Marie

Ableismus und Stigma

Dass ich seit vielen Jahren versuche, den Menschen um mich herum einen Spiegel vorzuhalten, wenn mich jemand anschaut und mal wieder nur einen Rollstuhl sieht, ist nicht neu und haben alle, die meinen Blog regelmäßig lesen, wohl schon mitbekommen. Was heute „Able-ismus“ genannt wird, also die Beurteilung meiner Persönlichkeit anhand meiner Fähigkeiten, zieht sich seit jeher durch meinen Blog. Leider scheint diese Seuche nicht auszurotten zu sein. Ich finde es ja charmant, beispielsweise besonders schlau, besonders schnell, besonders kräftig oder auch besonders hübsch zu sein. Ich unterhalte mich gerne mit schlauen Menschen, fiebere sehr gerne mit tollen Sportlerinnen, lasse mich… Weiterlesen »Ableismus und Stigma

Maries drittes Stex

Gute Nachrichten: Marie hat ihr drittes Staatsexamen bestanden. Und ist natürlich super happy. Ich freue mich auch über dieses schöne „Weihnachtsgeschenk“ für sie; Mama und Papa sind auch ganz aus dem Häuschen. Ein gutes halbes Jahr nach mir ist sie nun auch endlich fertig und kann sich nun demnächst für fünf bis sechs Jahre in einer Fachrichtung, vermutlich auch Kinder- und Jugendmedizin, fortbilden. Allerdings ist sie zunächst noch mit ihrer Dissertation beschäftigt, was vermutlich noch ein gutes Jahr dauern wird. Sie sagt: „Ich überlege, ob ich zwischen den Festtagen mal bei meiner Grundschullehrerin vorbei fahre und klingele.“ – Sie hat… Weiterlesen »Maries drittes Stex

Schaumparty

Warum ist meine Badewanne eigentlich so leer? Wofür ist es draußen so kalt und ungemütlich? Warum bin ich so verspannt? Wofür steht da eine Flasche Hefeweizen im Kühlschrank? Das sind doch alles keine Zufälle. Nach sechsundzwanzig Kilometern mit dem Handbike auf dem Ostseedeich bei nur wenig Wind und nur wenig Schneegestöber hatten meine Eisbeine eine leicht bläulich-blasse Note und würden vermutlich zu gerne intensiv kribbeln. Fünf Teelichte bringen genügend Beleuchtung ins Bad. Das Bierglas habe ich nicht vergessen. Im Radio ist Rod Stewart so in love with me, dass ich mich entscheide, ihn leise für mich singen zu lassen. Da… Weiterlesen »Schaumparty

Kaltstart und frisch überfahren

Das Wochenende ist da, Socke hat am Samstag um sieben Uhr Dienstbeginn und im Warteraum der Station sitzen schon sechs Elternteile mit ihren kranken Kindern. Jene Menschen, die zu fit für die Notaufnahme sind, aber nicht bis Montag auf ihren Kinderarzt warten wollen, werden dorthin geschickt, weil es hier keine Kinder-Ambulanz gibt. Mit mir zusammen hat mein aktueller Lieblingskollege Dienst. Er unterstützt eine weitere Kollegin auf den beiden Kinder-Intensivstationen und mich, sofern es auf den vier peripheren Kinderstationen zu viele Probleme gleichzeitig gibt. Eine weibliche Pflegekraft, Anfang 20, examiniert, ist heute alleine auf der Station. Zwei ihrer Kolleginnen haben sich… Weiterlesen »Kaltstart und frisch überfahren

Stemm-Eisen und many reasons

Es ist kurz nach halb sechs am Abend. Eine gute halbe Stunde dauert mein Dienst noch, bevor ich endlich nach Hause darf. Personalnot zwingt die Klinik nicht nur zu immer individuelleren Arbeitszeiten, sondern auch noch zu immer individuelleren Einsatzbereichen. „Können Sie mal bitte geschwind in die chirurgische Notaufnahme, dort unterstützen, man erwartet in den nächsten zehn Minuten einen Jugendlichen mit Schnittwunde an der Stirn? Die Kollegen sind alle beschäftigt.“ Na sicher. Ich muss durch das halbe Gebäude, weil nur vorne ein barrierefreier Ausgang ist. Die Notaufnahme liegt aber hinter dem Gebäude. Ich muss über einen matschigen Sandweg, Wind peitscht mir… Weiterlesen »Stemm-Eisen und many reasons

