Menschen

Schlechte Welt

Ach, wie schlecht ist die Welt doch geworden. Sagt mein Nachbar, während er mit mir im Aufzug steht. In dem groĂźen 30-Parteien-Mietshaus in meinem Studienort, in dem ich zurzeit wohne. Ich kenne seinen Namen nicht. Aber ich sehe, dass er Alkoholiker ist. Ich schätze sein Lebensalter auf 70 bis 75 Jahre, das Alter seiner Klamotten auf 30 bis 40 Jahre. Eine Strickjacke, deren ReiĂźverschluss nur noch zu einem Drittel mit dem Rest der Jacke verbunden ist. Eine Jogginghose, dessen Polyester-Bestandteile sich zu einem Drittel bereits verflĂĽchtigt haben. Er weiĂź nicht, was ich studiere, und zeigt mir trotzdem seine Stauungsdermatitis. Möchte… Weiterlesen »Schlechte Welt

Vollmond

Es sind die Nächte rund um den Vollmond, an denen ĂĽblicherweise die meisten skurrilen Menschen unterwegs sind. Ich beneide keine Kollegin und keinen Kollegen um seinen Nachtdienst (den ich im Moment zum GlĂĽck nicht machen muss), denn die denken im Moment jede Nacht, es ginge nicht mehr schlimmer – bevor der Nächste völlig frei dreht. Dabei muss es gar nicht der Mann im Nachthemd sein, der vom Kirchturm fällt: In der vorletzten Nacht kam einer nackt mit einem StraĂźenbesen in der Hand durch die TĂĽr zur Notaufnahme, unterhielt sich zuerst mit einem Feuerlöscher, später tanzte er mit seinem Besen und… Weiterlesen »Vollmond

Blutende Glatzen, kotzende Segler

Wie ich sehe, kommen die Anekdoten sehr gut an. Ich habe noch ein paar frische aus der chirurgischen Notaufnahme, in der ich derzeit mein zweites Drittel meines Praktischen Jahrs verrichte. Ich bin im Moment gefĂĽhlt fĂĽr alles zuständig, was nicht lebensbedrohlich ist. Nicht als einzige, aber inzwischen wohl erstmal alleine. Vor jeder Diagnose, Therapie und Entlassung muss ich zumindest mit der Akte einmal zu einer approbierten Kollegin oder einem approbierten Kollegen und mir ein Okay holen – sofern ich nicht sowieso Fragen habe oder mir unsicher bin. Ăśbung macht die Meisterin. Hat mal jemand gesagt. Ich lerne also sehr viel.… Weiterlesen »Blutende Glatzen, kotzende Segler

Vier Anekdoten

Nachdem ich in den letzten Jahren nicht nur Horrorpsychokriminalwahnsinn und anderen Shice erlebt habe, dachte ich mir, ich schreibe zuerst mal wieder ein paar Anekdoten aus meinem Alltag. Oder? 1. Rowdy mit Slipeinlage: Socke steht an einer FuĂźgänger-Ampel, hat schönes Wetter, wartet auf GrĂĽn. Autos quälen sich durch den Stau. Mit mir warten gefĂĽhlt 100 Menschen. Anders als gerade gestern noch in der Fahrschule gelernt, hält ein dunkelbraun gebrannter cooler Goldkettchenproll im Muskelshirt in seinem (?) aufgemotzten schwarzen Gefährt mit röhrendem Auspuff natĂĽrlich mitten auf dem Ăśberweg, bevor die Ampel fĂĽr ihn rot wird. Die FuĂźgänger bekommen grĂĽn und gehen… Weiterlesen »Vier Anekdoten

Darum

Ob wir eines Tages noch erfahren, warum sie nicht mehr schreibt? Tja, wie soll ich es nun erklären? Ich habe im Knast gesessen. Sitzen weil … stehen kann ich ja bekanntlich nicht. Und immer nur liegen? Uncool. Dreiundzwanzig lange Monate kein Internet! Man verhaftete mich wegen meines Blogs. Einige Beiträge waren einfach zu schlecht, stilistisch und inhaltlich flach. Okay. Ganz so war es nicht. Ich durfte mir neulich im Rahmen meines Studiums eine Justizvollzugsanstalt von innen ansehen. Es gab in der dortigen „Röchel-Abteilung“, wie man den Trakt fĂĽr die älteren und kranken Gefangenen nannte, sogar rollator- und rollstuhlgerechte Zellen. Ich… Weiterlesen »Darum

