Behinderung

Amt und Sexualität

Ich bin kein Sex-Nerd. Ich habe noch nie in meinem Leben eine Prostituierte aufgesucht, auch keinen Callboy gecallt. Ich hatte eher unfreiwillig und zuletzt zum Glück eher wenig mit Menschen zu tun, für die Behinderung ein Fetisch ist. Ich bekleide kein öffentliches Amt. Aber eins habe ich mit einem städtischen Behindertenbeauftragten aus Rheinland-Pfalz dann doch noch gemeinsam: Ich schreibe öffentlich über (meine) Sexualität. Nicht allzu häufig, sondern eher hin und wieder, aber bei Bedarf auch ausführlich und im Detail. Warum ich das tue, ist schnell beantwortet: Ich glaube, dass es Menschen interessiert. Und das erkenne ich nicht zuletzt an der… Weiterlesen »Amt und Sexualität

Dublin und Zoey

Zoey. So nenne ich sie mal. Zoey bedeutet „Leben“ und der Name ist Programm. Und falls jemand fragt: Das Ypsilon habe ich drangehängt, damit nicht jemand „Zö“ liest. Ich musste mir neulich nämlich im Zug über eine Stunde lang mit anhören, wie eine ältere Frau, geschätzt auf etwa 70 Jahre, mit ihrer Freundin per Handy telefonierte. In einem Großraumwagen, in dem eigentlich das Telefonieren verboten ist. Und da die ältere Dame nicht mehr so recht hörte, gelang mir wiederum das Weghören nicht. Sie sprach ausführlichst über einen Roman, den sie gerade las. Dieser spielte in Dublin, der Hauptstadt von Irland.… Weiterlesen »Dublin und Zoey

Vielleicht der Salat

Mir ist es richtig schlecht ergangen. Ich war schon vor meinem Unfall nicht wehleidig, nach meinem Unfall hat sich mein Empfinden für mein Befinden noch ein wenig verschoben. Bevor ich also auf die Idee komme, mir könnte es schlecht gehen, muss schon etwas mehr als ein eingerissener Fingernagel mich bedrücken. Ich bin gestern abend ins Bett gegangen, da war alles völlig normal. Marie und ich haben jeweils eine Scheibe Brot zum Abend gegessen, einen Tee getrunken, haben uns irgendwann in unsere Betten gelegt – Feierabend. Kaum lag ich, wurde mir speiübel. So etwas hatte ich lange nicht. Ich rätselte, ob… Weiterlesen »Vielleicht der Salat

Zu schwach

Ich glaube, die Chirurgie und ich werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Mein aktueller Anleiter findet, Chirurgie sei ein Knochenjob, und Menschen, die körperlich bereits nicht voll fit sind, seien zu schwach dafür und hätten dort nichts zu suchen. Dabei will ich nur mein Praktikum durchziehen, das verpflichtend im klinischen Teil des Studiums ist (und in späteren Abschnitten werde ich noch weitere Pflichtteile in der Chirurgie haben), meine Scheine bekommen und mich dann so schnell wie möglich wieder anderen Bereichen widmen. Ich werde vermutlich auch später keine Facharztausbildung in der Chirurgie anstreben. Aber die Pflicht-Inhalte traue ich mir schon… Weiterlesen »Zu schwach

Bahnstreik und Rutsche

Da haben wir schonmal eine Bahncard 100, dann wird gestreikt. Ja, ich weiß, man kann Anträge auf Erstattungen stellen, aber das bringt uns heute auch nicht nach Hamburg. Und mit dem Auto? Angesichts dessen, dass wir bestimmt nicht die einzigen sein würden, die auf diese Idee kommen, wären wir vermutlich deutlich länger unterwegs als sonst. Also entschieden wir uns, ausnahmsweise auch am Wochenende an unserem Studienort zu bleiben und gemeinsam etwas zu unternehmen. Es dauerte etwas mehr als eine Stunde Autofahrt, wobei das eher an den vollen Straßen als an der weiten Entfernung lag, bis wir in einem Thermen-Urlaubs-Oasen-Paradies ankamen.… Weiterlesen »Bahnstreik und Rutsche

