Rollstuhl

Jung und alt

Das aktuelle Drittel meines Praktischen Jahrs verbringe ich in der Chirurgie. Und gerade in der Notaufnahme eines großen Krankenhauses. Chirurgische und internistische Notaufnahmen sind dort getrennt, wenngleich sie im selben Gebäude, nur in unterschiedlichen Abschnitten liegen. Plötzlich kommt ein Anruf: Könnt ihr mal bitte eure Rollstuhlfahrerin rüberschicken? Ein zwölfjähriges Mädchen, Cerebralparese, geistig etwa auf dem Stand einer Sieben- bis Achtjährigen, klagte in der Schule plötzlich über Bauchweh und hat gespuckt. Schreit jetzt wie am Spieß und lässt nichts mit sich machen. Die Mama ist unterwegs, braucht aber noch mindestens eine Dreiviertelstunde. Ist ja nicht das erste Mal und nicht die… Weiterlesen »Jung und alt

Zweierlei Maß

Gerade noch hatte sie damit geprahlt, dass sie nie erwischt wird, wenn sie mit bis zu 200 km/h dort fährt, wo eigentlich nur 70 km/h erlaubt sind. Gerade noch habe ich mein Unverständnis darüber ausgedrückt, und gerade noch habe ich mir anhören müssen, was für ein kleinkarierter Mensch ich sei, wenn ich mich halbwegs an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halte. Fahrverbote gebe es schließlich erst ab 40 km/h drüber, plus Tachoabweichung, plus Toleranz, dann könne man auch 120 fahren, wenn 70 ausgeschildert ist. Sehr häufig fahre ich mit Tempomat und stelle dann drei bis fünf Kilometer pro Stunde mehr ein, um die… Weiterlesen »Zweierlei Maß

Risiko Rollstuhl

Das ewige Problem mit der Sicherheit ist noch immer nicht behoben. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass die seit Ewigkeiten allseits akzeptierte Ausrede, mit der Menschen mit Behinderung leider noch immer systematisch diskriminiert werden, endlich mal kritischer betrachtet wird. Seit Jahren macht mich diese Argumentation, Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer (und andere Menschen mit Behinderung) stellten insbesondere bei Veranstaltungen ein Sicherheitsrisiko dar, regelmäßig aggressiv. Es ist noch kein Monat her, da brach über einen Privatsender ein Shitstorm herein, als eine Frau in den Sozialen Medien behauptete, eine Platzanweiserin in einem Fernsehstudio habe zwei Menschen mit Down-Syndrom auf Plätze umgesetzt, die nicht… Weiterlesen »Risiko Rollstuhl

Vollmond

Es sind die Nächte rund um den Vollmond, an denen üblicherweise die meisten skurrilen Menschen unterwegs sind. Ich beneide keine Kollegin und keinen Kollegen um seinen Nachtdienst (den ich im Moment zum Glück nicht machen muss), denn die denken im Moment jede Nacht, es ginge nicht mehr schlimmer – bevor der Nächste völlig frei dreht. Dabei muss es gar nicht der Mann im Nachthemd sein, der vom Kirchturm fällt: In der vorletzten Nacht kam einer nackt mit einem Straßenbesen in der Hand durch die Tür zur Notaufnahme, unterhielt sich zuerst mit einem Feuerlöscher, später tanzte er mit seinem Besen und… Weiterlesen »Vollmond

Perspektivwechsel

Ich bin schon oft gefragt worden, wie ich mich mit meinem Rollstuhl fortbewege. Ich habe da mal ein Video gemacht aus einer wohl eher seltenen Perspektive. Der schwarze Balken und die eher niedrige Auflösung müssen sein, damit sich hier niemand wiedererkennt. Ich hoffe, es gefällt und vermittelt einen Eindruck. Welchen … darf gerne kommentiert werden. Hier.

