetischist von nebenan gleich nachgucken, wann jemand eingepullert hat. Und in einem Pflegeheim oder einer Behindi-Werkstatt tut man jeder inkontinenten Person so einen Sender in die Hose, auf dass
es bald überall fröhlich piept. Bliebe nur noch die Frage zu klären, ob
der Sender auch erfasst, falls jemand einkackt, und ob er dann auch piept oder polyphone Marschmusik sendet.

Man soll immer über seinen Tellerrand schauen. Kann ich nicht. Ich weiß nicht, ob das System in Pflegeeinrichtungen Sinn macht. Wenn es dazu führt, dass die Bewohner schneller aus ihren nassen Pampers geholt werden, könnte ich dem ganzen System fast noch etwas klitzekleines positives abgewinnen. Ansonsten: Nein, sag ich lieber nicht.

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