Behinderung

Renate und Chantal

Ich habe wirklich sehr lange hin und her ĂĽberlegt. Eigentlich kann man im Praktischen Jahr, in dem ich gerade stecke, nicht einfach fehlen. Man darf insgesamt 30 Tage (egal, aus welchen GrĂĽnden) abwesend sein. Blöd wäre natĂĽrlich, wenn ich bis zum April (dann ist das dritte Drittel vorbei) noch krank werde und deshalb längere Zeit flach liege. Allerdings muss ich bis Weihnachten insgesamt 10 freie Tage genommen haben, sonst verfallen sie. In der letzten Woche hätte ich an drei Tagen arbeiten sollen – und habe mir diese drei Tage frei geben lassen. Um etwas fĂĽr meinen Körper zu tun, was… Weiterlesen »Renate und Chantal

Jung und alt

Das aktuelle Drittel meines Praktischen Jahrs verbringe ich in der Chirurgie. Und gerade in der Notaufnahme eines groĂźen Krankenhauses. Chirurgische und internistische Notaufnahmen sind dort getrennt, wenngleich sie im selben Gebäude, nur in unterschiedlichen Abschnitten liegen. Plötzlich kommt ein Anruf: Könnt ihr mal bitte eure Rollstuhlfahrerin rĂĽberschicken? Ein zwölfjähriges Mädchen, Cerebralparese, geistig etwa auf dem Stand einer Sieben- bis Achtjährigen, klagte in der Schule plötzlich ĂĽber Bauchweh und hat gespuckt. Schreit jetzt wie am SpieĂź und lässt nichts mit sich machen. Die Mama ist unterwegs, braucht aber noch mindestens eine Dreiviertelstunde. Ist ja nicht das erste Mal und nicht die… Weiterlesen »Jung und alt

Zweierlei MaĂź

Gerade noch hatte sie damit geprahlt, dass sie nie erwischt wird, wenn sie mit bis zu 200 km/h dort fährt, wo eigentlich nur 70 km/h erlaubt sind. Gerade noch habe ich mein Unverständnis darĂĽber ausgedrĂĽckt, und gerade noch habe ich mir anhören mĂĽssen, was fĂĽr ein kleinkarierter Mensch ich sei, wenn ich mich halbwegs an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halte. Fahrverbote gebe es schlieĂźlich erst ab 40 km/h drĂĽber, plus Tachoabweichung, plus Toleranz, dann könne man auch 120 fahren, wenn 70 ausgeschildert ist. Sehr häufig fahre ich mit Tempomat und stelle dann drei bis fĂĽnf Kilometer pro Stunde mehr ein, um die… Weiterlesen »Zweierlei MaĂź

Risiko Rollstuhl

Das ewige Problem mit der Sicherheit ist noch immer nicht behoben. Ich hätte mir so sehr gewĂĽnscht, dass die seit Ewigkeiten allseits akzeptierte Ausrede, mit der Menschen mit Behinderung leider noch immer systematisch diskriminiert werden, endlich mal kritischer betrachtet wird. Seit Jahren macht mich diese Argumentation, Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer (und andere Menschen mit Behinderung) stellten insbesondere bei Veranstaltungen ein Sicherheitsrisiko dar, regelmäßig aggressiv. Es ist noch kein Monat her, da brach ĂĽber einen Privatsender ein Shitstorm herein, als eine Frau in den Sozialen Medien behauptete, eine Platzanweiserin in einem Fernsehstudio habe zwei Menschen mit Down-Syndrom auf Plätze umgesetzt, die nicht… Weiterlesen »Risiko Rollstuhl

Fahrdienst und andere Katastrophen

Weiblich, 21 Jahre alt, wartet laut Computer seit zwei Stunden und 38 Minuten mit akuten RĂĽckenschmerzen. Es ist kurz nach zwölf Uhr nachts. Verpflichtend ist der Nachtdienst im Praktischen Jahr zwar bei uns nicht, aber wehren kann man sich trotzdem kaum dagegen. Es gibt da so Erwartungen. Ich bin alleine in der chirurgischen Aufnahme. NatĂĽrlich sind Pflegekräfte da, und ein Sicherheitsmensch döst in einem Sozialraum vor einem flimmernden Fernseher. Approbierte Mediziner? Gerade Fehlanzeige. Alles, was Dienst hat, steht im OP. Versucht sich an einer älteren Dame, die kopfĂĽber aus dem Fenster gestĂĽrzt ist und am Ende doch noch verstirbt. Und… Weiterlesen »Fahrdienst und andere Katastrophen

