Allgemein

Verborgene Stärke

Ob es Spaghetti werden würden, hatte Philipp bis zuletzt offen gelassen. Maries Eifersucht hielt sich zum Glück sehr in Grenzen. Sie muss auch nicht sein, denn ich bin nicht diejenige, die für eine Beziehung alle Freundschaften aufgibt oder vernachlässigt. „Falls da irgendwo ein geschlechtsreifer Bruder rumläuft, der ebenfalls Single ist, schick ihn bitte umverzüglich zu mir“, meinte sie. So stand ich nach einem langen Arbeitstag frisch geduscht und hungrig vor einer Einfamilienhaushälfte im Hamburger Umland und kam immerhin von der Straße bis kurz vor die Haustür. Drei Stufen davor, die Klingel wäre vielleicht mit einem langen Besenstiel zu erreichen. Aber… Weiterlesen »Verborgene Stärke

Haare waschen und Spaghetti

Mein persönlicher Schwimmtrainingsplan richtet sich zurzeit nach zwei Dingen. Erstens nach meiner umfangreichen Arbeitszeit. Zweitens nach Philipp. Ich schwimme wesentlich leichter und schneller, wenn er auch im Becken ist. Und das muss nicht mal dieselbe Bahn sein. Außerdem funktioniert es wie bei der Homöopathie: Man muss nicht mal wissen, ob er da ist, es wirkt einfach. Zum Glück herrscht zwischen uns unausgesprochen Einigkeit, dass wir im Trainingsbecken und damit vor anderen Schwimmerinnen und Schwimmern nichts anderes machen als Schwimmen. Damit will ich keineswegs andeuten, dass ich mir nichts im Wasser vorstellen könnte. Aber wenn, dann da, wo es niemand mitbekommt… Weiterlesen »Haare waschen und Spaghetti

Noch eine Woche

Fiebrige Kleinkinder kann ich inzwischen nicht mehr sehen. Ich wundere mich, dass ich noch nicht krank bin. Ich rechne fest damit, dass es mich noch erwischt. Vermutlich dann, wenn die stressigen vier Wochen vorbei sind. Ich habe keinen Vergleich, aber meine Chefin sagt, dieses Jahr sei es besonders schlimm. Wir schleusen am Tag zwischen 70 und 100 Patienten durch (an einem Spitzentag waren es 118, normal sind zwischen 35 und 50) und 80% davon sind erkältet, 15% haben Magen-Darm und zwei, drei haben was anderes. Was anderes kann zum Beispiel sein, dass ein zwölfjähriger Junge wissen möchte, ob er Hodenkrebs… Weiterlesen »Noch eine Woche

Philipp

Jetzt habe ich tatsächlich meinem Tagebuch etwas verschwiegen. Das kommt nicht oft vor. Aber manchmal brauche selbst ich Geheimnisse. Unvorstellbar. Aber wahr. Philipp. Heißt er wirklich. Er sagte: „Ich habe nichts dagegen, dass du mich in deinem Blog erwähnst, aber tu mir bitte einen Gefallen und gib mir keinen neuen Namen.“ – Wird gemacht. Er weiß inzwischen, dass ich auf dringender Suche bin und auch einen mehr als freundschaftlichen Kontakt mit einem Kumpel nicht ausgeschlossen habe. Mit Sebastian ist es aber zu nichts gekommen, denn letztlich kam es mir zwar nicht falsch vor – aber auch nicht richtig. Philipp trainiert… Weiterlesen »Philipp

Hamster in der Dose

Dass Menschen zum Arzt gehen, weil sie sonst niemanden haben, mit dem sie ihre Sorgen und Probleme besprechen können, ist kein Geheimnis. Das soll es auch nicht sein, im Gegenteil. Trotz aller Scham und allem Streben nach Perfektion setzt sich in der Gesellschaft allmählich zunehmend die Erkenntnis durch, dass nicht alle Menschen gesund sind und dass es nicht nur körperliche Erkrankungen gibt. Wobei ich eine einfache, einmalige Ratlosigkeit nicht gleich als psychische Erkrankung ansehen würde. Dennoch gibt es viele Menschen, die alleine zu grübeln beginnen – über Fragen, von denen sie wissen, dass sie sie alleine nicht beantworten können und… Weiterlesen »Hamster in der Dose