Vier Anekdoten

Nachdem ich in den letzten Jahren nicht nur Horrorpsychokriminalwahnsinn und anderen Shice erlebt habe, dachte ich mir, ich schreibe zuerst mal wieder ein paar Anekdoten aus meinem Alltag. Oder? 1. Rowdy mit Slipeinlage: Socke steht an einer Fußgänger-Ampel, hat schönes Wetter, wartet auf Grün. Autos quälen sich durch den Stau. Mit mir warten gefühlt 100 Menschen. Anders als gerade gestern noch in der Fahrschule gelernt, hält ein dunkelbraun gebrannter cooler Goldkettchenproll im Muskelshirt in seinem (?) aufgemotzten schwarzen Gefährt mit röhrendem Auspuff natürlich mitten auf dem Überweg, bevor die Ampel für ihn rot wird. Die Fußgänger bekommen grün und gehen… Weiterlesen »Vier Anekdoten

Rollstuhlfahrer essen draußen

Im Jahr 2015 dürfen öffentliche Einrichtungen nur noch barrierefrei gebaut werden. Oder zumindest nach einer entsprechenden Vorschrift, die weitestgehende Zugänglichkeit für Menschen mit Beeinträchtigungen sicherstellt. Wesentliche Bestimmungen gelten zum Beispiel für die Gastronomie. So wäre es in der Regel unzulässig, eine bereits barrierefreie Gaststätte nun so umzubauen, dass künftig eine Stufe vor dem Eingang ist und im Rollstuhl fahrende Menschen ab sofort draußen bleiben müssen. Eigentlich. Im Hamburger Hauptbahnhof gibt es eine Fressmeile mit verschiedenen gastronomischen Einzelbetrieben. Viel fettiges Junkfood, aber als Kompromiss gibt es durchaus die eine oder andere essbare Kleinigkeit. Insbesondere dann, wenn selbst zu kochen oder langes… Weiterlesen »Rollstuhlfahrer essen draußen

Begegnungen

Ich fahre heute auf dem Gehweg neben einer viel befahrenen Straße. Rechts neben mir ist der Radweg, ich fahre sozusagen links, gegen die Fahrtrichtung. Während das für Fahrradfahrer auf Radwegen ja nur erlaubt ist, wenn ein entsprechendes Verkehrsschild das gestattet, ist es für zu Fuß Gehende und im Rollstuhl Fahrende ja schnierzpupsegal, auf welcher Straßenseite sie gehen oder rollen. Ich muss eine kreuzende Fahrbahn überqueren. Der Gehweg ist an dieser Straßenecke nicht abgesenkt, wohl aber der Radweg neben mir. Von vorne kommt kein Radfahrer, ich drehe mich um, und schaue, ob von hinten einer gegen die Fahrtrichtung kommt. Ebenfalls Fehlanzeige.… Weiterlesen »Begegnungen

Konspirative Kollegen

Mit dem Krankenhaus, in dem ich aktuell ein Teil meines Pflichtpraktikums (Famulatur) ableiste, habe ich endlich mal eine Einrichtung erwischt, in der es kollegial und menschlich zugeht, und das auch beim Personal. Der Umgangston ist höflich, es wird sich gegenseitig respektiert, es gibt keine blöden Kommentare und kein gegenseitiges Veralbern, kein schlechtes Reden über Dritte – ich fühle mich gerade sehr wohl. Meine viermonatige Famulatur, die ich in vier Teilen zu jeweils einem Monat ableiste, hatte mich ja in den letzten Semesterferien in eine Kinderarztpraxis geführt, nun, nach einem kleinen Umweg, in die Gastroenterologie eines großen Krankenhauses. Mit Magen-Darm-Erkrankungen konnte… Weiterlesen »Konspirative Kollegen

Wanda

Der Regen, das Gewitter – wenn die Stinkesocke an den Strand fährt, halten sich die beiden ausnahmsweise mal zurück. Überall dunkle Wolken, auf der Hinfahrt öfter mal den Scheibenwischer eingeschaltet. Und zehn Kilometer vor der Küste strahlender Sonnenschein. Ich war mit Marie und noch zwei anderen Rollstuhlfahrerinnen dort. Die beiden anderen Rollstuhlfahrerinnen kannten wir locker, hatten uns vorher ein paar Mal getroffen, und uns verabredet, einmal gemeinsam an den Strand zu fahren. Dabei hätte uns eigentlich vorher klar sein müssen, dass das eine Schnapsidee war, denn die beiden konnten sich nicht vorstellen, dass man mit dem Rollstuhl am Strand klar… Weiterlesen »Wanda