Allgemein

Keine Wahl

In meinem Geburtsjahr, also vor rund einem Vierteljahrhundert, wurde in Deutschland das so genannte „Betreuungsrecht“ reformiert. Bis dahin konnten Menschen mit Behinderung entmĂĽndigt und fĂĽr sie ein Vormund bestellt werden. Die betroffenen Menschen waren damit geschäftsunfähig (und folglich beispielsweise auch nicht fähig, zu heiraten). Seit der Reform soll genauer hingeschaut werden. Die Betreuung soll als Hilfe verstanden werden. Sie ist quasi eine von einem Richter in einem Betreuungsverfahren angeordnete „Vollmacht“. Der betroffene Mensch wird in seiner Geschäftsfähigkeit nicht mehr automatisch eingeschränkt. FĂĽr die Bereiche, in denen er Hilfe benötigt, ist der rechtliche Betreuer berechtigt, zusätzliche rechtswirksame Erklärungen abzugeben. Er muss… Weiterlesen »Keine Wahl

Vier Anekdoten

Nachdem ich in den letzten Jahren nicht nur Horrorpsychokriminalwahnsinn und anderen Shice erlebt habe, dachte ich mir, ich schreibe zuerst mal wieder ein paar Anekdoten aus meinem Alltag. Oder? 1. Rowdy mit Slipeinlage: Socke steht an einer FuĂźgänger-Ampel, hat schönes Wetter, wartet auf GrĂĽn. Autos quälen sich durch den Stau. Mit mir warten gefĂĽhlt 100 Menschen. Anders als gerade gestern noch in der Fahrschule gelernt, hält ein dunkelbraun gebrannter cooler Goldkettchenproll im Muskelshirt in seinem (?) aufgemotzten schwarzen Gefährt mit röhrendem Auspuff natĂĽrlich mitten auf dem Ăśberweg, bevor die Ampel fĂĽr ihn rot wird. Die FuĂźgänger bekommen grĂĽn und gehen… Weiterlesen »Vier Anekdoten

Darum

Ob wir eines Tages noch erfahren, warum sie nicht mehr schreibt? Tja, wie soll ich es nun erklären? Ich habe im Knast gesessen. Sitzen weil … stehen kann ich ja bekanntlich nicht. Und immer nur liegen? Uncool. Dreiundzwanzig lange Monate kein Internet! Man verhaftete mich wegen meines Blogs. Einige Beiträge waren einfach zu schlecht, stilistisch und inhaltlich flach. Okay. Ganz so war es nicht. Ich durfte mir neulich im Rahmen meines Studiums eine Justizvollzugsanstalt von innen ansehen. Es gab in der dortigen „Röchel-Abteilung“, wie man den Trakt fĂĽr die älteren und kranken Gefangenen nannte, sogar rollator- und rollstuhlgerechte Zellen. Ich… Weiterlesen »Darum

Rollstuhlfahrer essen drauĂźen

Im Jahr 2015 dĂĽrfen öffentliche Einrichtungen nur noch barrierefrei gebaut werden. Oder zumindest nach einer entsprechenden Vorschrift, die weitestgehende Zugänglichkeit fĂĽr Menschen mit Beeinträchtigungen sicherstellt. Wesentliche Bestimmungen gelten zum Beispiel fĂĽr die Gastronomie. So wäre es in der Regel unzulässig, eine bereits barrierefreie Gaststätte nun so umzubauen, dass kĂĽnftig eine Stufe vor dem Eingang ist und im Rollstuhl fahrende Menschen ab sofort drauĂźen bleiben mĂĽssen. Eigentlich. Im Hamburger Hauptbahnhof gibt es eine Fressmeile mit verschiedenen gastronomischen Einzelbetrieben. Viel fettiges Junkfood, aber als Kompromiss gibt es durchaus die eine oder andere essbare Kleinigkeit. Insbesondere dann, wenn selbst zu kochen oder langes… Weiterlesen »Rollstuhlfahrer essen drauĂźen

Distanz macht einsam

Ich amĂĽsiere mich gerade ĂĽber eine Kommilitonin. Sie gehört zu jenen Menschen, die nur schwer andere Meinungen akzeptieren können. Und die leider auch ständig andere Meinungen haben. Nämlich im Zweifel die des GegenĂĽber. Soll heiĂźen: Sie redet ihren „Freunden“ nach dem Mund oder trifft sich nur mit jenen, die absolut ihrer Meinung sind. Wir haben uns anfangs mal ganz gut verstanden. Bis die Diskussion auf das Thema „Tatoos“ kam. Ich bin absolut dagegen, meinen Körper bemalen zu lassen. Weder dezent noch als LitfaĂźsäule. Ich akzeptiere es aber, wenn andere Menschen mit ihrem Körper etwas anderes machen. Jene Kommilitonin sah das… Weiterlesen »Distanz macht einsam

