Praktikum

Vater und Sohn

Ich mag keine pathetischen Beiträge. Noch weniger, wenn es dabei um den Tod geht. Aber manchmal schreibt das Leben Geschichten, die einfach nicht sachlich erzählt werden können. Schon gar nicht, wenn sie mich seit Tagen beschäftigen. Ein noch gar nicht so alter Mann, in den mittleren Vierzigern, geschieden, zwei erwachsene Kinder, kommt mit Handy am Ohr in Anzug, Krawatte und mit polierten Schuhen in die Notaufnahme, weil ihn unerträgliche Leibschmerzen plagen. Das war vor rund zwei Wochen, ich war nicht dabei, bekam es nur erzählt. Quasi noch während des Ultraschalls versuchte er, am Handy Meetings zu verlegen. Verantwortung habe er,… Weiterlesen »Vater und Sohn

Solide Basis

Ich werde immer besser. Ich habe heute meine fünfte Darmspiegelung hinter mir. Nach wie vor sitzt mir die Professorin fast auf dem Schoß und nach wie vor gibt es einige Patienten, die im Vorfeld ablehnen, dass ich das Untersuchungsgerät bedienen darf und von ihrer Ärztin gespiegelt werden wollen. Aber es gibt eben auch viele, für die es in Ordnung ist. Und ja, es sitzt wirklich jemand daneben und passt jede Sekunde auf. Und nein, ich bin nicht leichtsinnig, sondern eher viel zu vorsichtig. Nur um das ins Verhältnis zu setzen: Will ein fertiger Arzt sich nach seinem Medizinstudium zum Facharzt… Weiterlesen »Solide Basis

Darmspiegelung

Ich habe meine erste Darmspiegelung hinter mir! Ähm, ja, nicht als Patientin. Sondern ich war diejenige, welche das Endoskop führen durfte. Nach endlosen Erklärungen und etlichen Trockenübungen an einem Trainingsmodell sowie jeder Menge ständig wiederholter Belehrungen, die ich inzwischen auch nachts um drei aufsagen kann, wenn mich dafür jemand aus dem Tiefschlaf wecken sollte (nie das Endoskop bewegen, wenn man nichts sieht etc.), sollte ich selbst dran. Die Professorin fand, ich sei überreif für diesen Schritt. „Es wird Leute geben, die bis zu ihrer Facharztausbildung damit warten müssen, aber es gibt eben auch Leute wie Sie. Es ist gut, wenn… Weiterlesen »Darmspiegelung

Unpassende Diagnosen

Nachdem ich gestern noch bei meinem Praktikumsplatz angerufen habe, bin ich heute morgen mit Öffis direkt hingefahren und habe mich vorgestellt. Zum Glück hat alles geklappt und ich darf im nächsten Semester in der Inneren Medizin ganz viel Dünnpfiff lernen. Über Dünnpfiff, meinte ich. Und darüber, warum die Behandlung einzelner Krankheiten nicht so klappt, wie sie eigentlich klappen müsste. Aktuell hat mich eine Professorin heiß gemacht für ihren Forschungsansatz im Bereich der Soziologie. Ich möchte nicht zu viel darüber verlieren, nur, dass es darum geht, herauszufinden, warum es Patienten gibt, die von Arzt zu Arzt rennen, bevor mal jemand eine… Weiterlesen »Unpassende Diagnosen

Einen an der Waffel

Der frühe Vogel fängt den Wurm. Das gilt an meiner momentanen Uni mehr als anderswo. Soll heißen: Wer nicht am ersten Vorlesungstag persönlich zur rechten Zeit am rechten Ort ist, ärgert sich mitunter ein halbes Jahr über langweilige oder stressige oder nervige Praktikumsplätze, bekommt seine Kurse nicht oder nicht bei seinen Lieblingsprofs oder so ähnlich. Man ist ja verwöhnt. Oder benötigt auch mal etwas barrierefreies. Entsprechend waren Marie und ich mehr als pünktlich aufgestanden und standen mehr als früh genug vor der richtigen Tür. Weil ich wusste, dass ich gleich anschließend in ein Lehrkrankenhaus müsste, um mich dort persönlich vorzustellen,… Weiterlesen »Einen an der Waffel