Distanz macht einsam

Ich amĂĽsiere mich gerade ĂĽber eine Kommilitonin. Sie gehört zu jenen Menschen, die nur schwer andere Meinungen akzeptieren können. Und die leider auch ständig andere Meinungen haben. Nämlich im Zweifel die des GegenĂĽber. Soll heiĂźen: Sie redet ihren „Freunden“ nach dem Mund oder trifft sich nur mit jenen, die absolut ihrer Meinung sind. Wir haben uns anfangs mal ganz gut verstanden. Bis die Diskussion auf das Thema „Tatoos“ kam. Ich bin absolut dagegen, meinen Körper bemalen zu lassen. Weder dezent noch als LitfaĂźsäule. Ich akzeptiere es aber, wenn andere Menschen mit ihrem Körper etwas anderes machen. Jene Kommilitonin sah das… Weiterlesen »Distanz macht einsam

Sina

Sina fiel beim Fensterputzen aus dem zweiten Stock und ist seitdem querschnittgelähmt. Ich hatte seit ihrem Unfall vor zwei Jahren mehrmals Kontakt zu ihr. Immer mal wieder fĂĽr ein paar Stunden. Kennengelernt habe ich sie beim Warten auf eine Kontrolluntersuchung. Wir saĂźen zusammen im Wartezimmer, kamen ins Gespräch, tauschten Nummern aus, trafen uns zum Quatschen. Immer fĂĽr ein bis zwei Stunden, mehr nicht. In den letzten neun Monaten vielleicht insgesamt drei Mal. Gestern abend klingelte gegen halb neun mein Handy. Ich guckte drauf und sah ihre Nummer. Eigentlich hatte ich nach mehreren Kilometern Schwimmtraining gar keinen Bock mehr, jetzt noch… Weiterlesen »Sina

Nachhaltig

Ich habe schon mehrmals (nämlich hier und hier) ĂĽber unseren Nachbarn geschrieben, der mit Maries und meiner Hilfe ein wenig was fĂĽr seinen Körper getan hat. Sein BMI ist von ehemals 30 auf nun 26 gesunken, und insbesondere seine Blutwerte, die Maries Mutter nun noch einmal bestimmt hat (nachdem er vorher ĂĽber Jahre nicht zum Arzt gegangen ist), sind astrein. Der Triglyceridwert (sogenannte Neutralfette) ist von 700 ĂĽber 133 auf inzwischen 116 abgesunken und damit durchaus als „normal“ anzusehen. Aufgetaucht sind inzwischen zwei Arztbriefe anlässlich zweier eher kosmetischer Eingriffe im Krankenhaus, bei denen die Triglyceride ebenfalls mit Werten jenseits der… Weiterlesen »Nachhaltig

Alle Jahre wieder

DrauĂźen sind fast dreiĂźig Grad und drinnen steht der grinsende Alte mit weiĂźem Rauschebart und rotem Mantel. Nee, ich bin nicht in Down Under. Ich kaufe ein. Klopapier. Zum Beispiel. Eine alte Frau schaut mich mit groĂźen Augen an. Starrt. Glotzt. Kommt dichter. Stellt sich betont versehentlich mit ihrem Einkaufswagen in den Weg. Glotzt weiter. Ich glotze zurĂĽck und lege den Kopf schief. Das reicht schon, um sie reden zu lassen. Sie deutet auf mein Klopapier und sagt: „Ich hab mal gelesen, dass Querschnittgelähmte gar nicht auf Toilette können.“ Bitte was? Muss ich da noch höflich bleiben? Soll ich darauf… Weiterlesen »Alle Jahre wieder

An der Nudel

Es ist der dreiundzwanzigste August und ich bin vor etwa dreimalzwanzig Stunden dreiundzwanzig Jahre alt geworden. DrauĂźen waren dreiundzwanzig Grad, zumindest am Meer, das nicht mehr ganz dreiundzwanzig Grad hatte. Eher neunzehn. Ja, wir waren am Strand, dreiundzwanzig weniger neunzehn Leute, also eine eher kleine Runde, bestehend aus Marie, einem Freund, einer Freundin, die zusammen sind und sich in meinem Blog keine Kosenamen wĂĽnschen, und mir. Geflohen sind wir. FĂĽr ein ruhiges und entspanntes Wochenende zum Erholen. Maries Eltern haben uns ihr Wochenendhaus ĂĽberlassen. Einzige Bedingung war, dass wir am Ende einmal grob saubermachen und den MĂĽll rausbringen. Das sollte… Weiterlesen »An der Nudel