Rundumschlag

Sehr lange haben wir gewartet, noch viel länger musste Helena darauf warten, dass sie nun endlich mal die Therapie bekommt, die hinsichtlich ihrer Einschränkungen dem hiesigen Standard entspricht. Dafür geht es jetzt aber hoffentlich umso schneller. Wir wollen Fortschritte. Wir haben lange abgewogen, ob es sinnvoll ist, Helena bei Maries Mutter in die hausärztliche Behandlung zu geben. Es sprechen einige Dinge dagegen, insbesondere ist Maries Mutter keine Pädiaterin (also keine Kinderärztin), sie ist persönlich betroffen, und damit besteht immer die Gefahr, dass man ihr fehlende Objektivität unterstellt; andererseits verstehen die beiden sich prächtig und Maries Mutter labert nicht lange um… Weiterlesen »Rundumschlag

Ihre Zukunft

Noch aufregender hätte es nicht mehr sein können. Helena war am Ende so nervös, dass sie ohne Jacke und ohne Schuhe losgehen wollte. Gestern abend fragte sie immer wieder, was passieren würde, wenn sich das Jugendamt gegen unser weiteres Zusammenleben entscheidet. Und was sie am besten sagen soll, und was lieber nicht. Und ob das nicht alles schnell vorbei gehen könnte. Und ob ich nicht doch schon etwas wissen würde. Oder Marie. Wann wir losfahren würden, ob das nicht zu knapp sei, weil es ja einen Stau geben könnte. Und ob ich eine Ahnung davon hätte, was alles gefragt werden… Weiterlesen »Ihre Zukunft

Rapunzeln

Unsere konzeptionelle Bewerbung für Helena haben wir Mitte dieses Monats offiziell eingereicht. Die formellen Voraussetzungen erfüllen wir, das örtliche Jugendamt hat keine Bedenken, Maries Eltern haben schriftlich zugesagt, uns bei Bedarf zu unterstützen, in der Schule und der anschließenden Tagesbetreuung gibt es keine nennenswerten Probleme, der Vormund ist „grundsätzlich einverstanden“, lässt sich aber von der fachlichen Einschätzung des derzeit betreuenden Jugendamtes leiten. Wir drei wollen nach wie vor unbedingt. Einige Menschen um uns herum sind vorsichtig optimistisch, dass das klappen wird, andere behaupten sogar, dass die das nicht mehr ablehnen können … wir sind gespannt und hoffen, dass die Entscheidung… Weiterlesen »Rapunzeln

Ganz viel Müll

Paula und ich sind am letzten Freitag rechtzeitig um 4.30 Uhr bei mir losgefahren, um Emma vom Bahnhof abzuholen. Sie hatte einen Nachtzug genommen und wir hatten vereinbart, uns um 7 Uhr morgens am bisherigen Wohnort unseres verstorbenen Vaters zu treffen. Weil noch kein Berufsverkehr war, hoffte ich, mit zweieinhalb Stunden für die rund 300 Kilometer auszukommen. Da es fast nur Autobahn war, müsste es funktionieren. Eine Baustelle kam nach der nächsten, kaum fuhren wir mal 120 km/h, wurden wir auch schon wieder auf Tempo 80 oder sogar nur 60 km/h ausgebremst. Schon für die ersten 100 Kilometer brauchten wir… Weiterlesen »Ganz viel Müll

Wilde Maus

Ganz lange – drei Jahre, um genau zu sein – war ich nicht mehr auf dem Hamburger Dom. Nee, das ist keine mit dem Rollstuhl erklimmbare Aussichtsplattform auf einer besonders großen oder besonders hübschen Kathedrale der Hansestadt, sondern ein Volksfest unweit der legendären Reeperbahn mit über 200 Schaustellern und mehr als 100 Gastronomiebetrieben. Über 10 Millionen Besucher zählt die Veranstaltung jedes Jahr. Den Namen hat sie aufgrund ihres ursprünglichen Veranstaltungsortes, dem ehemaligen Hamburger Mariendom, der um 1800 abgerissen wurde. Man könnte vielleicht erwarten, dass mir kurz nach dem Tod meines Vaters der Sinn nicht nach Kirmes steht. Und trotzdem waren… Weiterlesen »Wilde Maus