Unbequeme Freunde

Ich hatte gestern erneut Kontakt mit Gerd. Jenem 51 Jahre alten Patienten, der vor einigen Wochen einen schweren Verkehrsunfall hatte, und der letzte Woche völlig desorientiert war. Ich bin im Rahmen einer schriftlichen Hausarbeit von meinem Professor darauf hingewiesen worden, dass zwingend auch einige allgemeine Befunde mit erhoben und aufgeschrieben werden müssen. Er wurde beinahe etwas böse: „Das haben Sie ja nun schon etliche Male gemacht und wissen es daher. Warum werden Sie da jetzt nachlässig?“ „Ich bin da keineswegs nachlässig“, widersprach ich und sagte, dass ich jüngst in meinem Praktikum gelernt hätte, dass jene Beobachtungen, die ich keiner chirurgischen… Weiterlesen »Unbequeme Freunde

Hin und wieder Koma

Eigentlich fahre ich ja immer in der zweiten Klasse im Zug. Allerdings sind in manchen ICE-Zügen die Sitzplätze für Menschen mit Behinderung am Ende des Wagen 9 lokalisiert. Wagen 9 ist eigentlich ein Erste-Klasse-Wagen. Da das Kleinkindabteil genau daneben liegt, relativiert sich die sonst bessere Ruhe der 1. Klasse oft sofort wieder, aber die Sitze sind wenigstens etwas bequemer. Und man bekommt Tageszeitungen angeboten. Manchmal. In diesem Fall stieg ein Reisender aus und fragte mich, ob ich seine Zeitung haben wollte. Ich bejahte und stolperte über einen Artikel, der meine Augen größer werden ließ. In London soll ein inzwischen 47jähriger… Weiterlesen »Hin und wieder Koma

Wie einst die Inklusion entstand

Ich habe heute schon wieder dazugelernt. Ich weiß, man lernt täglich dazu. Manchmal nur ein wenig, manchmal auch ein wenig mehr, wie zuletzt bei den Nebenwirkungen von Midazolam. Der Brocken ist noch nicht mal seit einer Woche in meinem Kopf, da kommt schon ein neuer, noch größerer Brocken durch die Pipeline. Langsam wird es selbst mir unheimlich. Ich habe dazugelernt, wie in Deutschland der Begriff „Inklusion“ entstanden ist! Und zwar nicht im Soziologie-Kurs. Da kam Inklusion tatsächlich dran, allerdings war der Kurs schon im vorklinischen Teil des Studiums, und der liegt schon etwas länger zurück. Nein, beim Stöbern im Internet… Weiterlesen »Wie einst die Inklusion entstand

Barrierefrei zum Arzt

Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, sollen in den nächten Jahren erwachsene Menschen mit kognitiven oder mehrfachen Einschränkungen eine bessere ärztliche Behandlung in Deutschland bekommen. Konkret ist vorgesehen, mit einer Finanzspritze von 50 Millionen Euro eine eine ärztliche Versorgung dieser Menschen in eigens eingerichteten medizinischen Behandlungszentren aufzubauen. Die von erwachsenen Menschen mit Behinderungen speziell benötigten Gesundheitsleistungen sollen „an einem Ort und mit vertretbarem Aufwand aus einem Guss“ erbracht werden. Darüber hinaus würden Ärzte bevorzugt zugelassen, die sich verpflichten, ihre Praxis barrierefrei einrichten. Im Kinder- und Jugendbereich gibt es bereits ein flächendeckendes Netz von so genannten „sozialpädiatrischen Zentren“. Irgendwann werden… Weiterlesen »Barrierefrei zum Arzt

Das Gold von morgen

Früher, lange vor meinem Unfall, wäre es unvorstellbar für mich gewesen: Fremde Menschen ansprechen. Egal, ob sie gleichalt, älter oder jünger waren – fremde Menschen waren da, aber ich war froh, wenn ich mit ihnen nichts zu tun hatte. Es war das Unbekannte, das Unvorhergesehene, das mir Angst machte. Wenn ich den Busfahrer nach einem Fahrschein fragen sollte, war das kein großes Problem. Der saß in seiner Ecke und wechselte Geld gegen Fahrkarte. Das hatte ich bei meiner Mutter oft genug gesehen. Das habe ich irgendwann auch selbst gemacht. Das konnte ich einordnen. Genauso wie Bezahlen an der Supermarktkasse oder… Weiterlesen »Das Gold von morgen