Verbremst

Da fahre ich nach langer Zeit mal wieder mit der Hamburger S-Bahn und werde prompt Zeugin einer Vorstellung, wie sie besser im Theater nicht hätte sein können. Dass andere Fahrgäste laut telefonieren, ihren stinkenden Döner essen, quer auf drei Klappsitzen liegen und schlafen, laut Gitarre, Akkordeon oder Geige spielen, Zigaretten oder Joints rauchen, sich prügeln, sich übergeben, in die Ecke pinkeln, gegen den Türknopf rotzen, gegen Scheiben niesen, überall mit Spray und Lackstiften rummalen, Fenster zerkratzen, Sitze aufschlitzen, im Takt springen, die Mülleimer durchsuchen, um Geld oder Lebensmittel bitten, sich nackt ausziehen und vögeln, Turnübungen an den Haltestangen machen …… Weiterlesen »Verbremst

Uschi und ein Luchs

Eine weitere Woche meiner Famulatur ist geschafft. Es macht sehr großen Spaß, allerdings bin ich auch froh, wenn es vorbei ist. Die körperliche und vor allem die seelische Belastung ist wirklich nicht zu unterschätzen. Mit meiner Chefin komme ich ganz gut klar, mit den übrigen Mitarbeiterinnen überwiegend auch. Überwiegend heißt: In der Praxis sind sechs Mitarbeiterinnen hauptsächlich in Teilzeit beschäftigt. Eine Minijobberin, Uschi, kurz vor der Rente, arbeitet nur an einem Nachmittag. Mit ihr bin ich am letzten Montag, unserem ersten gemeinsamen Tag, richtig heftig aneinander geraten. Bei dutzenden Patienten klappte alles irgendwie. Die Routine fehlt mir, ich muss ständig… Weiterlesen »Uschi und ein Luchs

Schnee und Wind

„Habt ihr es warm? Habt ihr genug zu essen? Sind die neuen Nachbarn nett? Habt ihr euch schon eingelebt? Ist es nachts auch nicht zu laut?“ – Maries Oma konnte gar nicht schnell genug fragen. Marie antwortete: „Die Heizung funktioniert, zu essen haben wir zum Glück auch genug. Bisher sind die neuen Nachbarn nett, eingelebt haben wir uns noch nicht wirklich, aber das kommt noch – und nachts ist es so ruhig, dass man die Flöhe husten hört.“ – „Dann bin ich beruhigt und muss mir keine Sorgen machen.“ Muss sie nicht. Aktuell sind Semesterferien, aktuell sind wir im Norden,… Weiterlesen »Schnee und Wind

Drogen und Theophyllin

Am zweiten Tag meiner Famulatur in der Kinderarzt-Praxis sollte ich ein Sprechzimmer übernehmen, meine Chefin das andere. Und bei jedem Patienten am Ende die Therapie einmal mit ihr abstimmen. Gleich als erstes kam ein Mädchen zu mir, gerade 13 Jahre alt. Zerrissene Jeans, Wollpulli, Lederjacke über dem Arm. Blonde Haare akkurat geflochten. Blasse Gesichtsfarbe, dünne Arme und Beine, im Gesicht sah sie aus wie ein zerbrechliches Porzellanpüppchen. Sie wirkte einerseits sehr schüchtern, andererseits begrüßte sie mich gleich mit einem „Moinsen“. Ich musste grinsen. Ich sagte ihr, was ich jedem sagen muss, nämlich dass ich Famula(ntin), also quasi Praktikantin bin. „Cool“,… Weiterlesen »Drogen und Theophyllin

Grippale Infekte und zwei Impfungen

Ich glaube, ich habe noch nie so viel gelernt innerhalb so kurzer Zeit wie in den letzten Tagen. Die Praxis von Maries Mama ist ja schon immer sehr unterhaltsam und interessant, aber eine Kinderarztpraxis, in der ich gerade den ersten Teil meiner Famulatur ableiste, stellt alles in den Schatten. Sehr eindrucksvoll, sehr herausfordernd, teilweise sehr emotional. Und Kinder sind ja sowieso nochmal völlig anders als Erwachsene. Eben nicht nur kleiner. Am ersten Morgen sollte ich mich gleich hinter den Empfangstresen setzen und die Praxis kennenlernen. Das war keine große Herausforderung, das ist bei Maries Mutter deutlich anspruchsvoller. Nach zwei Stunden… Weiterlesen »Grippale Infekte und zwei Impfungen