Schokolade zu mir

Hallo? Hallo Welt? Ach, du bist noch da. Wie schön. Bin ich auch im Hier und Jetzt? Ja, doch, so langsam erscheint die Welt wieder real. Und mir geht es zum ersten Mal seit etwa zehn Tagen wieder richtig gut. Wenngleich auf einem eher bescheidenen Niveau, aber beim Befinden zählt ja bekanntermaßen vorrangig das Gefühl. Seit Freitag bin ich wieder zu Hause. Entlassen. Nicht aus dem Knast. Sondern aus einer anderen Einrichtung, die mit demselben Buchstaben beginnt. Ja, Klinik. Oder Krankenhaus. Eigentlich war fast nichts los. Aber es war trotzdem mal wieder unnötig dramatisch. Hatte ich nicht mehrfach laut herumgetönt,… Weiterlesen »Schokolade zu mir

Schnell vorbei

So schnell können vier Wochen vorbei sein. Ich kann nun stolz über mich verkünden: Selbst wenn mich jemand nachts um halb drei aus dem Tiefschlaf weckt, kann ich ihm innerhalb von acht Sekunden die fünf häufigsten Krankheiten im Kindes- und Jugendalter in Hamburg im ersten Quartal 2015 in korrekter Reihenfolge vorwärts und rückwärts wahlweise auf Deutsch oder Latein aufsagen. In den nächsten zwei Minuten bekomme ich dann auch noch die jeweilige aktuell gängige Therapie mit Rücksicht auf die Rahmenverträge der einzelnen Krankenkassen sowie die wichtigsten Richtlinien der standardisierten Patientendokumentation und die häufigsten Gebührenziffern heruntergebrabbelt – und sollte danach noch jemand… Weiterlesen »Schnell vorbei

Noch eine Woche

Fiebrige Kleinkinder kann ich inzwischen nicht mehr sehen. Ich wundere mich, dass ich noch nicht krank bin. Ich rechne fest damit, dass es mich noch erwischt. Vermutlich dann, wenn die stressigen vier Wochen vorbei sind. Ich habe keinen Vergleich, aber meine Chefin sagt, dieses Jahr sei es besonders schlimm. Wir schleusen am Tag zwischen 70 und 100 Patienten durch (an einem Spitzentag waren es 118, normal sind zwischen 35 und 50) und 80% davon sind erkältet, 15% haben Magen-Darm und zwei, drei haben was anderes. Was anderes kann zum Beispiel sein, dass ein zwölfjähriger Junge wissen möchte, ob er Hodenkrebs… Weiterlesen »Noch eine Woche

Hamster in der Dose

Dass Menschen zum Arzt gehen, weil sie sonst niemanden haben, mit dem sie ihre Sorgen und Probleme besprechen können, ist kein Geheimnis. Das soll es auch nicht sein, im Gegenteil. Trotz aller Scham und allem Streben nach Perfektion setzt sich in der Gesellschaft allmählich zunehmend die Erkenntnis durch, dass nicht alle Menschen gesund sind und dass es nicht nur körperliche Erkrankungen gibt. Wobei ich eine einfache, einmalige Ratlosigkeit nicht gleich als psychische Erkrankung ansehen würde. Dennoch gibt es viele Menschen, die alleine zu grübeln beginnen – über Fragen, von denen sie wissen, dass sie sie alleine nicht beantworten können und… Weiterlesen »Hamster in der Dose

Uschi und ein Luchs

Eine weitere Woche meiner Famulatur ist geschafft. Es macht sehr großen Spaß, allerdings bin ich auch froh, wenn es vorbei ist. Die körperliche und vor allem die seelische Belastung ist wirklich nicht zu unterschätzen. Mit meiner Chefin komme ich ganz gut klar, mit den übrigen Mitarbeiterinnen überwiegend auch. Überwiegend heißt: In der Praxis sind sechs Mitarbeiterinnen hauptsächlich in Teilzeit beschäftigt. Eine Minijobberin, Uschi, kurz vor der Rente, arbeitet nur an einem Nachmittag. Mit ihr bin ich am letzten Montag, unserem ersten gemeinsamen Tag, richtig heftig aneinander geraten. Bei dutzenden Patienten klappte alles irgendwie. Die Routine fehlt mir, ich muss ständig… Weiterlesen »Uschi und ein Luchs