Ich sehe dich

Endlich, nach langer Zeit, bin ich heute mal wieder dazu gekommen, in Ruhe zu trainieren und bin fast vier Kilometer geschwommen. Hatte mit der Ausdauerleistung keine Probleme, habe auf meine Technik achten können, habe von Philipp regelmäßig Feedback bekommen und war herrlich ausgepowert am Ende. DrauĂźen regnete es, der Vollmond stand am Himmel, es war ungewöhnlich warm – beste Gelegenheit, um dem AuĂźen-Whirlpool noch einen Besuch abzustatten. „Dein Rollstuhl bleibt drinnen, ich trage dich raus“, meinte er. „Sonst wird der nass.“ Zack, nahm er mich auf den Arm. Jetzt nur nicht hinfallen auf den nassen Fliesen. Die schwere GlastĂĽr nach… Weiterlesen »Ich sehe dich

Sina II

Wir hatten uns mit Maries Mutter eine Stunde vor der regulären Sprechzeit verabredet, damit sie Sina kennenlernen kann und genug Zeit fĂĽr sie haben wĂĽrde. Während Maries Mutter sich mit ihr in ein Sprechzimmer zurĂĽckzog, bekamen Marie und ich ein zweites FrĂĽhstĂĽck – zusammen mit Maries Papa, der heute später zum Dienst musste. Einerseits tat es mir ja leid, dass wir nun ihr gemeinsames FrĂĽhstĂĽck störten, andererseits hatte Maries Mutter ausdrĂĽcklich darum gebeten, mit Sina eine Stunde eher zu kommen. Und so, wie es aussah, waren die beiden auch schon so gut wie fertig. Mit dem FrĂĽhstĂĽcken. Sina bekam einen… Weiterlesen »Sina II

Sina

Sina fiel beim Fensterputzen aus dem zweiten Stock und ist seitdem querschnittgelähmt. Ich hatte seit ihrem Unfall vor zwei Jahren mehrmals Kontakt zu ihr. Immer mal wieder fĂĽr ein paar Stunden. Kennengelernt habe ich sie beim Warten auf eine Kontrolluntersuchung. Wir saĂźen zusammen im Wartezimmer, kamen ins Gespräch, tauschten Nummern aus, trafen uns zum Quatschen. Immer fĂĽr ein bis zwei Stunden, mehr nicht. In den letzten neun Monaten vielleicht insgesamt drei Mal. Gestern abend klingelte gegen halb neun mein Handy. Ich guckte drauf und sah ihre Nummer. Eigentlich hatte ich nach mehreren Kilometern Schwimmtraining gar keinen Bock mehr, jetzt noch… Weiterlesen »Sina

Plätschern, rieseln, pullern

Oft kommt es ja nicht vor, dass man mich morgens in einem Supermarkt antrifft. Aber heute bin ich um eine Lebenserfahrung reicher geworden. Nämlich dass morgens grundsätzlich nur schwerhörige Omas und Opas einkaufen. Nicht etwa, dass mir ein paar Gehwagen im Weg gestanden hätten. Und niemand auf meine Bitte reagiert hätte, sie beiseite zu schieben. Keineswegs. Im Gegenteil, der Laden war so gut wie leer. Es wurden an etlichen Stellen die Regale aufgefĂĽllt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wuselten hin und her. Normalerweise, wenn ich einkaufe, plätschtert im Hintergrund irgendeine Musik. Manchmal rieselt sie auch, manchmal pullert sie – ich habe da… Weiterlesen »Plätschern, rieseln, pullern

Mecha-Nick

Kennt jemand Nick? Also den Tech-Nick? „Bei Technik-Fragen Tech-Nick fragen“, sollte allen Werbegeschädigten doch ein Begriff sein. Davon abgesehen, dass ich den Tech-Nick Antoine Monot in einer Episoden-Hauptrolle im letzten ARD-Tatort ganz gut fand (die Episode selbst war mir ein wenig zu brutal und es gab mal wieder zu viele Leichen), schien der Besitzer einer Gaststätte in Hamburg jedenfalls zumindest in seinen Werbenamen verliebt gewesen zu sein, als er die KlotĂĽr beklebte. Zum GlĂĽck hat er nicht Micha-Nick geschrieben. Während Marie und ich vor der TĂĽr warteten, ĂĽberlegten wir, wen wir wohl erhalten wĂĽrden, wenn wir den Schalter benutzen. Wer… Weiterlesen »Mecha-Nick