Roter Teppich

Es ist 22.00 Uhr, endlich Feierabend. Ich will nur noch nach Hause. Ich muss ein StĂĽck mit dem Bus, dann mit der S-Bahn, dann wieder mit dem Bus fahren. Wenn alles klappt, bin ich in 40 Minuten zu Hause. Ich mag nach einem anstrengenden Dienst nicht mehr mit dem Auto fahren. Aus Angst, während der Fahrt einzupennen. Das wäre im Bus oder in der S-Bahn nicht so schlimm. Vor der Fahrt nochmal zum Klo, dann mĂĽsste meine neurogene Blase eigentlich die 40 Minuten locker ĂĽberstehen. Auch zwei Stunden sollte sie eigentlich schaffen. Mein Problem: Wenn es dann doch mal dringend… Weiterlesen »Roter Teppich

Vollmond

Es sind die Nächte rund um den Vollmond, an denen ĂĽblicherweise die meisten skurrilen Menschen unterwegs sind. Ich beneide keine Kollegin und keinen Kollegen um seinen Nachtdienst (den ich im Moment zum GlĂĽck nicht machen muss), denn die denken im Moment jede Nacht, es ginge nicht mehr schlimmer – bevor der Nächste völlig frei dreht. Dabei muss es gar nicht der Mann im Nachthemd sein, der vom Kirchturm fällt: In der vorletzten Nacht kam einer nackt mit einem StraĂźenbesen in der Hand durch die TĂĽr zur Notaufnahme, unterhielt sich zuerst mit einem Feuerlöscher, später tanzte er mit seinem Besen und… Weiterlesen »Vollmond

Blutende Glatzen, kotzende Segler

Wie ich sehe, kommen die Anekdoten sehr gut an. Ich habe noch ein paar frische aus der chirurgischen Notaufnahme, in der ich derzeit mein zweites Drittel meines Praktischen Jahrs verrichte. Ich bin im Moment gefĂĽhlt fĂĽr alles zuständig, was nicht lebensbedrohlich ist. Nicht als einzige, aber inzwischen wohl erstmal alleine. Vor jeder Diagnose, Therapie und Entlassung muss ich zumindest mit der Akte einmal zu einer approbierten Kollegin oder einem approbierten Kollegen und mir ein Okay holen – sofern ich nicht sowieso Fragen habe oder mir unsicher bin. Ăśbung macht die Meisterin. Hat mal jemand gesagt. Ich lerne also sehr viel.… Weiterlesen »Blutende Glatzen, kotzende Segler

Keine Wahl

In meinem Geburtsjahr, also vor rund einem Vierteljahrhundert, wurde in Deutschland das so genannte „Betreuungsrecht“ reformiert. Bis dahin konnten Menschen mit Behinderung entmĂĽndigt und fĂĽr sie ein Vormund bestellt werden. Die betroffenen Menschen waren damit geschäftsunfähig (und folglich beispielsweise auch nicht fähig, zu heiraten). Seit der Reform soll genauer hingeschaut werden. Die Betreuung soll als Hilfe verstanden werden. Sie ist quasi eine von einem Richter in einem Betreuungsverfahren angeordnete „Vollmacht“. Der betroffene Mensch wird in seiner Geschäftsfähigkeit nicht mehr automatisch eingeschränkt. FĂĽr die Bereiche, in denen er Hilfe benötigt, ist der rechtliche Betreuer berechtigt, zusätzliche rechtswirksame Erklärungen abzugeben. Er muss… Weiterlesen »Keine Wahl

Vier Anekdoten

Nachdem ich in den letzten Jahren nicht nur Horrorpsychokriminalwahnsinn und anderen Shice erlebt habe, dachte ich mir, ich schreibe zuerst mal wieder ein paar Anekdoten aus meinem Alltag. Oder? 1. Rowdy mit Slipeinlage: Socke steht an einer FuĂźgänger-Ampel, hat schönes Wetter, wartet auf GrĂĽn. Autos quälen sich durch den Stau. Mit mir warten gefĂĽhlt 100 Menschen. Anders als gerade gestern noch in der Fahrschule gelernt, hält ein dunkelbraun gebrannter cooler Goldkettchenproll im Muskelshirt in seinem (?) aufgemotzten schwarzen Gefährt mit röhrendem Auspuff natĂĽrlich mitten auf dem Ăśberweg, bevor die Ampel fĂĽr ihn rot wird. Die FuĂźgänger bekommen grĂĽn und gehen… Weiterlesen »Vier Anekdoten